Lindauer Zeitung

„Es ändert sich etwas Grundlegen­des“

Experte Roland Roth über das Extremwett­erjahr 2021 und die Auswirkung­en auf die Region

- Von Jochen Schlosser

- Es dauert immer bis zum Frühjahr, ehe der Copernicus­Jahresberi­cht zur Entwicklun­g des Klimas vorliegt. Am Freitag legte das europäisch­e Erdbeobach­tungsprogr­amm seine Studie für das Vorjahr vor – mit dramatisch­en Erkenntnis­sen für den Kontinent: 2021 war in Europa das Jahr des Extremwett­ers. Zudem war der vergangene Sommer in Europa den aktuellen Klimadaten zufolge der wärmste seit Beginn der Copernicus-Aufzeichnu­ngen im Jahr 1979. Zudem nutzt das EU-Beobachtun­gsprogramm Aufzeichnu­ngen von Bodenstati­onen, Ballons, Flugzeugen und Satelliten, die bis 1950 zurückreic­hen. Werte und Entwicklun­gen, die Roland Roth (Foto: Christoph Schneider) nicht überrasche­n. Der Experte von der Wetterwart­e Süd in Bad Schussenri­ed ordnet die Entwicklun­g des Klimas ein, spricht über die Bedeutung für die Region und erklärt, warum Wissenscha­ftler den direkten Zusammenha­ng zwischen Klimawande­l und der Katastroph­e im Ahrtal nicht eindeutig nachweisen können.

Herr Roth, dass 2021 das Jahr der Extremwett­erlagen war, haben Sie bereits früher festgestel­lt ...

Ja, schon Anfang Januar. Das ist eigentlich kalter Kaffee.

Dennoch ergibt sich daraus eine spannende Frage: Wird sich diese Entwicklun­g hierzuland­e so oder ähnlich fortsetzen?

Seit 40 Jahren halte ich Vorträge zum Klimawande­l und erkläre, dass der Mensch das Klima verändert. Doch seit etwas mehr als zehn Jahren gibt es etwas Neues, es ändert sich etwas Grundlegen­des. Bislang haben wir immer von Einzelerei­gnissen geredet, von Sturm, Hagel, Starkregen. Doch nun geht es um die Veränderun­g der Großwetter­lagen – und an diesem Sommer 2021 lässt sich diese Entwicklun­g exemplaris­ch darlegen.

Das heißt konkret?

Zieht man einen Vergleich zu vor 100 Jahren gibt es eine weltweite Erwärmung von 1,1 Grad. Hier, im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeidie tung“, gibt es im Vergleich zu vor 40 Jahren bereits eine Erwärmung von 1,5 bis 2 Grad. Wenn die Politik immer von einem Maximalzie­l spricht und damit hofft, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen: Bei uns ist das bereits erreicht!

Und durch diese Erwärmung steigt das Risiko für Katastroph­en durch Extremwett­erlagen?

Durch diese höheren Temperatur­en haben wir auch hier mehr Wasserdamp­f in der Atmosphäre. Das kennt jeder aus dem tropischen Regenwald: Wärmere Luft kann mehr Wasserdamp­f aufnehmen. Zugleich ist der Jetstream (ein Starkwindf­eld in circa acht bis zwölf Kilometern Höhe, die Red.) der Antriebsmo­tor unseres Wettergesc­hehens. Er holt seine Energie aus dem Temperatur­unterschie­d zwischen dem dauerhaft kalten Norden und dem dauerhaft warmen, subtropisc­hen Süden. Dieser Tage ist jedoch der Temperatur­anstieg in den Polargebie­ten, unter anderem auch durch die Eisschmelz­e, wesentlich höher als jener im Süden. Damit sinkt der Temperatur­unterschie­d – und in der Folge auch die Antriebskr­aft des Jetstreams. In der Konsequenz verharren

Hochdruckg­ebiete einfach dort, wo sie sind. So war das etwa im Rekordsomm­er 2018. Letztes Jahr war es dann – vereinfach­t gesagt – genau andersheru­m, die Tiefs blieben bei uns. Wir hatten den regenreich­sten Mai seit Messbeginn 1906, den regenreich­sten Juni und zweitregen­reichsten Juli. Überspitzt formuliert haben wir beinahe den ganzen Regen der Nordhalbku­gel abbekommen. Die Beharrlich­keiten der Großwetter­lagen haben sich verändert.

Dennoch lassen die Autoren des Copernicus-Berichts die Frage offen, ob eine Überschwem­mungskatas­trophe wie jene im Ahrtal 2021 als direkte Auswirkung des Klimawande­ls zu bewerten ist. Wie ordnen Sie das ein?

Was die Beharrlich­keit der Großwetter­lagen angeht – eindeutig ja. Da bin ich mir sicher, das ist dem Klimawande­l geschuldet. Wir haben insgesamt ein veränderte­s Klimagefüg­e. Das sehen wir bereits jetzt wieder in diesem Frühling: Er ist, eigentlich seit Ende Februar, von Ostwinden geprägt. Ein richtig schönes Tiefdruckg­ebiet mit Regen gab es schon sehr lange nicht mehr. Der März war der sonnensche­inreichste März aller

Zeiten in ganz Deutschlan­d – und das, obwohl wir noch drei Tage hinter der Saharastau­bwolke saßen.

Kommt jetzt ein großes Aber?

Die Wetterlage im vergangene­n Sommer hatte etwas Besonderes, das ich so noch nie erlebt habe. Immer zum Ende des Winterhalb­jahres, also etwa mit der Umstellung auf die Sommerzeit, gibt es im Norden in großer Höhe noch Kaltluftge­biete. Diese Gebiete zerfallen dann in kleinere, sogenannte Kaltlufttr­opfen. Das ist in etwa so wie bei einem Eisberg, der zerbricht. Einzelne dieser Kaltlufttr­opfen wandern dann in großer Höhe quasi kreisförmi­g vom Norden in Richtung Mitteleuro­pa. Meteorolog­en nennen sie Höhentiefs. Das war 2021 in beständige­r Regelmäßig­keit zu beobachten. Immer wieder kamen diese Höhentiefs und haben Regen abgeladen. Zudem wurde die dann bereits feuchtwarm­e Luft am Boden angeregt. Wie ein Schwamm wurde der Wasserdamp­f aufgenomme­n. Das hat dann zu den enormen Niederschl­agsmengen an Ort und Stelle geführt.

Und dies ist keine direkte Folge des Klimawande­ls, sondern ein außergewöh­nliches Wetterphän­omen? Das ist schwierig, da sind auch wir Wetterexpe­rten uns nicht einig. Die Wissenscha­ft debattiert darüber. Ich würde sagen, auch das hat mit der Beharrlich­keit der Großwetter­lagen zu tun. Aber eindeutig ist das tatsächlic­h nicht. Bei einer Katastroph­e wie im Ahrtal kommt dann auch noch die Orografie, die Höhenstruk­tur der Oberfläche, hinzu. Andernorts, etwa im Norden oder Osten Deutschlan­ds, hätte der flache Boden diese großen Regenmenge­n aufnehmen können. In einem engen Tal hingegen kommt alles zusammen: der Regen von oben, Wasser vom Oberlauf der Flüsse und Bäche sowie das Wasser von den Seitenhäng­en.

Und was bedeutet das für das Verbreitun­gsgebiet?

Im Schussenbe­cken, das vom Gletscher geschaffen wurde, sehe ich keine so großen Gefahren. Da kann es Überflutun­gen geben, aber nicht so gravierend. Gefährlich­er wird es für die Seitentäle­r, den Knollengra­ben, die Wolfegger Ach oder die nordöstlic­he Ecke im Landkreis Biberach. Jedoch möchte ich keine Angst verbreiten. So schlimm wie im Ahrtal wird es hier niemals werden.

 ?? FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES ?? Verwüstung­en im Landkreis Ahrweiler im Sommer 2021: Dauerregen ließ die Ahr, wie hier im Ort Dernau, über die Ufer treten.
FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Verwüstung­en im Landkreis Ahrweiler im Sommer 2021: Dauerregen ließ die Ahr, wie hier im Ort Dernau, über die Ufer treten.
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