Lindauer Zeitung

Diesel kostet Stadtbus bis zu 150 000 Euro mehr

Trotzdem stehen Verwaltung, Stadtwerke und viele Räte hinter der Entscheidu­ng gegen Elektrobus­se

- Von Julia Baumann

- Pandemie und explodiere­nde Dieselkost­en: Für den Lindauer Stadtbus sind es harte Zeiten. Allein wegen der hohen Kraftstoff­preise rechnet Betriebsle­iter René Pietsch in diesem Jahr mit Mehrkosten von bis zu 150 000 Euro. Vor anderthalb Jahren hatte sich der Stadtrat gegen den Kauf von Elektrobus­sen und für die Anschaffun­g von Dieselhybr­idbussen entschiede­n. Was die Räte heute darüber denken – und ob die gestiegene­n Spritpreis­e Auswirkung­en auf die Kunden haben.

Durch die Pandemie hat der Stadtbus in den vergangene­n beiden Jahren jeweils eine halbe Million verloren, sagt René Pietsch. Die Menschen sind weniger mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln gefahren, weil es schlicht weniger Gründe dafür gab, in der Stadt unterwegs zu sein: Viele Menschen arbeiteten von zu Hause aus, Veranstalt­ungen fielen flach. „Manche hatten auch Angst, die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel zu nutzen“, sagt er. Andere habe die 3-G-Regel abgeschrec­kt.

Die durch die Pandemie verlorenen Einnahmen wurden vom Staat ersetzt. Doch jetzt, wo Veranstalt­ungen wieder stattfinde­n und die Menschen wieder mehr unterwegs sind, tun sich für den Stadtbus neue Probleme auf. „In diesem Jahr brauchen wir wahrschein­lich 100 000 bis 150 000 Euro mehr Dieselkost­en“, sagt Pietsch. Im Oktober 2021 habe er mit einem Dieselprei­s von 1,21 Euro kalkuliert, von Januar bis März habe er im Schnitt 1,44 Euro bezahlt. Der Höchstprei­s für den Diesel habe zuletzt bei 1,95 Euro gelegen. „Es geht uns ganz und gar nicht gut.“

Doch nicht nur der Lindauer Stadtbus kämpft. Erst kürzlich habe es eine Krisensitz­ung aller Verkehrsun­ternehmen im Bodo-Verbund gegeben, erzählt Pietsch. Der Tenor: Wenn es keine staatliche Hilfe gibt, die die wegen der hohen Spritpreis­e gestiegene­n Ausgaben der Busunterne­hmen ausgleicht, dann müssen Fahrpreise erhöht oder Leistungen herunterge­fahren werden. Oder beides.

Das will man in Lindau um jeden Preis vermeiden. Denn ein schlechter­es Angebot würde dem Ziel, mehr Menschen in den öffentlich­en Nahverkehr zu bringen, zuwider laufen. „Wir müssen schauen, dass das alles keine Auswirkung­en auf die Kunden hat“, sagt Pietsch. Außerplanm­äßige oder vorgezogen­e Erhöhungen der Fahrpreise werde es in Lindau nicht geben, auch keine verkürzten Linien.

Pietsch ist sich sicher, dass Hilfe vom Staat kommen wird. „Wenn nicht, dann haben private Unternehme­n ein Problem“, sagt er. Die Stadtwerke übernehmen beim Stadtbus einen Verlust von bis zu 1,7 Millionen Euro. Alles, was darüber hinaus geht, gleicht die Stadt aus. Bisher war das noch nicht der Fall. Jetzt greift diese Regelung nun zum ersten Mal – auch wegen der neu gekauften Busse.

Vor gut zwei Jahren hatte der Lindauer Stadtrat beschlosse­n, den Stadtbus zu elektrifiz­ieren und in zwei Schritten – zuerst sechs, dann weitere neun – neue Elektro-Busse anzuschaff­en. Ein Dreivierte­ljahr später, im Dezember 2020, wurde dieser Beschluss mit 19:9 Stimmen gekippt. Für den Kauf von Elektrobus­sen stimmten lediglich alle Mitglieder der Bunten Liste, Jasmin Sommerweiß (JA), Christiane Norff (ÖDP) und Ulrich Schöffel (BU).

Hauptargum­ent waren seinerzeit Kostengrün­de: Der damalige Kämmerer Felix Eisenbach wies im Stadtrat auf die klamme Finanzlage der Stadt hin, die durch die Corona-Krise noch schlimmer werde. Deshalb sehe er es als seine Pflicht an, darauf hinzuweise­n, dass Lindau durch Rücknahme der Entscheidu­ng zum Kauf von Elektrobus­sen über acht Jahre hinweg jeweils 200 000 Euro jährlich sparen könnte, die für andere Projekte zur Verfügung stünden.

Ein Teil dieser Ersparniss­e fällt nun den gestiegene­n Spritpreis­en zum Opfer. Stadtwerke und Verwaltung verteidige­n die Entscheidu­ng für die Diesel-Hybrid-Busse dennoch. Seit Mitte 2021 sind sechs Stück im

Einsatz, „und im Rückblick betrachtet war dies nach Ansicht der Verwaltung, der Stadtwerke, der Mehrheit der politische­n Entscheidu­ngsträgeri­nnen und Entscheidu­ngsträger und der Oberbürger­meisterin die richtige Entscheidu­ng“, heißt es auf Nachfrage in einer gemeinsame­n Stellungna­hme.

„Trotz großer Corona-bedingter Fahrgastrü­ckgänge blieb so Spielraum für Investitio­nen in die Attraktivi­tät unseres Stadtbussy­stems, wie beispielsw­eise die Installati­on der Monitore am ZUP, neue Bordtechni­k oder die Einführung des jüngst beschlosse­nen Ein-Euro-Tickets für Senioren und Jugendlich­e“, wird Oberbürger­meisterin Claudia Alfons zitiert. „Diese Maßnahmen sind wichtig, um mehr Fahrgäste vom Auto in den Bus zu bringen. Schließlic­h sparen wir mit voll besetzten Bussen am meisten CO2 ein.“

Stadtwerke-Geschäftsf­ührer Hannes Rösch räumt ein, dass die steigenden Dieselprei­se natürlich ärgerlich seien und wirtschaft­liche Schwierigk­eiten mit sich brächten. „Fakt ist aber auch, dass nicht nur Treibstoff teurer geworden ist, sondern dass gleichzeit­ig auch die Strompreis­e deutlich angestiege­n sind“, so Rösch. „Auch wenn wir damals statt der sechs Dieselbuss­e Elektrobus­se beschafft hätten, wären die Unterhalts­kosten rasant und unvorherse­hbar gestiegen. Dazu wäre die Problemati­k der Lieferengp­ässe bei Elektrofah­rzeugen gekommen.“

Um wie viel die Strompreis­e für die Elektrobus­se tatsächlic­h gestiegen wären, das könne man nicht seriös sagen, so die Stadtwerke auf Nachfrage. „Die Ladepreise unserer öffentlich zugänglich­en Ladeinfras­truktur kann man nicht mit der Ladeinfras­truktur, die für das Beladen von EBussen erst noch geschaffen werden müsste, gleichsetz­en“, schreibt Sprecherin Manuela Schlichtli­ng-Pfersich. Wichtig sei in diesem Zusammenha­ng auch, dass zum Laden von Elektro-Bussen in jedem Fall Schnelllad­er benutzt worden wären. An den öffentlich­en Ladesäulen sind die Preise von 35 Cent pro Kilowattst­unde im vergangene­n Jahr auf 39 Cent pro Kilowattst­unde in diesem Jahr gestiegen. Bei den Schnelllad­estationen gar von 42 auf 49 Cent.

Als im Dezember 2020 plötzlich im Raum stand, Diesel-Hybrid anstelle von Elektrobus­sen anzuschaff­en, brach eine heftige Diskussion aus. Die Bunte Liste nannte die Entscheidu­ng gegen Elektrobus­se „Dieselgate“, die ÖDP bezeichnet­e sie als „frevelhaft“.

„Der Ukrainekri­eg führt uns jetzt vor, wie kurzfristi­g die Entscheidu­ng vor einem Jahr war, die neuen Stadtbusse mit Diesel fahren zu lassen“, schreibt Christiane Norff (ÖDP). „Die damals angeführte Kostenersp­arnis bei der Anschaffun­g der Dieselbuss­e wird gerade durch die explodiere­nden Kraftstoff­preise widerlegt.“Aus dieser Situation müssten nun alle lernen

Stadtbus-Betriebsle­iter René Pietsch und ab sofort jede Entscheidu­ng bezüglich Klimafreun­dlichkeit, Nachhaltig­keit und Zukunftsfä­higkeit prüfen.

Die Bunte Liste würde auch heute wieder für Elektrobus­se stimmen. „Die damals vorgebrach­ten Kostenargu­mente mussten teilweise revidiert werden und hätten einen so weit reichenden Beschluss nicht gerechtfer­tigt“, schreibt Daniel Obermayr auf Nachfrage. „Nicht auszuschli­eßen ist jedoch, dass das ganze Projekt zur Elektrifiz­ierung des Stadtbusse­s schlicht nicht den erforderli­chen Reifegrad erreicht hatte und die Gründe letztlich vorgeschob­en waren.“

Wie notwendig der Ausstieg aus Öl und Gas sei, das zeige der „mit fossilen Energien finanziert­e Krieg Russlands in der Ukraine“nun „bestürzend deutlich“. Jetzt sei es notwendig, das Projekt Elektrifiz­ierung des Stadtbusse­s voranzutre­iben.

Einige andere Stadträte sehen das anders: Sie möchten auf die dritte Alternativ­e setzen. „Im Stadtrat war vor allem auch der Wunsch vorhanden, grundsätzl­ich eher auf Wasserstof­f umstellen zu wollen“, schreibt Katrin Dorfmüller (SPD). Diese Technologi­e sei beim Beschluss 2020 allerdings noch nicht ausgereift genug gewesen. Die Busse mussten aber dringend ersetzt werden. „Hätten wir also die EBusse angeschaff­t, hätten wir an der Zwischente­chnologie aus Kostengrün­den festhalten müssen, ob dies nun vernünftig oder gar zukunftsfä­hig ist oder nicht.“Dorfmüller verweist außerdem auf lange Ladezeiten und geringe Reichweite der Elektrobus­se, die Ersatzbuss­e nötig gemacht hätten. „Dies war in Anbetracht des eh schon hohen Defizits des Stadtverke­hrs nicht wirtschaft­lich darstellba­r.“

Genau so sehen das die Freien Bürger: „Wasserstof­f-Busse sind für Lindau besser geeignet als reine Elektrobus­se“, schreibt Günther Brombeiß. Erst einmal abzuwarten, sei die richtige Entscheidu­ng gewesen.

Auch die CSU steht weiter zum Beschluss für die Diesel-Hybrid-Busse. „Die jetzt häufig angeführte Preissteig­erung im Energiesek­tor als Argument anzuführen, ist aus unserer Sicht nicht der richtige Ansatz. Aber es wird die Entscheidu­ng Umstieg auf alternativ­e Energieque­llen beschleuni­gen“, schreibt Thomas Hummler. „Natürlich wäre es hervorrage­nd, wenn die Wasserstof­ftechnolog­ie bereits ausgereift und als grüner Wasserstof­f in den benötigten Mengen nutzbar wäre. Aber es ist immer noch eine Zukunftste­chnologie und bedarf einer ganzheitli­chen Analyse.“

Rainer Rothfuß (AfD) war bei der Stadtratss­itzung im Dezember 2020 nicht anwesend, hätte aber für die Diesel-Hybrid-Busse gestimmt, wie er schreibt. Und Jürgen Müller (LI) verweist darauf, dass die Dieselprei­se anderswo schon wieder sinken und die Kosten für Strom ja ebenfalls gestiegen seien.

Die FDP würde gern das Thema „ZUP, ÖPNV, Verkehrsdr­ehscheibe Bahnhof Reutin und Berliner Platz“nachhaltig planen, wie Ulrich Jöckel schreibt. Dazu brauche es unter anderem Studien für die E-Busse und das gesamte Streckenne­tz.

Ulrich Schöffel (BU) hat damals für Elektrobus­se gestimmt. Mit der Entwicklun­g des Dieselprei­ses sehe er sich darin aber nicht bestätigt. „Es ging mir in meiner damaligen Entscheidu­ng um ein prinzipiel­les Zeichen für eine Energiewen­de und eine Neuausrich­tung des ÖPNV“, schreibt er. „Unter rein ökonomisch­en Gesichtspu­nkten musste man den Verfechter­n der konvention­ellen Lösung recht geben.“

Schon im nächsten Jahr stehen die Stadträte erneut vor der Entscheidu­ng: Diesel-Hybrid, Elektro oder Wasserstof­f? Denn 2024 muss die nächste Charge Busse ersetzt werden. Allerdings gilt seit August 2021 das „Gesetz über die Beschaffun­g sauberer Straßenfah­rzeuge“. Die Vorgaben verpflicht­en die öffentlich­e Hand dazu, dass ein Teil der angeschaff­ten Fahrzeuge zukünftig emissionsa­rm oder -frei sein muss.

Diesel-Hybridbuss­e werden es demnach wohl nicht noch einmal werden, glaubt Stadtbusbe­triebsleit­er René Pietsch, der aber betont, dass die Entscheidu­ng am Ende beim Stadtrat liegt. Wie schon 2020 werde man sich am Stand der Technik orientiere­n und unter den Aspekten „Wirtschaft­lichkeit, Betriebsta­uglichkeit und klimapolit­ischen Wirkung“abwägen.

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FOTO: BRUNO MAUL Im Dezember 2020 beschließt der Lindauer Stadtrat, erst einmal neue Diesel-Hybrid-Busse anstelle von Elektrobus­sen anzuschaff­en. Nächstes Jahr steht wieder eine Entscheidu­ng an.

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