Institute senken Konjunkturprognose für 2022 auf 2,7 Prozent ab
Der Ukraine-Krieg hat den Aufschwung nach der Corona-Krise jäh gebremst – Ökonomen raten dem Staat, nicht alles einfach aufzufangen
(dpa) - Erst Pandemie, dann Energie: Von der einen Krise noch nicht ganz erholt, ist die deutsche Wirtschaft mit Russlands Krieg in der Ukraine in die nächste geschlittert. Weil diesmal nicht nur Lieferketten einbrechen, sondern Preise enorm steigen, spüren das auch die Verbraucher, im Supermarkt wie an der Tankstelle. Zwei Entlastungspakete hat die Politik schon geschnürt. Führende Wirtschaftsforscher mahnen jetzt aber: Allzu opulente Hilfen könnten alles noch schlimmer machen. „Auch die Hilfen für private Haushalte zum Abfedern hoher Energiepreise sollte die Politik nur sehr zielgerichtet dosieren“, mahnte der Leiter des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), Stefan Kooths, am Mittwoch in Berlin. Denn sie könnten die Inflation weiter anheizen und Haushalten mit wenig Einkommen letztlich mehr schaden als nützen.
Die Situationsbeschreibung führender Wirtschaftsforscher klingt ernst: „Die deutsche Wirtschaft steuert durch schwieriges Fahrwasser und durchläuft die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten.“Deshalb schrauben die Institute in ihrem Frühjahrsgutachten die Erwartungen drastisch nach unten. Die Wirtschaftsleistung dürfte in diesem Jahr demnach nur um 2,7 Prozent zulegen
– ursprünglich hatten sie 4,8 Prozent Wachstum erwartet.
Zwar sorge die abflauende CoronaPandemie für eine kräftige Erholung. Die Nachfrage sei hoch, die Auftragsbücher voll, weil viele Bürger Geld gespart hätten. Doch all das werde überlagert vom Krieg in der Ukraine. Die unsichere Versorgung mit wichtigen Rohstoffen habe zu einem sprunghaften Preisanstieg geführt, die Sanktionen zu zusätzlichem Stress für die Lieferketten. Hohe weltpolitische Unsicherheit lasse Unternehmer zudem bei Investitionen zögern.
„Insgesamt verzögert sich damit der Erholungsprozess abermals“, sagt Kooths. Die Forschungsinstitute – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das ifo-Institut, das Kiel Institut für Weltwirtschaft, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen – sind aber optimistischer als etwa die Wirtschaftsweisen. Die Berater der Bundesregierung haben für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 1,8 Prozent vorhergesagt.
Bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zogen die Verbraucherpreise an. „Schon die staatlichen Hilfspakete während der Pandemie haben preistreibend gewirkt“, sagt Kooths. Dazu kam eine hohe Nachfrage, weil das Geld bei vielen Verbrauchern zeitweise lockerer saß. Jetzt fachten die hohen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs den Preisauftrieb noch weiter an. Die Institute rechnen für dieses Jahr deshalb mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent. Das wäre der höchste Wert seit 40 Jahren. Auch im kommenden Jahr dürfte die Teuerung mit 2,8 Prozent deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner warnt bereits vor einer Stagflation, also einer Phase von niedrigem Wachstum bei gleichzeitig hoher Inflation. Dann seien maßvolle Finanz- und geschickte Wirtschaftspolitik gefragt, schreibt der FDP-Politiker im „Handelsblatt“. Einen allgemeinen Verlust an Wohlstand könne man auf Dauer nicht mit den Mitteln der Finanzpolitik ausgleichen.
Die Ökonomen zeigen sich skeptisch, was allzu hohe staatliche Hilfen angeht. Schon die Entlastungspakete der Ampel-Regierung mit Steuersenkungen und günstigerem Verkehr für alle sehen sie kritisch, „weil sie ja darauf abzielen, Kaufkraft in der Breite der Bevölkerung zu stabilisieren“. Doch an Kaufkraft mangele es bei den meisten gerade nicht, vielmehr hätten die privaten Haushalte während der Pandemie ein Polster von mehr als 200 Milliarden Euro angespart.
„Alles was der Staat jetzt unternimmt, um in der Breite der Bevölkerung noch zusätzliche Kaufkraft in den privaten Sektor zu pumpen, würde eben hier die Inflation zusätzlich anfachen“, sagt Kooths. Darunter litten dann Haushalte mit wenig Einkommen, die noch höhere Lebenshaltungskosten stemmen müssten. Deshalb sollten Hilfen aus Sicht der Forscher zielgenau auf einkommensschwache Haushalte beschränkt werden. Der Staat könne nicht die Breite der Bevölkerung entlasten, „weil er sich selbst aus der Breite der Bevölkerung finanziert“.