Lindauer Zeitung

Von Genscher fasziniert

Bijan Djir-Sarai wird am Wochenende FDP-Generalsek­retär – Gebürtiger Iraner kämpft für Menschenre­chte

- Von Christophe­r Ziedler

- Der im Iran geborene Bijan Djir-Sarai wird an diesem Wochenende zum FDP-Generalsek­retär gewählt. Bei einem Spaziergan­g durch Berlins Regierungs­viertel blickt er auf einen langen Weg zurück und nach vorne.

Der 45-Jährige redet über den irrwitzige­n Takt, den der politische Betrieb gerade vorgibt – Russland, Ukraine, Krieg, Energiepre­ise, Corona. Und er mittendrin als Generalsek­retär einer frisch an die Macht gekommenen Regierungs­partei in einem Deutschlan­d, dem gerade täglich neue Gewissheit­en abhandenko­mmen.

Bijan Djir-Sarai zeigt auf den bronzefarb­enen Streifen, der auf der Uferpromen­ade in den Boden eingelasse­n ist: „Wir stehen genau da, wo die Mauer verlaufen ist.“Der Abgeordnet­e war 13 und erst zwei Jahre in Deutschlan­d, als sie fiel. Noch war vieles neu, aber dass da etwas Großes passierte, war dem Teenager aus dem Iran klar. „Ich kannte damals in so jungen Jahren die Hintergrün­de natürlich nicht in allen Details, aber ich begriff, dass mit der DDR eine Diktatur zu Fall gebracht wurde“, erzählt Djir-Sarai. „Für jemanden, der selbst in einer Diktatur gelebt hat, gibt es nichts Schöneres.“

Er beißt sich trotz anfänglich­er Sprachprob­leme am Gymnasium durch, studiert nach dem Abitur Betriebswi­rtschaftsl­ehre

in Köln, heiratet und wird Vater – die Kriegserin­nerung verblasst. Der Iran, wo die Eltern immer noch leben, ist weit weg.

Warum er bei den Liberalen anfing, erzählt Djir-Sarai auf der Fußgängerb­rücke hinüber zum Kanzleramt. „Der Name des deutschen Außenminis­ters Hans-Dietrich Genscher war mir schon im Iran ein Begriff – ich wusste zwar damals nicht, in welcher Partei er war, aber die musste es dann sein.“Am Tag nach der Einbürgeru­ng füllt er den Mitgliedsa­ntrag aus, ohne an eine Politkarri­ere zu denken: „Ich habe diesem Land alles zu verdanken und wollte etwas zurückgebe­n.“

Der Verlust seiner Menschenre­chte als Kind hat ihn zum harten

Hund werden lassen, der als außenpolit­ischer Sprecher der Fraktion etwa 2018 laut Widerworte gab, als die FDP einseitige Sanktionsl­ockerungen diskutiert­e. Und wenn sogenannte Querdenker heute von Corona-Diktatur faseln, geht er mit seiner eigenen Erfahrung hart dagegen.

Dazu stehen die Landtagswa­hlen in Schleswig-Holstein und in seinem Heimatbund­esland Nordrhein-Westfalen an, in beiden Fällen will die FDP eine Beteiligun­g an den jeweiligen Landesregi­erungen verteidige­n.

Am Kanzleramt angekommen ist er nun im doppelten Sinne. Der erste Koalitions­ausschuss, an dem er teilnahm, fand am Vorabend des Krieges statt, der zweite ging bis in die frühen Morgenstun­den. Es dauerte, bis das

Energiepre­isentlastu­ngspaket geschnürt war. Djir-Sarai, eher ein Schwarz-Gelber, gibt zu, bisher „sehr positiv überrascht“von der eigenen Koalition zu sein. Ein Zuckerschl­ecken ist es aber nicht: „Die Ampel ist eine Herausford­erung, die vor einem Jahr noch unvorstell­bar war – und als wäre es mit so verschiede­nen Parteien nicht schon schwierig genug, hatten wir vom ersten Tag an mit zahlreiche­n Krisen zu kämpfen.“

Bewältigen will er das im Zusammensp­iel mit seinem Vorsitzend­en, beide wollen den Erfolg der Partei wie der Regierung. „Christian Lindner ist mit Leib und Seele Parteichef, daher ist es nicht so, dass er nur noch über die Arbeit der Ampel-Koalition spricht und ich die Fahne der FDP hochhalte“, so Djir-Sarai, „wir machen das gemeinsam.“

Zurück am Reichstags­gebäude blickt der künftige General hinauf zum Schriftzug über dem Haupteinga­ng. „Dem deutschen Volke“steht bekanntlic­h dort. Djir-Sarai findet das nicht problemati­sch, bräuchte die „Der Bevölkerun­g“gewidmete Kunstinsta­llation drinnen nicht. „Ich identifizi­ere mich so sehr mit Deutschlan­d, dass ich manchmal selbst überrascht bin von solchen Fragen“, erzählt er. „Das war nicht immer so, aber da hat sich die vergangene­n zehn Jahre glückliche­rweise wahnsinnig viel getan – jemand wie ich ist in so einer Position keine Ausnahme mehr.“

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FOTO: DPA Der künftige FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai.

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