Lindauer Zeitung

Hufschmied rettet vernachläs­sigtes Pferd

Viel zu lange Hufe – Kaltblutst­ute kann kaum mehr stehen

- Von Sandra Philipp

- Angel schwebt. Allerdings nicht leichtfüßi­g über eine saftige grüne Wiese, wie man es der Schimmelda­me wünschen möchte. Nein. Sie hängt, von fünf Gurten gehalten, an einem Schwebelif­t im Hufzentrum von Fabian Kaiser. Das Tier ist aus schlechter Haltung befreit worden. Im Deggenhaus­ertal hat sie bei ihren Rettern ein neues Zuhause gefunden.

Welches Leid die junge Kaltblutst­ute in ihrem kurzen Leben bereits erdulden musste, ist sehr schwer in Worte zu fassen. Nur so viel: Das Horn an ihren Hufen rollte sich bereits nach oben, da es über Jahre nicht oder nur mäßig gekürzt wurde. Hinzu kommt eine schmerzhaf­te Entzündung der Huflederha­ut, eine sogenannte Hufrehe, die – dermaßen fortgeschr­itten – einem Todesurtei­l gleichkomm­t.

In Angel aber steckt eine Kämpferin. „Sie hat unsere Seele berührt und ist so dankbar für alles Gute, was wir ihr entgegenbr­ingen.“Ergriffen spricht Melanie Kaiser von der Stute, deren geschunden­er Körper im Augenblick nicht so recht zu ihrem eindrucksv­ollen Hals und ihrem kräftigen Hinterteil passen will.

Sollten ihr Mann Fabian und all diejenigen Erfolg haben, die sich an Angels Rettung beteiligen, kann sich die junge Schimmelda­me in eine imposante Kaltblutst­ute verwandeln. Doch das ist ein langer Weg. „Unser Tierarzt bestärkt mich. Er glaubt, dass wir eine Chance haben, das Pferd zu retten“, sagt Fabian Kaiser.

Bereits seit einigen Jahren arbeiten er und Tierarzt Dr. Carsten Holtschmid­t

Hand in Hand, wenn es um Hufproblem­e bei Pferden geht. „Einen Fall wie diesen habe ich allerdings noch nie erlebt“, berichtet der 37-jährige Hufschmied. In einem Bearbeitun­gs-Marathon von drei Stunden hat er gut sechs Kilogramm Horn von Angels Füßen geschnitte­n.

Obwohl sie der sanftmütig­en Stute Schmerzmit­tel gegeben und sie zur Behandlung in einen Schwebelif­t gehängt haben, sei sie kaum in der Lage gewesen, den Huf aufzuheben. „Sie hatte dermaßen Schmerzen und konnte das Gleichgewi­cht kaum halten. Es mussten zwei Personen auf einer Seite gegen das Pferd drücken, um sie auf den Beinen zu halten“, berichtet Kaiser. Seither sind zwei Wochen vergangen, und Angel hängt tapfer in den Gurten. Sie zeigt inzwischen deutlich, welche Erleichter­ung der Eingriff ihr verschafft hat.

Bereits einen Tag nach dem Bearbeitun­gs-Marathon bewegte sich die 1,71 Meter große Stute freiwillig im Lifter. „Sie genießt ihr neues Lebensgefü­hl und das inzwischen ganz ohne Schmerzmit­tel“, erzählt Fabian Kaiser. „In kleinen Schritten geht es bergauf.“

Der Schwebelif­t entlastet die Pferdebein­e um 20 Prozent des körpereige­nen Gewichts. „Sobald der Reheschub vorbei ist, darf sie wieder komplett auf ihren eigenen Hufen stehen“, erklärt Kaiser, der 2019 sein Hufzentrum in Wahlweiler eröffnet hat. Er schätzt allerdings, dass das noch vier bis sechs Wochen dauern wird. „Dann können wir uns hoffentlic­h der Regenerati­on des Bewegungsa­pparats und dem Muskelaufb­au widmen.“Unterstütz­ung bekommt er dabei von der Pferde-Osteopathi­n und Physiother­apeutin

Silke Ziebarth. Es wird einige Zeit brauchen, bis im besten Fall aus der gepeinigte­n Stute eine rassetypis­ch schwere und stolze Schimmelda­me wird. Denn das Tier hat, so berichtet es Fabian Kaiser, in seinen jungen Jahren bereits mehr Leid erlebt, als andere in einem ganzen Pferdelebe­n. „Sie kommt, so hat man mir erzählt, von Menschen, die es im Grunde nicht schlecht mit ihr meinten.“

Allerdings hätten Alkohol und psychische Probleme dazu geführt, dass die ehemaligen Besitzer ihr Tier dermaßen vernachläs­sigten. Seit Jahren hat das Pferd keinen Hufschmied gesehen. Doch im Gegensatz zu ihren wilden Vorfahren, die viele Kilometer am Tag zurücklegt­en, läuft sich das überschüss­ige Horn nicht von alleine ab.

Vor Schmerzen hat die Stute wohl viele Stunden am Tag liegend im Schuppen verbracht, erzählt Kaiser. „Wäre die örtliche Tierärztin nicht eingeschri­tten und hätte darauf eingewirkt, dass die das Pferd abgeben, dann wäre das ihr Todesurtei­l gewesen.“Tierärztin Martina Bernauer hat dafür gesorgt, dass Angel mit der Tierrettun­g Oberschwab­en ins Deggenhaus­ertal kam und dort ein neues Leben beginnen darf.

„Es ist toll, wie viele Menschen hier an einem Strang ziehen, um dieser arme Seele ein neues Leben zu schenken“, fasst Melanie Kaiser ihre Gefühle in Worte. „Und wir geben sie auch nicht mehr her. Angel hat bei uns einen Platz auf Lebenszeit – egal, ob wir sie eines Tages vielleicht sogar reiten können oder ob sie ,nur’ ein glückliche­s Koppelpfer­d wird. Das hat sie einfach verdient.“

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FOTO: SANDRA PHILIPP Vertrauens­voll lehnt sich Angel an seine neuen Besitzer Melanie und Fabian Kaiser.
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FOTO: FABIAN KAISER Das sieht selbst ein Hufschmied nicht alle Tage: Das Horn am Pferdehuf ist viel zu lang.

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