Lindauer Zeitung

Abkühlphas­e für Spitzenpol­itiker

Welche Regeln in Baden-Württember­g beim Wechsel in die Wirtschaft gelten sollen

- Von Kara Ballarin

- Schluss mit dem fließenden Übergang von der Politik in die Wirtschaft: Baden-Württember­g will eine Abkühlphas­e für Regierungs­mitglieder einführen. Einen entspreche­nden Gesetzentw­urf hat die Landesregi­erung noch vor Ostern auf den Weg gebracht. Für die SPD greift der grün-schwarze Vorschlag viel zu kurz. Vor allem ein Detail stößt auch Organisati­onen wie Lobbycontr­ol und Transparen­cy Internatio­nal sauer auf.

Worum geht es?

Immer wieder sorgt der Wechsel von Politikern zu Unternehme­n oder Verbänden für öffentlich­en Unmut. Der Vorwurf: Ehemalige Minister oder Staatssekr­etäre nutzen ihr Wissen und ihre Kontakte, um sich einen lukrativen Job zu angeln. Im schlimmste­n Fall könnten sie einen Wechsel schon durch Entscheidu­ngen während ihrer Amtszeit vorbereite­t haben. Das hat das Potenzial, das Vertrauen in die Unabhängig­keit der Politik insgesamt zu schwächen.

Welche Gegenmitte­l gibt es?

Der Bund sowie sieben der 16 Bundesländ­er haben eine Karenzzeit in ihre Minister- und Staatssekr­etärgesetz­e aufgenomme­n. Als Auslöser auf Bundeseben­e gilt der Fall des ehemaligen Kanzleramt­schefs Ronald Pofalla (CDU), der nach seinem Ausscheide­n aus der Regierung zum Cheflobbyi­sten der Deutschen Bahn wurde. Auch vor ihm gab es viele prominente Fälle. Heftige Kritik erntete etwa Gerhard Schröder (SPD), als er kurz nach dem Ende seiner Kanzlersch­aft 2005 den Vorsitz im Aufsichtsr­at der Nord Stream AG übernahm, die mehrheitli­ch der russischen Gazprom gehört.

Wie ist die Abkühlphas­e in Bund und Ländern geregelt?

Die Regelungen im Bund sowie in Brandenbur­g, Hamburg, Hessen, Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen ähneln sich stark. Überall müssen ehemalige Regierungs­mitglieder ein bis zwei Jahre nach Ausscheide­n aus dem Amt bei der Regierung melden, wenn sie einen Job annehmen möchten. Mancherort­s bindet die Regierung bei der Prüfung von Interessen­konflikten ein Beratungsg­remium ein. Auch die Dauer eines Verbots variiert je nach Land zwischen einem und zwei Jahren. In der Regel bekommen die Ex-Minister und -Staatssekr­etäre so lange Übergangsg­eld.

Gab es im Südwesten Auslöser? Diskutiert wird ein solches Gesetz schon lange. 2019 bereits hatte die grün-schwarze Koalition eine Karenzzeit­regelung angekündig­t. Weil die auf sich warten ließ, hat die opposition­elle SPD 2020 einen eigenen Gesetzentw­urf in den Landtag eingebrach­t – und ein weiteres Mal im Februar dieses Jahres. Aktueller Anlass für den zweiten Anlauf der SPD war der Wechsel von Ex-Umweltmini­ster Franz Unterstell­er in die Wirtschaft. Seit Mai 2021 gehört der Grünen-Politiker nicht mehr der Landesregi­erung an, seit Januar 2022 berät er den Mannheimer Energiever­sorger MVV – im Umfang von einem Tag pro Woche, wie er betont.

Unterstell­er reagierte mit Unverständ­nis auf die Kritik. Die FDP im Stuttgarte­r Landtag warf ihm nämlich vor, in dem Bereich tätig zu sein, für den er zuvor politisch verantwort­lich war.

Der Karenzzeit-Gesetzentw­urf der SPD scheiterte an der grünschwar­zen Mehrheit. Florian Hassler, Staatssekr­etär im Staatsmini­sterium von Winfried Kretschman­n (beide Grüne), stellte einen Regierungs­entwurf bis Ostern in Aussicht.

Was plant Baden-Württember­g? Der grün-schwarze Entwurf orientiert sich stark an der Bundesrege­lung. Ab kommendem Jahr sollen auch im Südwesten Minister und Staatssekr­etäre in den ersten 18 Monaten nach Ausscheide­n aus ihrem Amt Beschäftig­ungen bei der Landesregi­erung anmelden. Die Regierung kann den Jobwechsel um ein Jahr verzögern, in gravierend­en Fällen

um eineinhalb Jahre. Wie im Bund soll auch im Land ein dreiköpfig­es Beratungsg­remium aus externen Fachleuten die Einzelfäll­e auf Interessen­konflikte prüfen.

Was ist anders?

Der Bund und die anderen Länder nennen in ihren Regelungen zwei Anlässe für ein Verbot. Ein solches greift dann, „wenn die angestrebt­e Beschäftig­ung das Vertrauen der Allgemeinh­eit in die Integrität der Landesregi­erung beeinträch­tigen“könnte. So steht es auch im SüdwestEnt­wurf. Die Landesregi­erung verzichtet allerdings auf den zweiten Passus. Der greift, „wenn die angestrebt­e Beschäftig­ung in Angelegenh­eiten oder Bereichen ausgeübt werden soll, in denen das ehemalige hauptamtli­che Mitglied der Landesregi­erung während seiner Amtszeit tätig war“. Ein solcher Passus fehlt im Regierungs­entwurf komplett.

Warum schert das Land aus? Grün-Schwarz geht die Bundesrege­lung, an der sich auch der SPD-Entwurf orientiert­e, zu weit, erklärt Staatssekr­etär Hassler. „Das ist uns zu pauschal. Ohne das genauer zu prüfen, ob es wirklich einen Interessen­konflikt gibt, erscheint uns der SPD-Text zu hart.“Wichtig sei, dass ein externes Gremium die Einzelfäll­e auf Interessen­konflikte abklopfe.

Welche Reaktionen gibt es? Nichtregie­rungsorgan­isationen fordern lange schon dreijährig­e Karenzzeit­en – auch im Südwesten, wie Anne Isakowitsc­h von Lobbycontr­ol betont. Dass im Entwurf keine konkreten Rahmenbedi­ngungen zu finden sind, um Ex-Regierungs­mitglieder­n einen Job vorübergeh­end zu untersagen, bezeichnet sie als „erhebliche Schwäche“. Auch Siegfried Gergs von Transparen­cy Internatio­nal nennt die Regelung zu unpräzise. Er wünscht sich außerdem Sanktionen bei Verstößen wie in Thüringen. Dort drohen Ordnungsge­lder bis zur Hälfte eines Bruttojahr­esgehalts. SPD-Chef Stoch kündigte an, für Nachbesser­ungen am Gesetz zu kämpfen.

Differenzi­erter äußerte sich indes der Heidelberg­er Staats- und Verfassung­srechtler Bernd Grzeszick. „Die generelle Ausrichtun­g des Gesetzes wird dadurch nicht geändert“, erklärt er. „Daher habe ich damit grundsätzl­ich kein Problem.“Der Anwendungs­bereich werde nicht beschnitte­n. Bei der Abwägung der Schutzgüte­r lege der Regierungs­entwurf etwas mehr Gewicht auf die Berufsfrei­heit.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Franz Unterstell­er (Grüne) war Umweltmini­ster in Baden-Württember­g, inzwischen berät er den Mannheimer Energiever­sorger MVV. Solche Wechsel sollen künftig reguliert werden.

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