Zu schnell, aber zu „langsam“für 315d
Warum der Raserparagraf umstritten ist, zeigt ein aktueller Fall vor Gericht
Seit 2017 stellt der so genannte Raserparagraf illegale Autorennen unter Strafe. Unter Juristen ist dieser Paragraf 315d des Strafgesetzbuchs allerdings seit seiner Einführung umstritten.Das betrifft insbesondere jenen Passus, wonach der Straftatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens auch durch einen einzelnen Raser erfüllt werden kann, also ohne einen Gegner. Warum das umstritten ist, zeigt der Fall eines jungen Mannes, der am Montag in Tettnang vor Gericht stand, weil er auf dem Weg zu einer Shisha-Bar in Friedrichshafen das Gaspedal des 340-PS-Daimlers seines Vaters zu weit nach unten gedrückt hatte.
Zusammen mit einem Kumpel war der 21-Jährige an jenem Abend im November stadtauswärts auf der Eckenerstraße unterwegs, schneller als erlaubt, wie er selbst vor Gericht einräumte. Etwa 70 statt der erlaubten 50 Stundenkilometer habe der Tacho angezeigt, als ihm gegen 23.15 Uhr ein Streifenwagen der Polizei entgegenkam, der gerade aus der Gebhardstraße eingebogen war. Er habe die Geschwindigkeit dann etwas reduziert und sei weitergefahren – bis die Polizei, die zwischenzeitlich gewendet und die Verfolgung aufgenommen hatte, ihn kurz vor der Brücke über die Bahnlinie zum Anhalten aufforderte. Als die Beamten ihn mit dem Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens konfrontierten, sei er geschockt gewesen. „Wir waren auf dem Weg zu einer Shisha-Bar und hatten es nicht eilig. Ein Rennen war überhaupt nicht meine Intention“, konstatierte der junge Mann, dessen Fall nur deshalb öffentlich vor Gericht verhandelt wurde, weil er gegen den entsprechenden Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte.
Der Polizeibeamte, der an jenem Abend am Steuer des Streifenwagens saß, berichtete nun, dass der Daimler so schnell an ihm vorbeigefahren sei, dass der eigene Wagen durch den Windzug gewackelt habe. Ein Ehepaar, das damals zu Fuß die Straße entlang gegangen und durch den laut aufheulenden Motor aufgeschreckt worden war, schätzte die Geschwindigkeit vor Gericht auf über 80 beziehungsweise über 90 Stundenkilometer. Der Polizeibeamte beschleunigte den Streifenwagen laut Tacho bis auf 125 Stundenkilometer, schaffte es nach eigener Aussage aber trotzdem über zehn bis 15 Sekunden nicht, den Abstand auf das verfolgte Fahrzeug zu verringern. Dass der Verfolgte vor der Polizei abhauen wollte, diesen Eindruck hatte der Beamte zwar nicht. Um den Straftatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu erfüllen, ist das aber auch gar nicht erforderlich. Nach Paragraf 315d Strafgesetzbuch reicht es, sich mit „nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos“fortzubewegen, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Es ist insbesondere der letzte Halbsatz, der unter Juristen umstritten ist, weil nicht wenige ihn für zu schwammig halten. Beziehungsweise für nicht ausreichend bestimmt im Sinne des Artikels 103 des Grundgesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Paragrafen zwar jüngst für verfassungsgemäß erklärt. Das machte die Entscheidung für Richter Pahnke im aktuellen Fall aber auch nicht einfacher. Letztlich folgte er nicht der Ansicht der Staatsanwältin, die aufgrund der Zeugenaussagen den Straftatbestand als erfüllt gesehen und eine Strafe über 70 Tagessätze á zehn Euro samt Fahrverbot für acht Monate gefordert hatte. Stattdessen sah er es ähnlich wie der Verteidiger, der festgestellt hatte, dass sein Mandant auf kerzengerader Strecke mit einem 340-PS-Auto theoretisch auch 200 und mehr Stundenkilometer hätte fahren können. Die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen sei aber eben nicht seine Intention gewesen. „Nicht jeder Verstoß gegen die Höchstgeschwindigkeit ist ein Kraftfahrzeugrennen“, stellte dann auch der Richter fest und wertete den Verstoß nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit. Der bislang nicht negativ aufgefallene 21-Jährige muss jetzt ein Bußgeld über 200 Euro zahlen und für einen Monat den Führerschein abgeben.