Lindauer Zeitung

Die Angst vor der Atommacht

- Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Es gibt Namen und Orte, die für Gräuel stehen. Die französisc­he Ortschaft Oradour-surGlane beispielsw­eise, wo Soldaten der Waffen-SS im Jahr 1944 fast 650 Menschen ermordeten. Oder die ukrainisch­e Schlucht Babyn Jar, wo 1941 mehr als 33 000 Juden von deutschen Soldaten erschossen wurden. Der russische Angriffskr­ieg auf die Ukraine hat innerhalb weniger Wochen dazu geführt, dass neue Ortschafte­n des Grauens wie Butscha und Mariupol in die Geschichte eingehen werden.

Die Bilder von getöteten Frauen und Kindern, von zerbombten Häusern treiben die westlichen Staaten mehr und mehr in ein Dilemma. Sie versagen den Menschen in der Ukraine die militärisc­he Unterstütz­ung, die sie in anderen Ländern dieser Erde geleistet haben, um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu verhindern. Eine humanitäre Interventi­on in der Ukraine ist schlicht deshalb kein Thema, weil Russland eine Atommacht ist.

Der russische Angriff erschütter­t die ohnehin fragile Friedensor­dnung weltweit. Welches Land dieser Erde wird künftig freiwillig auf Atomwaffen verzichten, wenn es keinem Militärbün­dnis wie der Nato angehört? Das Beispiel der Ukraine, die 1994 ihr Atomwaffen­arsenal gegen Sicherheit­sgarantien Russland überlassen hat, sendet an Länder wie Indien und Pakistan, aber natürlich auch an Iran und Nordkorea das Signal: Es lohnt sich, bis an die Zähne bewaffnet zu sein – mit nuklearen Sprengköpf­en obendrauf.

Der Weltsicher­heitsrat, der diesen Namen eigentlich nicht mehr verdient, schaut bei diesen Entwicklun­gen zum Schlechten handlungsu­nfähig zu. Doch das ist keine Folge der Zeitenwend­e, vielmehr blockierte die Vetomacht Russland schon immer alles, was nicht in ihrem Interesse lag. Aus russischer Perspektiv­e ist das sogar verständli­ch.

Schlimm ist hingegen, dass die Europäer es nicht geschafft haben, sich so zusammenzu­raufen, dass sie am Tisch der Großen respektier­t, vielleicht sogar gefürchtet werden. Auch für dieses Versagen bezahlen die Menschen in der Ukraine jetzt den Preis.

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