Linken-Chefin wirft hin
Hennig-Wellsow begründet Entscheidung mit Sexismus in der Partei – Co-Vorsitzende Wissler nun im Fokus
- Die Nachricht schlug in der linken Parteizentrale wie ein Blitz ein. Im Karl-Liebknecht-Haus versichert man, erst über Twitter und durch die diversen Eilmeldungen erfahren zu haben, dass Susanne Hennig-Wellsow nach nur 14 Monaten an der Parteispitze das Handtuch geworfen hat. Die zuvor in Thüringen sehr erfolgreiche Politikerin war bundesweit durch einen anderen Wurf bekannt geworden. Als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD in Erfurt zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, knallte die damals 42-Jährige dem Liberalen die Glückwunschblumen vor die Füße.
Ihr Rücktritt als Bundesparteivorsitzende kam nach ihren eigenen Worten nicht ganz so spontan. Nach „reiflicher Überlegung“habe sie sich schweren Herzens zu dem Schritt entschlossen.
Hennig-Wellsow nennt drei Gründe: erstens, die persönliche Situation, womit vor allem die fehlende Zeit für ihren achtjährigen Sohn gemeint ist. Zweitens, die schwierige Lage, in der sich ihre Partei befindet. Mitglieder und Wähler seien enttäuscht worden und sie selbst habe Fehler gemacht. Die Linke habe es verdient, von Menschen geführt zu werden, die unseren Anhängern und Mitgliedern „wieder Mut machen“, schreibt Hennig-Wellsow in ihrer Erklärung. Und drittens habe „der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen eklatante Defizite unserer Partei offengelegt“.
Allzu lange ging Hennig-Wellsows Amtszeit damit nicht: Gut ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl war sie auf einem Parteitag gemeinsam mit Janine Wissler an die Spitze der Linken gewählt worden. Die Partei
war bei der Wahl dann deutlich von 9,2 auf 4,9 Prozent abgerutscht und nur wegen dreier Direktmandate überhaupt wieder ins Parlament eingezogen.
Nicht zuletzt bei den Linken selbst versteht man das als Signale an Janine Wissler, ebenfalls über einen Rücktritt nachzudenken. In die zur Debatte stehenden, mutmaßlichen sexuellen Übergriffe im Landesverband Hessen soll der ehemalige Lebensgefährte Wisslers maßgeblich verwickelt gewesen sein. Der Vorwurf: Wissler habe als Landesvorsitzende nicht rechtzeitig und entschieden genug gehandelt. Wissler bestreitet das energisch, aber die Vorfälle in Hessen haben schon vor dem Rücktritt zur Einberufung einer Sondersitzung des Parteivorstandes geführt, die bei Redaktionsschluss noch andauerte.
Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch findet, „dass die Vorwürfe sehr ernst genommen werden müssen“. Gleichzeitig appelliert er an seine Partei, „gesellschaftlich eingriffsfähig zu bleiben“.
Auf einem Programmparteitag im Juni wollten die Linken über die für sie desaströse Bundestagswahl und über den schlechten Allgemeinzustand der Partei reden. Nun muss der Parteitag wohl zu einem Wahlparteitag umfunktioniert werden. „Ich werde vorschlagen, dass wir auf dem Parteitag im Juni den Parteivorstand neu wählen und die notwendigen Weichen stellen“, lässt prompt Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler wissen.
Dass das Ende der Partei bevorsteht, glaubt Dietmar Bartsch nicht. „Richtig ist, dass wir in einer schweren Krise sind. Wir haben aber schon ganz anderes überstanden.“Vorerst aber ist völlig unklar, wer die Partei in Zukunft führen soll.