Von Genscher fasziniert
Bijan Djir-Sarai wird am Wochenende FDP-Generalsekretär – Gebürtiger Iraner kämpft für Menschenrechte
- Der im Iran geborene Bijan Djir-Sarai wird an diesem Wochenende zum FDP-Generalsekretär gewählt. Bei einem Spaziergang durch Berlins Regierungsviertel blickt er auf einen langen Weg zurück und nach vorne.
Der 45-Jährige redet über den irrwitzigen Takt, den der politische Betrieb gerade vorgibt – Russland, Ukraine, Krieg, Energiepreise, Corona. Und er mittendrin als Generalsekretär einer frisch an die Macht gekommenen Regierungspartei in einem Deutschland, dem gerade täglich neue Gewissheiten abhandenkommen.
Bijan Djir-Sarai zeigt auf den bronzefarbenen Streifen, der auf der Uferpromenade in den Boden eingelassen ist: „Wir stehen genau da, wo die Mauer verlaufen ist.“Der Abgeordnete war 13 und erst zwei Jahre in Deutschland, als sie fiel. Noch war vieles neu, aber dass da etwas Großes passierte, war dem Teenager aus dem Iran klar. „Ich kannte damals in so jungen Jahren die Hintergründe natürlich nicht in allen Details, aber ich begriff, dass mit der DDR eine Diktatur zu Fall gebracht wurde“, erzählt Djir-Sarai. „Für jemanden, der selbst in einer Diktatur gelebt hat, gibt es nichts Schöneres.“
Er beißt sich trotz anfänglicher Sprachprobleme am Gymnasium durch, studiert nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre
in Köln, heiratet und wird Vater – die Kriegserinnerung verblasst. Der Iran, wo die Eltern immer noch leben, ist weit weg.
Warum er bei den Liberalen anfing, erzählt Djir-Sarai auf der Fußgängerbrücke hinüber zum Kanzleramt. „Der Name des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher war mir schon im Iran ein Begriff – ich wusste zwar damals nicht, in welcher Partei er war, aber die musste es dann sein.“Am Tag nach der Einbürgerung füllt er den Mitgliedsantrag aus, ohne an eine Politkarriere zu denken: „Ich habe diesem Land alles zu verdanken und wollte etwas zurückgeben.“
Der Verlust seiner Menschenrechte als Kind hat ihn zum harten
Hund werden lassen, der als außenpolitischer Sprecher der Fraktion etwa 2018 laut Widerworte gab, als die FDP einseitige Sanktionslockerungen diskutierte. Und wenn sogenannte Querdenker heute von Corona-Diktatur faseln, geht er mit seiner eigenen Erfahrung hart dagegen.
Dazu stehen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen an, in beiden Fällen will die FDP eine Beteiligung an den jeweiligen Landesregierungen verteidigen.
Am Kanzleramt angekommen ist er nun im doppelten Sinne. Der erste Koalitionsausschuss, an dem er teilnahm, fand am Vorabend des Krieges statt, der zweite ging bis in die frühen Morgenstunden. Es dauerte, bis das
Energiepreisentlastungspaket geschnürt war. Djir-Sarai, eher ein Schwarz-Gelber, gibt zu, bisher „sehr positiv überrascht“von der eigenen Koalition zu sein. Ein Zuckerschlecken ist es aber nicht: „Die Ampel ist eine Herausforderung, die vor einem Jahr noch unvorstellbar war – und als wäre es mit so verschiedenen Parteien nicht schon schwierig genug, hatten wir vom ersten Tag an mit zahlreichen Krisen zu kämpfen.“
Bewältigen will er das im Zusammenspiel mit seinem Vorsitzenden, beide wollen den Erfolg der Partei wie der Regierung. „Christian Lindner ist mit Leib und Seele Parteichef, daher ist es nicht so, dass er nur noch über die Arbeit der Ampel-Koalition spricht und ich die Fahne der FDP hochhalte“, so Djir-Sarai, „wir machen das gemeinsam.“
Zurück am Reichstagsgebäude blickt der künftige General hinauf zum Schriftzug über dem Haupteingang. „Dem deutschen Volke“steht bekanntlich dort. Djir-Sarai findet das nicht problematisch, bräuchte die „Der Bevölkerung“gewidmete Kunstinstallation drinnen nicht. „Ich identifiziere mich so sehr mit Deutschland, dass ich manchmal selbst überrascht bin von solchen Fragen“, erzählt er. „Das war nicht immer so, aber da hat sich die vergangenen zehn Jahre glücklicherweise wahnsinnig viel getan – jemand wie ich ist in so einer Position keine Ausnahme mehr.“