Lindauer Zeitung

Weitwander­n zwischen Küste und Korkeichen

Die Algarve in Portugal erlaubt auch Höhenflüge im Hinterland

- Von Andreas Knoch

Am Kulturzent­rum des Künstlerdo­rfes Barão de São João herrscht reges Treiben. Es ist später Nachmittag, die Sonne steht schon tief, und knapp 100 Wanderfreu­nde treffen letzte Vorbereitu­ng für den Aufbruch. Inmitten des Gewusels: Anabela Santos. Die drahtige Portugiesi­n springt von einer Gruppe zur nächsten, checkt die Ausrüstung, beantworte­t Fragen und gibt Punkt 17 Uhr das Signal zum Aufbruch. Mit weit ausladende­n Schritten führt sie den Tross bergan in die Abenddämme­rung durch dichte Korkeichen­wälder ins bergige Hinterland der Algarve.

Die zwölf Kilometer lange Nachtwande­rung, die Teilen des berühmten Fernwander­wegs „Via Algarviana“folgt, ist eines der Highlights des Wander- und Kunstfesti­vals in der

Gemeinde Barão de São João, unweit der Küstenstad­t Lagos. Der Name ist Programm. Während der rund dreieinhal­bstündigen Tour tauchen wie aus dem Nichts Kunstinsta­llationen inmitten des Waldes auf oder überrasche­n Live-Performanc­es portugiesi­scher Künstler die Teilnehmer – und hinterlass­en bleibende Eindrücke.

Deutschen Touristen ist die Algarve vor allem ihrer traumhafte­n Strände und imposanten Steilklipp­en wegen bekannt. Doch es gibt mehr zu entdecken. „Es ist einfach schade, dass so wenige Urlauber überhaupt wissen, wie schön das Hinterland hier ist“, sagt Anabela Santos, die für Almargem arbeitet, eine Organisati­on, die nachhaltig­en Tourismus an der Algarve fördern will, und unter anderem das „Walk & Art Fest“in Barão de São João organisier­t.

Vom regen Treiben an der nahen Küste ist in der pittoreske­n Künstlerge­meinde nichts mehr zu spüren. Stattdesse­n: Entschleun­igung. Daran ändern auch die vielen Wander- und Kunstfreun­de nichts, die in den drei Tagen des Festivals Anfang November, das Dörfchen überrennen. Die Bewohner ertragen die plötzliche Aufmerksam­keit gelassen. Viele Kreative kamen in den Jahren nach dem Ende der Salazar-Diktatur aus aller Welt hierher, um beim Aufbau zu helfen – und blieben.

So wie Karl, ein Fotograf aus Berlin, der inzwischen 30 Jahre in Barão de São João lebt und der während des „Walk & Art Fest“im Kulturzent­rum Tai-Chi-Kurse gibt. Andere präsentier­en ihre Werke und Installati­onen während des Festivals an verschiede­nen Stellen im Ort. Bei einem Rundgang kann man sich ein Bild von ihrem Schaffen machen – und im Anschluss in einem der zahlreiche­n Cafés oder Bars einkehren.

Trekking-Urlauber mit mehr oder weniger sportliche­n Ambitionen zieht es besonders auf die „Via Algarviana“. Der Fernwander­weg, den man auch mit Rad oder Pferd bewältigen kann, schlängelt sich in 13 Etappen auf fast 300 Kilometern parallel zur Küste durch das Hinterland der Algarve – über Naturpfade durch ursprüngli­ch gebliebene Dörfer, zu kleinen Kapellen, vorbei an malerische­n Bächen und durch verwunsche­ne Korkeichen­wälder. Die beste Zeit zum Wandern sind die Monate Oktober bis April: die Sommermona­te hingegen sollte man ob ihrer Hitze dafür tunlichst meiden.

Rund zwei Wochen braucht es für die Strecke von Alcoutim an der Grenze zu Spanien bis zum Cabo de São Vicente bei Sagres, dem südwestlic­hsten Zipfel des europäisch­en Festlands, an dem die Steilklipp­en spektakulä­r 70 Meter in den tosenden Atlantik abfallen. Oder rund zwei Tage – wenn man so fit ist wie Bruno.

Bruno ist Trailrunne­r – eine Spezies, die extreme Langdistan­zen über Stock und Stein bewältigen und dabei Tage und Nächte durchlaufe­n. Den ALUT, den „Algarviana Ultra Trail“, der genau über jene 300 Kilometer des Fernwander­wegs führt, hat er bereits bezwungen. Heute ist er Renndirekt­or dieser Marathonve­ranstaltun­g. Die Geburt seiner Tochter war der Grund, warum es der sportliche Portugiese etwas ruhiger angehen lässt. Wobei ruhig im Vergleich zum Ottonormal­wanderer relativ ist.

Noch immer verbringt er jede freie Minute laufend oder wandernd, oft sogar mit seinem Töchterche­n. An diesem Tag begleitet Bruno eine Gruppe Wanderer zu den Fonte da Benémola, Quellen, die das Flüsschen Menalva speisen, nördlich von Loulé. Die Route ist Teil eines dichten Netzes an Seiten- und Zubringers­trecken, die an den Fernwander­weg „Via Algarviana“angeschlos­sen sind.

Auf dem Weg zu den Quellen kommt so etwas wie Dschungelf­eeling auf, so dicht wuchert die Vegetation entlang der Levadas, den künstliche­n Wasserläuf­en, die das Naturschut­zgebiet durchziehe­n. Heute gehören die Fonte da Benémola vor allem den Tieren und Pflanzen. Zweibeiner sind mittlerwei­le nur Gäste. Früher war das anders. Hier wurde intensiv gewirtscha­ftet, wie die Reste maurischer Wasserpump­en zeigen, auf die Bruno hinweist. Fast 800 Jahre war die Region von den Arabern besetzt. So leitet sich auch der Name Algarve vom arabischen „Al Gharb“ab, was so viel wie „der Westen“bedeutet.

An der Quelle O Olho, zu Deutsch „das Auge“, führt der Weg vom Wasser weg. Korkeichen dominieren fortan die Vegetation und rahmen die Route zu beiden Seiten ein. Bruno erklärt die Bedeutung dieser für die Region so wichtigen Bäume: In Portugal dürfen Korkeichen nämlich nicht mehr gefällt werden. Die Bäume gehören Familien, die sie alle neun Jahre schälen lassen, um daraus Teller, Schuhe, Taschen, Bodenbelag oder Korken für gute Weine zu fertigen. Doch die knorrigen Bäume sind nicht nur für die Korkindust­rie wichtig. Korkeichen sind auch feuerbestä­ndiger als andere Bäume. Die langsame Verbrennun­g von Kork macht ihn zu einem natürliche­n Brandschut­z und den Korkeichen­wald damit zu einer Barriere gegen Feuer – von unschätzba­rem Wert im trockenen und heißen Süden Portugals.

Apropos trocken und heiß: Zu kühlen Getränken und portugiesi­schen Spezialitä­ten kennt Bruno dann auch noch einen Weg. Im „Sol e Serra“in Querença unweit der Quellen lässt es sich gemütlich sitzen, hervorrage­nd essen – und die nächste Wandertour im Hinterland der Algarve planen.

Weitere Informatio­nen unter:

www.visitalgar­ve.pt, Informatio­nen zu Wanderfest­ivals an der Algarve, unter anderem dem Walk & Art Fest in Barão de São João (4. bis 6. November 2022) unter

www.algarvewal­kingseason.com Die Recherche wurde unterstütz­t durch Pura Communicat­ions und Almargem.

 ?? FOTO: CARLOS AFONSO ?? Die bekannten Touristens­trände an der Algarve sind grandios. Doch wer sich dort niederlegt, ahnt oft nicht, welch schöne und gut markierte Wanderrout­en im Hinterland liegen.
FOTO: CARLOS AFONSO Die bekannten Touristens­trände an der Algarve sind grandios. Doch wer sich dort niederlegt, ahnt oft nicht, welch schöne und gut markierte Wanderrout­en im Hinterland liegen.
 ?? FOTO: ANDREAS KNOCH ?? Wanderführ­er Bruno Rodrigues: Korkeichen haben in Portugal nicht nur wirtschaft­lich eine große Bedeutung.
FOTO: ANDREAS KNOCH Wanderführ­er Bruno Rodrigues: Korkeichen haben in Portugal nicht nur wirtschaft­lich eine große Bedeutung.

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