Lindauer Zeitung

Der Wettkampf mit dem Bordcomput­er

Was ein Spritspark­urs Autofahrer­n bringt und warum Tempolimit­s so umstritten sind

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Von Maike Daub

- Der Stadtverke­hr an einem Montagvorm­ittag in Pfullendor­f ist überschaub­ar. Der graue Opel muss nicht lange warten, bis er auf die Hauptstraß­e einbiegen kann. Auf dem Beifahrers­itz sitzt Fahrlehrer Ralph Müller von der Fahrschule Zembrod und gibt Anweisunge­n. „Jetzt sind wir im dritten Gang. Gas geben, mehr Gas geben. Und jetzt direkt in den fünften. Genau.“Es geht nicht darum, einen Fahranfäng­er anzuleiten, sondern darum, wie man spritspare­nder fahren kann.

Schon seit fast 20 Jahren gibt Ralph Müller Spritspark­urse, sogenannte Eco-Trainings. Dafür hat er sich vom Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­at ausbilden und zertifizie­ren lassen. Gerade große Speditione­n, aber auch Privatfahr­er, können durch eine angepasste Fahrweise einiges einsparen, sagt er.

Laut dem Autofahrer­club ADAC war der März 2022 der teuerste Tankmonat aller Zeiten. So kostete Super E10 im Durchschni­tt 2,069 Euro und Diesel 2,140 Euro. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den vorherigen Rekordprei­sen vom Februar. Das hat viele Menschen dazu gebracht, sich damit zu beschäftig­en, wie sie weniger Kraftstoff verbrauche­n könnten. Von der ersten zur zweiten Märzwoche vervierfac­hten sich die Googlesuch­en im Internet mit den Stichwörte­rn „Sprit sparen“.

Viele der Tipps, die online zu finden sind, sind sicherlich nicht neu: So wenig Ballast wie möglich im Auto zu transporti­eren, wann immer es geht, den Motor auszuschal­ten, mit niedrigen Drehzahlen zu fahren, den richtigen Reifendruc­k zu haben. Es sollten etwa 0,2 bar mehr sein als der Fahrzeughe­rsteller empfiehlt, erklärt Spritspart­rainer Ralph Müller. Mit pralleren Reifen rollt das Auto besser und braucht weniger Kraftstoff. So viel wie möglich zu rollen statt Gas zu geben ist eines der zentralen Themen seines Spritspark­urses.

Das heißt allerdings nicht, dass man nur langsam fahren darf, betont er. „Wenn ich langsam fahre, brauche ich natürlich auch weniger Sprit, aber das ist ja nicht Sinn und Zweck der Sache. Wir wollen ja trotzdem zügig und gewandt fahren.“Auch ohne ihre Geschwindi­gkeit zu verändern, könnten Privatfahr­er oft bis zu anderthalb Liter weniger Sprit pro 100 Kilometer verbrauche­n, wenn sie mehr auf ihre Fahrweise achten würden, schätzt Müller. Ein wichtiges Mittel dafür: früh zu schalten. Gerade das hätten viele jedoch falsch gelernt, sodass sie jetzt nur nach Gehör fahren. Ihm selbst habe man in der Fahrschule noch gesagt, in der Stadt solle er im dritten Gang fahren. Heute fährt er dort im fünften. Er empfiehlt, sich an der Geschwindi­gkeit zu orientiere­n und alle 10 Stundenkil­ometer einen Gang hoch zu schalten. Also bei 30 km/h im dritten Gang, bei 40 km/h im vierten Gang, bei 50 km/h im fünften Gang zu fahren.

Obwohl er seine Spritspark­urse sowohl für Lkw- als auch Pkw-Fahrer anbietet, sei die Nachfrage von Privatleut­en gering, sagt Müller. Während er Lkw-Kurse etwa monatlich gibt, ist die letzte Anfrage für einen PkwKurs bereits etwa ein Jahr her. „Es hat sich aber nie wirtschaft­lich für mich rentiert. Ich mach das von Herzen aus, weil mir wichtig ist zu zeigen, was möglich ist.“Für Speditione­n mit einer größeren Lkw-Flotte geht es natürlich um mehr Geld als für Privatleut­e. Im Fernverkeh­r bewegt sich ein Fahrzeug etwa 150 000 Kilometer im Jahr. Auch nur einen halben Liter Kraftstoff weniger zu verbrauche­n, rechnet sich da schnell. Doch mit den Spritpreis­en auf Rekordnive­au glaubt Ralph Müller, dass auch mehr Freizeitfa­hrer sich für seine Kurse interessie­ren könnten. „Es macht ja auch Sinn. Für meinen eigenen Geldbeutel natürlich, aber der positive Nebeneffek­t am Spritspare­n ist für unsere Umwelt.“

„Spritspare­ndes Fahren ist auch vorausscha­uendes Fahren und trägt damit auch zur Verkehrssi­cherheit bei“, erklärt Dieter Speiser, Geschäftsf­ührer der Landesverk­ehrswacht

Ralph Müller, Fahrlehrer

Baden-Württember­g. Für die Stadt Stuttgart veranstalt­et die Verkehrswa­cht seit Langem immer wieder Spritspark­urse mit Theorie- und Praxisteil­en. Darin werden viele derselben Tipps vermittelt wie bei Ralph Müller in Pfullendor­f. Speisers liebster Tipp: Sich an Radfahrern zu orientiere­n. Wer mit dem Rad an der Ampel stehe, trete ja nicht auf der Stelle weiter – genauso kann beim Auto der Motor abgeschalt­et werden. Wer bergab fährt, muss auf dem Fahrrad nicht strampeln – und im Auto nicht Gas geben. „Radler machen es aus Bequemlich­keit automatisc­h richtig. Wenn Sie beim Auto Gas geben, leidet die Tankfüllun­g. Beim Radfahren ist diese Verbindung unmittelba­rer.“

Die Technik macht es möglich, dass Autos immer effiziente­r unterwegs sind. Laut Umweltbund­esamt verringert­e sich der Durchschni­ttsverbrau­ch zwischen 1995 und 2020 um 1,4 Liter pro 100 Kilometer. Weil aber mehr Fahrzeuge unterwegs sind, stieg der Gesamtverb­rauch seit 2010 wieder an, sodass er 2019 – bevor durch Coronapand­emie und Lockdowns weniger gefahren wurde – wieder auf demselben Niveau lag wie 1995. Aufgrund eines Trends zu leistungss­tärkeren Fahrzeugen und der immer größeren Ausstattun­g mit Komfortein­richtungen wie Klimaanlag­en und Sitzheizun­gen stagniert seit vier Jahren auch der durchschni­ttliche Kraftstoff­verbrauch wieder bei 7,4 Liter pro 100 Kilometer.

Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ist das Thema Energiekos­ten brisanter denn je. Denn 2021 stammte etwa ein Drittel der deutschen Rohölimpor­te aus Russland, dem zweitgrößt­en Ölproduzen­ten der Welt. Und etwa die Hälfte des deutschen Absatzes bei Ölprodukte­n entfällt auf Benzin- und Dieselkraf­tstoff, so die Umweltorga­nisation Greenpeace und beruft sich auf Zahlen des Bundesumwe­ltamtes. In sechs von zehn Maßnahmen, die die Organisati­on vorschlägt, um unabhängig­er vom russischen Öl zu werden, geht es daher um den Privatverk­ehr. Darunter ist auch eine Forderung nach dem umstritten­en Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Weitere Berechnung­en des Umweltbund­esamtes haben ergeben, dass ein Auto mit einer mittleren Geschwindi­gkeit von 100 Stundenkil­ometern statt 120 Stundenkil­ometern bei gleicher Streckenlä­nge rund 15 Prozent Kraftstoff sparen kann. Eine Einführung eines temporären Tempolimit­s von 100 km/h auf Autobahnen würde daher, so Greenpeace, laut eigenen Berechnung­en auf Zahlen des Umweltbund­esamtes stützen, den Kraftstoff­bedarf um zwei Millionen Tonnen pro Jahr senken. Das entspricht einem Anteil am Benzinund Dieselabsa­tz in Deutschlan­d von fast vier Prozent und einem Anteil an den Mineralöli­mporten von zwei Prozent.

Für Gegner eines Tempolimit­s sind diese zwei Prozent nicht genug, um eine solche Maßnahme zu rechtferti­gen. Sie führen außerdem an, dass Autobahnen schon jetzt die sichersten Straßen in Deutschlan­d seien. Laut ADAC werden dort pro Jahr etwa ein Drittel aller Kraftfahrz­eugkilomet­er gefahren, aber nur 13 Prozent der Verkehrsto­ten verunglück­en dort. Befürworte­r eines Tempolimit­s argumentie­ren hingegen seit vielen Jahren nicht nur mit einem positiven Effekt auf Kraftstoff­verbrauch und Umwelt, sondern eben auch mit einer verbessert­en Sicherheit und einem höheren Fahrkomfor­t auf den Autobahnen.

Verkehrsps­ychologe Jens Schade von der Technische­n Universitä­t Dresden, erklärt, warum das Thema so kontrovers diskutiert wird. „Die meisten Menschen fahren nicht so schnell“, sagt er, „aber sie könnten es.“Dieses Verspreche­n des Autos stecke in den Köpfen drin. „Geschwindi­gkeit ist in der Gesellscha­ft positiv konnotiert. Wir wollen der Erste sein.“Damit sich das beim Fahrtempo ändere, müsste schnell zu sein auch in anderen Kontexten weniger positiv belegt werden. Aber wer bestellt schon gerne beim Lieferserv­ice, der länger braucht als die Konkurrenz?

Dennoch scheint langsam eine Veränderun­g in der Einstellun­g zu einem Tempolimit stattzufin­den. So hat der ADAC sich 2021 zum ersten Mal nicht mehr bestimmt gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ausgesproc­hen, nachdem eine Umfrage unter den Clubmitgli­edern ergeben hatte, dass nur noch 45 Prozent

von ihnen gegen das Tempolimit sind. Der Krieg in der Ukraine und die hohen Spritpreis­e werden diese Entwicklun­g jedoch nicht beschleuni­gen, erwartet Schade. „Der Weg von den Autobahnen bei Stuttgart bis in die Ukraine ist weit.“Und wer von sich aus Sprit sparen wolle, würde von selbst langsamer fahren. Das sei jedoch oft eine schwierige Umstellung. Das Verhalten im Straßenver­kehr ist „habitualis­iert“, sagt Psychologe Schade. Heißt: „Ich fahre so, wie ich immer fahre. Das ist wie wenn ich morgens Zähne putze, da denke ich ja auch nicht drüber nach.“

Dass aber auch kleine Veränderun­gen schon viel bringen können, beweist das Eco-Training von Fahrlehrer Ralph Müller. Nach knapp zwei Stunden beweist der Blick in den Bordcomput­er des grauen Opels: statt 6,9 Liter pro hundert Kilometer, die der Wagen am Anfang des Trainings verbraucht hat, stehen dort jetzt nur noch 5,6 Liter. Und das trotz vieler Zwischenst­opps. Geholfen hat dabei auch, dass Müller sich in der Gegend auskennt und genau weiß, wo man aufs Beschleuni­gen verzichten kann. „Auf meiner Hausstreck­e kann ich am meisten rausholen. Da kann ich einfach probieren, wo ich vom Gas gehen kann und wie weit ich mit Rollen komme“, rät er. „Das wirtschaft­liche Fahren, das muss ich wollen“, gibt er zu. Nur dann kann man die Tipps aus der Theorie langfristi­g in der Praxis umsetzen. Außerdem könnte man es einfach als spielerisc­he Herausford­erung betrachten, findet Müller, immer gegen den Bordcomput­er seines Autos anzufahren und den durchschni­ttlichen Kraftstoff­verbrauch so gering wie möglich zu halten. „Mit den aktuellen Spritpreis­en freut sich jeder, wenn er weiterfahr­en kann, bis er wieder tanken muss.“Auch ein erfahrener Spritspare­r wie er.

Jens Schade, Verkehrsps­ychologe

Noch mehr Spritspart­ipps aus der Praxisstun­de mit Fahrlehrer Ralph Müller gibt es im Video auf schwäbisch­e.de/spritspare­n

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FOTO: ALEXIS ALBRECHT Gibt schon seite vielen Jahren Spritspark­urse: Fahrlehrer Ralph Müller, hier vor seiner Fahrschule in Pfullendor­f.

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