Von Rachsucht und inneren Stimmen getrieben
Prozessauftakt gegen mutmaßlich psychisch gestörten Täter – Messerstecher von Würzburg seit Jahren auffällig
(dpa) - Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Stimmen im Kopf: Warum im vergangenen Juni ein Mann in Würzburg mit einem mehr als 30 Zentimeter langen Küchenmesser drei Frauen tötete und neun Menschen verletzte, versucht das Landgericht Würzburg seit Freitag herauszufinden. Die Generalstaatsanwaltschaft München wirft dem Beschuldigten unter anderem Mord in drei Fällen, versuchten Mord in elf Fällen und gefährliche Körperverletzung vor.
Schon am ersten Prozesstag wird klar: Es wird ein langwieriges, nervenaufreibendes Verfahren, in dem vor allem die Aussagen der Opfer und Tatzeugen die Vorwürfe der Generalstaatsanwaltschaft untermauern sollen. Demnach handelte der Flüchtling aus Hass auf Deutschland, er fühlte sich ungerecht behandelt – doch wieso?
Während der Attacke soll er mindestens zweimal den Ausruf „Allahu Akbar“(„Gott ist groß“) gerufen haben. Dschihadisten und Salafisten benutzen den Ausdruck oft wie einen Schlachtruf. Damit kapern Extremisten die zentrale religiöse Formel des Islams, die seit Jahrhunderten von Muslimen weltweit benutzt wird. Weitere Hinweise auf Extremismus fanden die Ermittler aber nicht.
Fraglich ist, ob dem Mann Mordmerkmale wie Heimtücke und niedrige Beweggründe, etwa Rachsucht oder Zorn, nachzuweisen sind. Und unklar ist, ob die Angehörigen eine Antwort auf ihre Frage bekommen werden, warum der seit Jahren psychisch auffällige Mann nicht längst in einer geschlossenen Psychiatrie saß.
Oberstaatsanwältin Judith Henkel schildert zu Prozessbeginn in einer Veranstaltungshalle in Veitshöchheim bei Würzburg die dramatischen Minuten am Tattag, dem 25. Juni 2021. Es ist warm, die Universitätsstadt am Main voller Menschen. Kurz nach 17 Uhr betritt der Beschuldigte ein Kaufhaus. Nach nicht einmal fünf Minuten sind drei Menschen tot. „Die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten nutzte der Beschuldigte bewusst aus und handelte in feindseliger Willensrichtung gegen das Opfer.“
Mit großer Wucht soll der Somalier das Messer immer wieder in die ihm unbekannten Menschen gerammt haben. Drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren sterben. Vier weitere Frauen, ein damals 11jähriges Mädchen und ein 16-Jähriger überleben schwer verletzt. Hinzu kommen drei Leichtverletzte. Ein angegriffener Polizist bleibt unversehrt.
„Ein Großteil der Tatopfer hatte keine Möglichkeit, den Angriff durch den Beschuldigten vorauszuahnen, sondern wähnte sich in völliger Sicherheit“, sagt Henkel. Vor Gericht will der Beschuldigte zunächst nichts zu der Attacke sagen. Verteidiger
Hans-Jochen Schrepfer versichert, sein Mandant habe sich für die Tat entschuldigt und empfinde Mitgefühl. „Er bedauert das Leid, das er vor allem den Opfern und den Angehörigen zugefügt hat.“Innere Stimmen hätten ihn zu der Attacke bewegt.
Der Mann soll seine Opfer willkürlich ausgesucht haben, „um seinem Plan entsprechend möglichst viele Menschen zu töten und sich für die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit zu rächen“, betont Henkel. „Er war trotz der bei ihm vorliegenden paranoiden Schizophrenie von Rachsucht beherrscht.“
Der Migrant, der 2015 erstmals in Deutschland registriert wurde und seither mehrmals wegen psychischer Probleme aufgefallen war, soll nach dem Willen der Generalstaatsanwaltschaft in einer Psychiatrie unterkommen – womöglich lebenslang. Er war zwei Gutachtern zufolge bei der Tat wohl schuldunfähig und könnte für die Allgemeinheit dauerhaft gefährlich sein. Bis zur Tat wohnte der Mann in einer Obdachlosenunterkunft in Würzburg. Sein Alter ist unklar. Wie viele Migranten aus Bürgerkriegsländern kam er offenbar ohne Pass. Er sei 1989 geboren, sagt der Beschuldigte vor Gericht. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, an welchem Tag dies gewesen sei, ergänzt er mit Hilfe einer Übersetzerin: „Ich meine, mich zu erinnern, dass meine Mutter gesagt hat, im Dezember.“Demnach wäre er 32.