Pipeline über die Pyrenäen
Spanien verfügt über jede Menge Flüssiggas-Terminals – Röhre nach Norden fehlt noch
- Spanien hat, was Deutschland und anderen europäischen Staaten fehlt: Eine ausreichende Zahl von Terminals, an denen die riesigen Flüssiggasschiffe aus den USA, Katar, Algerien oder Nigeria festmachen können. Deswegen spielt die EU mit dem Plan, Spanien zur europäischen Plattform für die Lieferung von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, kurz: LNG) zu machen. Es gibt derzeit nur noch ein großes Problem: Wie bekommt man das an Spaniens Küste ankommende Gas kostengünstig nach Zentraleuropa, um dort die Brennstoffabhängigkeit von Russland zu verringern?
Das kleine nordspanische Dorf Hostalric, etwa 100 Kilometer vor der französischen Grenze, könnte bei der Lösung eine wichtige Rolle spielen. In dem Bauernnest endet eine mächtige Pipeline, durch die Erdgas aus Algerien und aus den Flüssiggasterminals an den Mittelmeer- und Atlantikküsten ins nördliche Spanien fließt. Nun bietet Spanien an, die Pipeline bis nach Frankreich zu verlängern, damit sie dort an Westeuropas Ferngasnetz angeschlossen werden kann – ein verlockender Plan.
Eigentlich sollte die einen Meter dicke Fernleitung mit dem Namen Midcat schon vor Jahren bis nach Frankreich weitergeführt werden. Doch 2018 wurde der Bau gestoppt, weil in Madrid, in Paris und in der EU-Zentrale in Brüssel Zweifel an der Wirtschaftlichkeit aufkamen. Doch vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine könnte das Projekt jetzt wiederauferstehen.
„Spanien wird eine wichtige Rolle in der Versorgung Europas spielen“, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nachdem sie in Madrid mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez über die Gaskrise beraten hatte. „Dafür müssen wir an der Vernetzung zwischen der Iberischen Halbinsel und dem Rest Europas arbeiten“, erklärte von der Leyen. Es wundert nicht, dass gerade Deutschland, größter EU-Empfänger russischen Gases, den Midcat-Plan unterstützt.
Spaniens Premier Sánchez glaubt inzwischen, dass Midcat doch rentabel sein könnte – auch in einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe. Denn wenn nach der vollzogenen Energiewende kein Gas mehr fließt, könnte grüner Wasserstoff Richtung Norden gepumpt werden, den die Spanier im großen Stil produzieren wollen. Sánchez stellt nur eine Bedingung für
Midcat: Brüssel müsse die Baukosten übernehmen. Billig dürfte das nicht werden. Schon vor fünf Jahren waren die Kosten für die 200 Kilometer lange Gasverbindung zwischen Nordspanien und Südfrankreich mitsamt Pumpstationen auf drei Milliarden Euro geschätzt worden.
Nach dem alten Projekt sollten bis zu acht Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr durch Midcat fließen. Zusammen mit zwei kleineren Fernleitungen, die bereits zwischen Spanien und Frankreich existieren, könnten somit jährlich wenigstens 15 Milliarden Kubikmeter nach Zentraleuropa fließen. Und die Kapazität von Midcat könnte noch etwas erhöht werden, sagen Experten.
Trotzdem würde das nicht ausreichen, um Moskaus Erdgaslieferungen zu ersetzen. Denn allein durch die von Russland nach Deutschland führende Pipeline Nordstream 1 fließen jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter. Immerhin: Die neue Pipeline wäre ein spürbarer Beitrag, um die Abhängigkeit von Moskau zu verringern.
Woher bekommt Spanien sein Gas? Das Land ist mit zwei durchs Mittelmeer führende Tiefseeleitungen an Algeriens Gasfelder angeschlossen. Das klingt gut, hat aber einen Haken: Momentan ist nur eine der beiden Pipelines in Betrieb. Und zwar die Medgaz, die von Algeriens rohstoffreicher Wüste bis zum südspanischen Küstenort Almería und von dort ins nördliche Barcelona führt. Durch die Medgaz fließen zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr.
Eine zweite Pipeline namens Maghreb-Europe mit einer Kapazität von zwölf Milliarden Kubikmeter jährlich führt von Algerien über marokkanisches Territorium durch die Meerenge von Gibraltar nach Südspanien. Im November 2021 legte jedoch Algerien diese Pipeline nach Streit mit dem Nachbarn Marokko still.
Das hatte Folgen für Spaniens Versorgung: Plötzlich ist Algerien, das bisher als wichtigster Gaspartner Madrids galt, nicht mehr Spaniens größter Lieferant. Jetzt sind die USA zum Hauptversorger geworden: Sie lieferten im ersten Quartal 2022 per Schiff gut 40 Prozent des spanischen Bedarfs. Algerien ist mit 26 Prozent auf den zweiten Platz gerutscht, an dritter Stelle folgt Nigeria mit 14 Prozent. Doch auch Spanien kommt nicht ohne russisches Gas aus: Moskau liefert derzeit noch knapp sieben Prozent des Bedarfs.
Wegen der Blockade der MaghrebEurope-Erdgasleitung muss Spanien mittlerweile verstärkt Flüssiggas ins Land transportieren. Doch dafür sind die Spanier bestens vorbereitet. An der Festlandküste stehen sechs Flüssiggasterminals, ein siebtes wird gebaut. Und diese Anlagen sind nur zur Hälfte ausgelastet. „Spanien hat die größten Flüssiggaskapazitäten ganz Europas“, lobte EU-Energiekommissarin Kadri Simson bei einem Besuch in Madrid. Ein Drittel aller europäischen Anlagen, mit denen das für den Schiffstransport verflüssigte Gas wieder in Erdgas verwandelt werden kann, steht derzeit in Spanien.
Die gute Nachricht lautet also: Spaniens großzügig dimensionierte Gasterminals, in denen Supertanker von bis zu 350 Metern Länge festmachen, könnten auch Flüssiggas für andere Länder verarbeiten. Es mangelt momentan nur an der Möglichkeit, das Gas nach Norden zu transportieren – das Pyrenäengebirge wird zum Nadelöhr.
Hier könnte Midcat zweifellos helfen. Allerdings nur mittelfristig. „Das Projekt ermöglicht weder morgen noch in den nächsten Monaten die Gasversorgung Zentraleuropas“, dämpft Spaniens Energieministerin Teresa Ribera die Erwartungen. Warum? Die Bauzeit wird auf wenigstens drei Jahre geschätzt.