Abkühlphase für Spitzenpolitiker
Welche Regeln in Baden-Württemberg beim Wechsel in die Wirtschaft gelten sollen
- Schluss mit dem fließenden Übergang von der Politik in die Wirtschaft: Baden-Württemberg will eine Abkühlphase für Regierungsmitglieder einführen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Landesregierung noch vor Ostern auf den Weg gebracht. Für die SPD greift der grün-schwarze Vorschlag viel zu kurz. Vor allem ein Detail stößt auch Organisationen wie Lobbycontrol und Transparency International sauer auf.
Worum geht es?
Immer wieder sorgt der Wechsel von Politikern zu Unternehmen oder Verbänden für öffentlichen Unmut. Der Vorwurf: Ehemalige Minister oder Staatssekretäre nutzen ihr Wissen und ihre Kontakte, um sich einen lukrativen Job zu angeln. Im schlimmsten Fall könnten sie einen Wechsel schon durch Entscheidungen während ihrer Amtszeit vorbereitet haben. Das hat das Potenzial, das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Politik insgesamt zu schwächen.
Welche Gegenmittel gibt es?
Der Bund sowie sieben der 16 Bundesländer haben eine Karenzzeit in ihre Minister- und Staatssekretärgesetze aufgenommen. Als Auslöser auf Bundesebene gilt der Fall des ehemaligen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU), der nach seinem Ausscheiden aus der Regierung zum Cheflobbyisten der Deutschen Bahn wurde. Auch vor ihm gab es viele prominente Fälle. Heftige Kritik erntete etwa Gerhard Schröder (SPD), als er kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft 2005 den Vorsitz im Aufsichtsrat der Nord Stream AG übernahm, die mehrheitlich der russischen Gazprom gehört.
Wie ist die Abkühlphase in Bund und Ländern geregelt?
Die Regelungen im Bund sowie in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen ähneln sich stark. Überall müssen ehemalige Regierungsmitglieder ein bis zwei Jahre nach Ausscheiden aus dem Amt bei der Regierung melden, wenn sie einen Job annehmen möchten. Mancherorts bindet die Regierung bei der Prüfung von Interessenkonflikten ein Beratungsgremium ein. Auch die Dauer eines Verbots variiert je nach Land zwischen einem und zwei Jahren. In der Regel bekommen die Ex-Minister und -Staatssekretäre so lange Übergangsgeld.
Gab es im Südwesten Auslöser? Diskutiert wird ein solches Gesetz schon lange. 2019 bereits hatte die grün-schwarze Koalition eine Karenzzeitregelung angekündigt. Weil die auf sich warten ließ, hat die oppositionelle SPD 2020 einen eigenen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht – und ein weiteres Mal im Februar dieses Jahres. Aktueller Anlass für den zweiten Anlauf der SPD war der Wechsel von Ex-Umweltminister Franz Untersteller in die Wirtschaft. Seit Mai 2021 gehört der Grünen-Politiker nicht mehr der Landesregierung an, seit Januar 2022 berät er den Mannheimer Energieversorger MVV – im Umfang von einem Tag pro Woche, wie er betont.
Untersteller reagierte mit Unverständnis auf die Kritik. Die FDP im Stuttgarter Landtag warf ihm nämlich vor, in dem Bereich tätig zu sein, für den er zuvor politisch verantwortlich war.
Der Karenzzeit-Gesetzentwurf der SPD scheiterte an der grünschwarzen Mehrheit. Florian Hassler, Staatssekretär im Staatsministerium von Winfried Kretschmann (beide Grüne), stellte einen Regierungsentwurf bis Ostern in Aussicht.
Was plant Baden-Württemberg? Der grün-schwarze Entwurf orientiert sich stark an der Bundesregelung. Ab kommendem Jahr sollen auch im Südwesten Minister und Staatssekretäre in den ersten 18 Monaten nach Ausscheiden aus ihrem Amt Beschäftigungen bei der Landesregierung anmelden. Die Regierung kann den Jobwechsel um ein Jahr verzögern, in gravierenden Fällen
um eineinhalb Jahre. Wie im Bund soll auch im Land ein dreiköpfiges Beratungsgremium aus externen Fachleuten die Einzelfälle auf Interessenkonflikte prüfen.
Was ist anders?
Der Bund und die anderen Länder nennen in ihren Regelungen zwei Anlässe für ein Verbot. Ein solches greift dann, „wenn die angestrebte Beschäftigung das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Landesregierung beeinträchtigen“könnte. So steht es auch im SüdwestEntwurf. Die Landesregierung verzichtet allerdings auf den zweiten Passus. Der greift, „wenn die angestrebte Beschäftigung in Angelegenheiten oder Bereichen ausgeübt werden soll, in denen das ehemalige hauptamtliche Mitglied der Landesregierung während seiner Amtszeit tätig war“. Ein solcher Passus fehlt im Regierungsentwurf komplett.
Warum schert das Land aus? Grün-Schwarz geht die Bundesregelung, an der sich auch der SPD-Entwurf orientierte, zu weit, erklärt Staatssekretär Hassler. „Das ist uns zu pauschal. Ohne das genauer zu prüfen, ob es wirklich einen Interessenkonflikt gibt, erscheint uns der SPD-Text zu hart.“Wichtig sei, dass ein externes Gremium die Einzelfälle auf Interessenkonflikte abklopfe.
Welche Reaktionen gibt es? Nichtregierungsorganisationen fordern lange schon dreijährige Karenzzeiten – auch im Südwesten, wie Anne Isakowitsch von Lobbycontrol betont. Dass im Entwurf keine konkreten Rahmenbedingungen zu finden sind, um Ex-Regierungsmitgliedern einen Job vorübergehend zu untersagen, bezeichnet sie als „erhebliche Schwäche“. Auch Siegfried Gergs von Transparency International nennt die Regelung zu unpräzise. Er wünscht sich außerdem Sanktionen bei Verstößen wie in Thüringen. Dort drohen Ordnungsgelder bis zur Hälfte eines Bruttojahresgehalts. SPD-Chef Stoch kündigte an, für Nachbesserungen am Gesetz zu kämpfen.
Differenzierter äußerte sich indes der Heidelberger Staats- und Verfassungsrechtler Bernd Grzeszick. „Die generelle Ausrichtung des Gesetzes wird dadurch nicht geändert“, erklärt er. „Daher habe ich damit grundsätzlich kein Problem.“Der Anwendungsbereich werde nicht beschnitten. Bei der Abwägung der Schutzgüter lege der Regierungsentwurf etwas mehr Gewicht auf die Berufsfreiheit.