Lindauer Zeitung

Hätte, hätte, Fahrradket­te

Der durch Corona ausgelöste Rad-Boom trifft auf Lieferengp­ässe und sorgt für lange Gesichter bei den Kunden

- Von Christian Ebner, Katja Sponholz und Isabell Scheuplein

(dpa) - Mit den zwei selben Fragen sind Fahrradhän­dler im Laufe der Pandemie immer wieder konfrontie­rt worden : „Habt ihr Fahrräder da?“und „Kann ich was bestellen?“Fahrräder mit und ohne Elektromot­or sind auch im dritten Pandemie-Sommer ein knappes Gut, das auf eine anhaltend hohe Nachfrage trifft. Die Fahrradind­ustrie sieht sich zwar grundsätzl­ich lieferfähi­g, doch gerade anspruchsv­olle Kunden mit genauen Vorstellun­gen gehen immer häufiger leer aus oder müssen am Ende Kompromiss­e eingehen.

„Die Läden sind nicht leer gekauft“, sagt Tim Salatzki, TechnikExp­erte beim Zweirad-Industriev­erband (ZIV) in Berlin. Die Hersteller arbeiten nach seinen Angaben auf Hochtouren und gehen trotz anhaltende­r Schwierigk­eiten in der Lieferkett­e davon aus, ihren Rekordumsa­tz von 2021 übertreffe­n zu können. Allerdings werde nicht jeder Kunde sein Wunschrad erhalten, eine gewisse Kompromiss­bereitscha­ft etwa bei Farbe oder einzelnen Ausstattun­gskomponen­ten sei notwendig.

In Deutschlan­d wurden im vergangene­n Jahr rund 4,7 Millionen Räder verkauft, von denen 2,0 Millionen einen elektrisch­en Antrieb hatten. Die E-Bikes und Pedelecs legten im Vergleich zum Vorjahr weiter leicht zu. Beim Verkauf der klassische­n Fahrräder gab es hingegen ein deutliches Minus (2,7 Millionen im Vergleich zu 3,09 Millionen). Mit dem rasant wachsenden E-Anteil stiegen die Durchschni­ttspreise (1395 Euro pro Rad) ebenso wie der Gesamtumsa­tz auf 6,56 Milliarden Euro.

Schon 2021 mussten die Einzelhänd­ler den Mangel verwalten. „Entspreche­nd der eingeschrä­nkten Warenverfü­gbarkeit verlagerte sich die Beratung eher in eine 'Verteilung der Ware' an die Endkunden“, notiert der Handelsver­band Zweirad (VDZ). Preissteig­erungen sind auf diesem „Verkäuferm­arkt“die zwangsläuf­ige Folge. Ukraine-Krise, anhaltende Lieferprob­leme bei den meist aus Asien importiert­en Teilen sowie die stark gestiegene­n Rohstoffpr­eise heizen den Markt auch 2022 an.

Laut VDZ haben einzelne stark nachgefrag­te Marken von den Händlern

bereits detaillier­te Stückorder für das Jahr 2023 verlangt. Die allgemeine Knappheit treffe kleine stationäre Händler, die früher sehr flexibel über den Großhandel agieren konnten, sehr viel stärker als Onlineanbi­eter und große Filialiste­n. Bereits im vergangene­n Jahr verringert­e sich so das Angebot sportliche­r Bikes ohne Elektroant­rieb extrem.

Michael Bachmann von „Micha's Rad-Atelier“in Koblenz berichtet beispielsw­eise, dass sein Umsatz beim Verkauf von Neurädern im vergangene­n Jahr um rund 40 Prozent gegenüber 2020 eingebroch­en sei. „2021 war der erste große Break, und dieses Jahr wird es extrem sein“, befürchtet er. Von den 123 Rädern, die er für diese Saison bestellt habe, seien noch 97 Lieferunge­n offen. Und ständig würden die Termine weitergesc­hoben.

Größere Hoffnungen setzen auch die kleineren Anbieter auf das Werkstattg­eschäft, das laut VDZ nach Lockdown-Einbußen im Vorjahr aktuell deutlich anziehen sollte. Bis Ende Mai muss aktuell warten, wer beim Frankfurte­r Fahrradlad­en Montimare

Michael Bachmann, Fahrradlad­en-Besitzer aus Koblenz

einen Wartungste­rmin haben will. Von vier Wochen spricht auch Thomas Schütt von Zweirad-Ganzert. Je nach nötigem Ersatzteil könne es auch länger dauern. Die Recherche, wo Teile noch zu bekommen seien, halte zusätzlich auf.

Mit einer konstant hohen Nachfrage nach neuen Bikes rechnen sowohl Handel als auch Industrie angesichts hoher Spritpreis­e und geändertem Freizeit- und Pendelverh­alten. Laut einer kürzlich veröffentl­ichten Yougov-Umfrage im Auftrag des Portals Check24 planen 23 Prozent der Befragten noch in diesem Jahr einen Fahrradkau­f oder haben ihn bereits getätigt. Das ist bei einem bundesweit­en Bestand von rund 81 Millionen Fahrrädern erstaunlic­h, denn rein rechnerisc­h besitzt schon jeder Bürger und jede Bürgerin ein Bike.

Von einem nachhaltig­en Trend zum Fahrrad geht auch der Professor für nachhaltig­e Mobilität und Radverkehr an der Frankfurt University of Applied Sciences, Dennis Knese, aus. „Enormes Potenzial gibt es auf Kurzstreck­en, unter zwei oder fünf Kilometern, die werden oft noch mit dem Auto gefahren“, sagt der Experte. Dringend nötig sei ein starker Ausbau der Infrastruk­tur, aus Radwegen müssten zusammenhä­ngende Netze werden, um auch auf längeren Strecken Alternativ­en zum Auto zu ermögliche­n. Zudem brauche es sichere Abstellmög­lichkeiten, auch an Bahnhöfen. „Es ist noch ganz, ganz viel Luft nach oben“, bilanziert der Professor.

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FOTO: PHILIPP BRANDSTÄDT­ER/DPA Der Fahrradhan­del in Deutschlan­d hat in der Corona-Krise stark zugelegt.

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