Grenzen werden weiter kontrolliert
Freie Fahrt in der EU – Bayern und Österreich bleiben bei Ausnahmeregelung
- Es sollte eine befristete Ausnahme für sechs Monate sein, nun dauert es fast sieben Jahre: Seit 2015 Jahren kontrolliert die deutsche Bundespolizei mit bayerischer Unterstützung an der Grenze zu Tirol und Salzburg Einreisende. Eigentlich sollte die entsprechende Regel am 11. Mai auslaufen, widerspricht sie doch dem Schengener Abkommen. Dieser Vertrag hatte Grenzkontrollen für Personen und Güter in der EU abgeschafft. Nur im Falle einer Bedrohung der inneren Sicherheit oder öffentlichen Ordnung darf kontrolliert werden – aber nur auf Antrag und maximal ein halbes Jahr. Doch nun wird die Ausnahme wohl erneut verlängert.
„Das ist mehr oder minder der Tod von Schengen“, sagte der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland und CSU-Vorstand Bernd Posselt im österreichischen Fernsehen. Der ehemalige Europaabgeordnete nahm damit Bezug auf Meldungen, wonach auch Österreich eine entsprechende Verlängerung der Ausnahme bei der EU-Kommission beantragt hat. Damit gehe „der wertvollste Bestandteil der europäischen Integration verloren“.
Deutschlands Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ebenfalls mehrfach erkennen lassen, dass sie die Tradition ihres CSUAmtsvorgängers Horst Seehofer fortsetzen und für weitere sechs Monate feste Grenzkontrollen an der Grenze zwischen Bayern und Österreich bei der EU beantragen will. Eine der Begründungen nimmt diesmal Bezug auf den G7-Gipfel, der im Juni zum zweiten Mal im Raum Garmisch-Partenkirchen stattfinden soll und zu dem auch Protestierende aus dem Ausland erwartet werden.
Eingeführt wurden die Kontrollen 2015, um die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen zu stoppen. Die Kontrollposten stehen an den Autobahnen bei Passau, beim Übergang Freilassing und Salzburg sowie bei Kiefersfelden – nicht aber in Hörbranz bei Lindau. „2015 galt er als nicht so relevant, weil die Hauptrouten der Flüchtlinge vom Balkan weiter westlich verliefen. Hier setzte man ausschließlich auf die Schleierfahndung in Grenznähe, also ansonsten nicht gestattete, verdachtsunabhängige Personenkontrollen.
Die Regierungen der an Bayern grenzenden österreichischen Bundesländer Tirol und Salzburg kritisieren die deutschen Kontrollen, die oft zu Staus an den Autobahnübergängen Richtung Bayern führen, schon seit Langem. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) sprach in diesem Zusammenhang bereits von „Blödsinn“. Doch andererseits möchte die Republik Österreich an ihren Grenzen zu Ungarn und Slowenien aber auch gerne wissen, wer einreist. „Die politische und wirtschaftliche Lage im Umfeld der EU sowie entlang verschiedener Routen ist nach wie vor sehr angespannt und birgt hohes Migrationspotential“, begründet Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die Stationierung von Grenzpolizei
an den Übergängen nach Osten und Südosten. Ob das gegen EURecht verstößt, muss am Dienstag der Europäische Gerichtshof entscheiden „Österreichische Kontrollen bei der Einreise aus Deutschland finden aktuell keine statt“, versichert ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die österreichischen und deutschen Kontrollfilter gelten ausschließlich dem Reiseverkehr aus Osten und Südosten Richtung Bundesrepublik Deutschland. Und umgekehrt? Ganz sicher können auch Reisende nach Österreich nicht sein, ihre Papiere an der
Grenze vorzeigen zu müssen. Dafür sorgen schon die nach wie vor geltenden Hygienebestimmungen im Rahmen der Corona-Pandemie.
Der ADAC warnt im Internet vor „teilweisen“Behinderungen, die bei der Fahrt in die Alpenrepublik auftreten können. Bei der Einreise nach Österreich könne „stichprobenartig kontrolliert werden“, so eine ADACSprecherin: „Leute ohne 3G (Nachweis der Impfung oder Genesung) müssen nach wie vor ein Einreiseformular ausfüllen. Bei sehr viel Verkehr, ist es nicht ausgeschlossen, dass es auch mal länger dauert.“
In Gegenrichtung werden an den drei Autobahnübergängen zwischen Bayern und Salzburg beziehungsweise Tirol jedoch bis mindestens 11. November die Kontrollposten nicht verschwinden. CSU-Politiker Posselt fordert, im Interesse des „Europas der Bürger“sollte man die EUInnenminister zwingen, ihre Aufgaben an den EU-Außengrenzen zu erfüllen, um im Innenraum das ungehinderte Reisen wieder zu ermöglichen.
Es kann allerdings noch dauern, bis die Sicherheitspolitiker mit dem Schutz der EU-Außengrenzen zufrieden sind. Das klang am Donnerstag bei einem Besuch des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Warschau an. Der Zustrom an Flüchtlingen in die EU nehme unabhängig von den Schutzsuchenden aus der Ukraine zu, stellte Herrmann fest. Deshalb dürfe man „neben dem Krieg in der Ukraine das sonstige Migrationsgeschehen nicht aus den Augen verlieren“, warnte der CSU-Politiker.
Bereits im ersten Quartal 2022 habe Frontex einen Rekord von mehr als 40 300 illegalen Übertritten oder Übertrittsversuchen an den europäischen Außengrenzen verzeichnet eine Steigerung um 57 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und die höchste Zahl seit 2016. Besonders der Zustrom von Asylsuchenden nach Europa über die sogenannten Mittelmeerrouten im letzten Jahr wachse ständig an. So seien in Italien und Malta im Jahr 2021 rund 70 000 Ankünfte festgestellt worden, was einer Steigerung um 87,5 Prozent zum Vorjahr entspreche. Die Einreisenden aus der italienischen autonomen Provinz Südtirol ins österreichische Bundesland Tirol aber werden bislang keiner Kontrolle unterzogen. Mutmaßlich wollen Tirol und Südtirol alles unterlassen, was Tirol als Ganzes trennen könnte.