Weitwandern zwischen Küste und Korkeichen
Die Algarve in Portugal erlaubt auch Höhenflüge im Hinterland
Am Kulturzentrum des Künstlerdorfes Barão de São João herrscht reges Treiben. Es ist später Nachmittag, die Sonne steht schon tief, und knapp 100 Wanderfreunde treffen letzte Vorbereitung für den Aufbruch. Inmitten des Gewusels: Anabela Santos. Die drahtige Portugiesin springt von einer Gruppe zur nächsten, checkt die Ausrüstung, beantwortet Fragen und gibt Punkt 17 Uhr das Signal zum Aufbruch. Mit weit ausladenden Schritten führt sie den Tross bergan in die Abenddämmerung durch dichte Korkeichenwälder ins bergige Hinterland der Algarve.
Die zwölf Kilometer lange Nachtwanderung, die Teilen des berühmten Fernwanderwegs „Via Algarviana“folgt, ist eines der Highlights des Wander- und Kunstfestivals in der
Gemeinde Barão de São João, unweit der Küstenstadt Lagos. Der Name ist Programm. Während der rund dreieinhalbstündigen Tour tauchen wie aus dem Nichts Kunstinstallationen inmitten des Waldes auf oder überraschen Live-Performances portugiesischer Künstler die Teilnehmer – und hinterlassen bleibende Eindrücke.
Deutschen Touristen ist die Algarve vor allem ihrer traumhaften Strände und imposanten Steilklippen wegen bekannt. Doch es gibt mehr zu entdecken. „Es ist einfach schade, dass so wenige Urlauber überhaupt wissen, wie schön das Hinterland hier ist“, sagt Anabela Santos, die für Almargem arbeitet, eine Organisation, die nachhaltigen Tourismus an der Algarve fördern will, und unter anderem das „Walk & Art Fest“in Barão de São João organisiert.
Vom regen Treiben an der nahen Küste ist in der pittoresken Künstlergemeinde nichts mehr zu spüren. Stattdessen: Entschleunigung. Daran ändern auch die vielen Wander- und Kunstfreunde nichts, die in den drei Tagen des Festivals Anfang November, das Dörfchen überrennen. Die Bewohner ertragen die plötzliche Aufmerksamkeit gelassen. Viele Kreative kamen in den Jahren nach dem Ende der Salazar-Diktatur aus aller Welt hierher, um beim Aufbau zu helfen – und blieben.
So wie Karl, ein Fotograf aus Berlin, der inzwischen 30 Jahre in Barão de São João lebt und der während des „Walk & Art Fest“im Kulturzentrum Tai-Chi-Kurse gibt. Andere präsentieren ihre Werke und Installationen während des Festivals an verschiedenen Stellen im Ort. Bei einem Rundgang kann man sich ein Bild von ihrem Schaffen machen – und im Anschluss in einem der zahlreichen Cafés oder Bars einkehren.
Trekking-Urlauber mit mehr oder weniger sportlichen Ambitionen zieht es besonders auf die „Via Algarviana“. Der Fernwanderweg, den man auch mit Rad oder Pferd bewältigen kann, schlängelt sich in 13 Etappen auf fast 300 Kilometern parallel zur Küste durch das Hinterland der Algarve – über Naturpfade durch ursprünglich gebliebene Dörfer, zu kleinen Kapellen, vorbei an malerischen Bächen und durch verwunschene Korkeichenwälder. Die beste Zeit zum Wandern sind die Monate Oktober bis April: die Sommermonate hingegen sollte man ob ihrer Hitze dafür tunlichst meiden.
Rund zwei Wochen braucht es für die Strecke von Alcoutim an der Grenze zu Spanien bis zum Cabo de São Vicente bei Sagres, dem südwestlichsten Zipfel des europäischen Festlands, an dem die Steilklippen spektakulär 70 Meter in den tosenden Atlantik abfallen. Oder rund zwei Tage – wenn man so fit ist wie Bruno.
Bruno ist Trailrunner – eine Spezies, die extreme Langdistanzen über Stock und Stein bewältigen und dabei Tage und Nächte durchlaufen. Den ALUT, den „Algarviana Ultra Trail“, der genau über jene 300 Kilometer des Fernwanderwegs führt, hat er bereits bezwungen. Heute ist er Renndirektor dieser Marathonveranstaltung. Die Geburt seiner Tochter war der Grund, warum es der sportliche Portugiese etwas ruhiger angehen lässt. Wobei ruhig im Vergleich zum Ottonormalwanderer relativ ist.
Noch immer verbringt er jede freie Minute laufend oder wandernd, oft sogar mit seinem Töchterchen. An diesem Tag begleitet Bruno eine Gruppe Wanderer zu den Fonte da Benémola, Quellen, die das Flüsschen Menalva speisen, nördlich von Loulé. Die Route ist Teil eines dichten Netzes an Seiten- und Zubringerstrecken, die an den Fernwanderweg „Via Algarviana“angeschlossen sind.
Auf dem Weg zu den Quellen kommt so etwas wie Dschungelfeeling auf, so dicht wuchert die Vegetation entlang der Levadas, den künstlichen Wasserläufen, die das Naturschutzgebiet durchziehen. Heute gehören die Fonte da Benémola vor allem den Tieren und Pflanzen. Zweibeiner sind mittlerweile nur Gäste. Früher war das anders. Hier wurde intensiv gewirtschaftet, wie die Reste maurischer Wasserpumpen zeigen, auf die Bruno hinweist. Fast 800 Jahre war die Region von den Arabern besetzt. So leitet sich auch der Name Algarve vom arabischen „Al Gharb“ab, was so viel wie „der Westen“bedeutet.
An der Quelle O Olho, zu Deutsch „das Auge“, führt der Weg vom Wasser weg. Korkeichen dominieren fortan die Vegetation und rahmen die Route zu beiden Seiten ein. Bruno erklärt die Bedeutung dieser für die Region so wichtigen Bäume: In Portugal dürfen Korkeichen nämlich nicht mehr gefällt werden. Die Bäume gehören Familien, die sie alle neun Jahre schälen lassen, um daraus Teller, Schuhe, Taschen, Bodenbelag oder Korken für gute Weine zu fertigen. Doch die knorrigen Bäume sind nicht nur für die Korkindustrie wichtig. Korkeichen sind auch feuerbeständiger als andere Bäume. Die langsame Verbrennung von Kork macht ihn zu einem natürlichen Brandschutz und den Korkeichenwald damit zu einer Barriere gegen Feuer – von unschätzbarem Wert im trockenen und heißen Süden Portugals.
Apropos trocken und heiß: Zu kühlen Getränken und portugiesischen Spezialitäten kennt Bruno dann auch noch einen Weg. Im „Sol e Serra“in Querença unweit der Quellen lässt es sich gemütlich sitzen, hervorragend essen – und die nächste Wandertour im Hinterland der Algarve planen.
Weitere Informationen unter:
www.visitalgarve.pt, Informationen zu Wanderfestivals an der Algarve, unter anderem dem Walk & Art Fest in Barão de São João (4. bis 6. November 2022) unter
www.algarvewalkingseason.com Die Recherche wurde unterstützt durch Pura Communications und Almargem.