Neu im Kino
EVon Rüdiger Suchsland
ines Morgens erhält die Verlegerin Emmanuèle (Sophie Marceau) einen Anruf: Ihr Vater André hatte einen Schlaganfall und liegt im Krankenhaus, seine beiden Töchter, die jüngere Emmanuèle und ihre Schwester Pascale (Geraldine Pailhas) müssen sich um ihn kümmern. Denn Andrés Zustand ist schlecht, verbessert sich nur sehr langsam. Der Vater ist teilweise gelähmt, viele Körperfunktionen sind ausgefallen. Er wird künstlich ernährt, er muss diverse Therapien über sich ergehen lassen. Aber da er alles mit wachem Kopf miterlebt, fühlt er sich bevormundet. Und das will er nicht, nicht mehr.
Wenn man sich nun fragt, ob man so eine Geschichte überhaupt im Kino sehen möchte, kann man darauf antworten: Man will, denn „Alles ist gutgegangen“ist nicht nur zurückhaltend, nüchtern und wahrhaftig erzählt, sondern trägt paradoxerweise bis zum Ende immer wieder auch die Züge einer Komödie. Das liegt insbesondere an dem ironisch-selbstironischen Spiel von André Dussollier in der Rolle des Vaters; es liegt aber auch an dem sehr gut geschriebenen Drehbuch Ozons und an seiner Vorlage. Denn der Film ist die Adaption eines autobiografischen Romans von Emmanuèle Bernheim. Bernheim (1955-2017) war auch eine gefragte Drehbuchautorin und als solche langjährige Mit arbeiterin Ozons. Sie schrieb unter anderem drei der bekanntesten (und besten) Ozon-Filme: „Unter dem Sand“(2000), „Swimming Pool“(2003) und „5x2 – Fünf mal zwei“(2004). In „Alles ist gutgegangen“beschrieb sie das Sterben ihres Vaters.
Trotz einiger lustiger oder sarkastisch-witziger Momente wird das Geschehen in seiner Härte nicht verniedlicht, sondern kühl und nüchtern geschildert. Es bleibt immer klar: Etwas Furchtbares ist geschehen und geschieht weiter. Man möchte nicht in der Lage der Protagonisten sein, man möchte das nicht erleben. Ozon nähert sich dem Schrecken, der Krankheit und dem Sterben sarkastisch. Inkorrekt für manche.
Dazu kommen im Film die Rückblicke. In den Wochen nach dem Schlaganfall erinnert sich die Tochter an ihre Kindheit. Etwa 40 Jahre ist das her, Anfang der 1980er. Dieser Vater war nicht immer nett, er hat seine Töchter schikaniert und gerade Emmanuèle einiges zugemutet. Sie musste mit seinen schweren Depressionen umgehen, wofür sie ihren Vater manchmal hasste.
Als es dem Vater nicht besser geht, kommt irgendwann seine entscheidende Bitte an die Tochter: „Du musst mir helfen, Schluss zu machen. Verstehst du?“Sie versteht. Aber zunächst verweigert sie sich dieser letzten Zumutung.
So wird aus dem Film das Sterbehilfe-Familien-Drama, das sich zunächst um die zentrale Frage dreht, ob Emmanuèle seinem Wunsch nachkommen soll. Der Vater ist entschlossen und schwankt nur ein einziges Mal, als er seinen Enkel bei einem Klarinettenkonzert sehen will. Als sich Emmanuèle schließlich dazu durchgerungen hat, dem Vater bei seinem Wunsch auf Freitod zu helfen, geht es um praktische Fragen. Denn in Frankreich darf André keine Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Für das Gesetz leidet er dafür nicht genug. Darum reist man in die Schweiz.
Hinzu kommt die innere Dynamik innerhalb der Familie: Ungeklärte Themen müssen aufgearbeitet werden, insbesondere das Verhältnis zur getrennten, aber noch verheirateten Mutter (Charlotte Rampling). Auch die an sich vertraute Beziehung der beiden Schwestern ist belastet. Die Eifersucht, wer denn nun die Lieblingstochter des Vaters war und ist, flammt wieder auf – ausgerechnet über die Frage, wer um Hilfe beim Freitod gebeten wurde.
François Ozon (54) ist der wohl produktivste unter den französischen Autorenfilmern der Gegenwart. Auch nach 25 Jahren dreht er Filme wie am Fließband: Es vergeht kein Jahr, in dem er nicht mindestens einen, manchmal sogar zwei Filme fertigstellt. Sie sind durchweg von einer typischen Handschrift und großem technischen Können geprägt und laufen auf den großen Festivals der Welt.
In diesem Fall gelingt Ozon eine vielschichtige und erstaunlich heitere Betrachtung von Sterben und Tod. Getragen wird sie von hervorragenden Schauspielern, zu denen auch die Deutsche Hanna Schygulla in einer knappen Rolle als Schweizer Sterbehelferin gehört. Doch vor allem bleibt die großartige Leistung der Hauptdarstellerin Sophie Marceau im Gedächtnis. Sie, die in Frankreich ein Star ist, und doch zwischen den Deneuves, Binoches und Cotillards immer etwas unter Wert wahrgenommen wird, beweist, dass sie eine ausgezeichnete Charakterdarstellerin ist.
Der Film ist zwar in einem bestimmten Milieu angesiedelt – wie in vielen französischen Filmen geht es um die gebildete Oberschicht, Menschen die in schön eingerichteten großen Wohnungen leben, Literatur ebenso zu schätzen wissen wie klassische Musik und bei denen Geld kein Problem ist. Aber die Frage des Verhältnisses zu kranken Eltern ist universell und betrifft in der einen oder anderen Weise die meisten irgendwann.
Alles ist gutgegangen, Regie: François Ozon. Mit Sophie Marceau, Charlotte Rampling und Hanna Schygulla. Frankreich 2021, 109 Minuten, FSK ab 12.