Warum Pilgern verbindet
Stammtisch bietet Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch – Interessierte sind willkommen
- Sie hat ihre Wohnung gekündigt, die Möbel in einer Spedition eingelagert, ihrer Tochter persönliche Sachen zur Aufbewahrung gegeben und sich dann in ein Flugzeug Richtung Barcelona gesetzt. Ihr Ziel: der Jakobspilgerweg entlang der spanischen Nordküste von der Grenzstadt Irun bis Santiago de Compostela. Das war vor zehn Jahren, im Mai 2012. Weil Eva Kaiser auch heute noch gern in dieses „Pilgergefühl“eintaucht, hat sie in Lindau nun einen Pilgerstammtisch gegründet – und hofft, dass noch weitere Interessierte dazukommen.
Mehr als 800 Kilometer lang ist der nordspanische Jakobsweg, der „Camino del Norte“. Eva Kaiser, die damals gerade in Rente gegangen war und sich einen lang gehegten Wunsch erfüllt hat, hat sich viel Zeit für diesen Küstenweg gelassen, hat an manchen Stationen etwas länger verweilt und war insgesamt drei Monate lang unterwegs. Der Ausblick aufs Meer, die aufblühende Natur, die Gastfreundschaft in den Pilgerherbergen, die Begegnungen mit anderen Pilgern und die Jakobsmuscheln entlang des Weges – all dies hat sich ihr tief eingeprägt. „Wenn man alleine unterwegs ist, dann nimmt man die Gegend anders wahr“, sagt die heute 76-Jährige.
Geschmack am Pilgern gefunden hat die gebürtige Lindauerin zunächst durch mehrtägige Pilgerausflügen ihrer Pfarrgemeinde in Kempten,
wo sie etwa 40 Jahre lang gelebt hat. Immer wieder hat sie an solchen Reisen teilgenommen, beispielsweise nach La Salette, Padua und Assisi. So sei in ihr im Laufe der Jahre der Wunsch gewachsen, den Jakobsweg in Spanien zu gehen. Auch in den Jahren nach ihrer Rückkehr machte die Rentnerin ungewöhnliche Unternehmungen: Sie lebte auf einer Alpe im Kleinen Walsertal, half sie bei der Traubenernte im Kaiserstuhl und pilgerte ein Stück des Schweizer Jakobswegs. Seit 2017 lebt sie wieder in Lindau und gehört auch zu dem Team, das sich um die Pilgerherberge im Oberreutiner Weg kümmert.
Über ihre Erlebnisse tauscht sich Eva Kaiser gerne mit anderen Pilgern aus, die zum monatlichen Pilgerstammtisch kommen. Einer von ihnen ist Roland Hirscher (65) aus Argenbühl. Er hat vor, nach Santiago de Compostela zu pilgern und nutzt den Erfahrungsaustausch zur Vorbereitung. In dieser geselligen Runde zeigt sich auch, wie unterschiedlich die Gründe sein können, die jemanden zum Pilgern motivieren. Roland Hirschers Interesse hat vor etwa zehn Jahren ein Dokumentarfilm über das Mittelalter geweckt, in dem die Hauptfigur nach Santiago de Compostela gelaufen ist. „Das hat mich fasziniert“, erzählt der 65-jährige, der sich auch sonst viel für Geschichte und fürs Wandern interessiert. Martin Görlach (67) aus Weißensberg
ist wiederum durch seine Tochter zum Pilgern gekommen. Sie sei von Sevilla nach Santiago de Compostela unterwegs gewesen, als sie etwa auf halber Strecke krank wurde und abbrechen musste. Einige Jahre später habe sie diesen zweiten Abschnitt nachgeholt – gemeinsam mit ihrem Vater. Das war im Mai 2015. Zwei Jahre später ist er dann alleine den kurzen Abschnitt der Jakobswegs von Bratislava nach Wien gegangen. Seine wichtigste Erfahrung beim Pilgern beschreibt er so: „Man weiß wieder, was wirklich wichtig ist. Man vergisst den Alltagsdruck und erlebt, dass man auch mit wenig zurechtkommen kann und trotzdem zufrieden ist. Und wenn man müde ist, dann legt man sich dahin, wo man einen Platz bekommt“, erzählt er. Kurzum: „Man ist mit dem Weg beschäftigt, denkt von einer Etappe zur nächsten und die Gedanken verlieren sich darin. Man hat keine Verantwortung außer für sich selbst“, sagt er.
Die drei gehören zum Kern des Pilgerstammtischs, der sich jeden ersten Mittwoch eines Monats um 18 Uhr im Gasthaus „Waldhaus“im Motzacher Weg trifft.
Sie würden ihre Runde gerne vergrößern und freuen sich über weitere Interessierte. Willkommen sind alle, die schon einmal einen Pilgerweg gegangen sind oder vorhaben, einen Pilgerweg zu gehen.