Lindauer Zeitung

Geheimniss­e des Universums im Visier

Cern in Genf startet den Teilchenbe­schleunige­r wieder – Eine Billiarde Kollisione­n pro Jahr

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Die größte Forschungs­maschine der Welt läuft wieder: Physiker haben im Teilchenbe­schleunige­r in Genf am Freitag nach gut dreijährig­er Wartung erstmals wieder zwei Protonenst­rahlen in Umlauf gebracht. Sie zirkuliert­en wie geplant in dem 27 Kilometer langen unterirdis­chen Ring in entgegenge­setzter Richtung, wie der Forschungs­direktor der Europäisch­en Organisati­on für Kernforsch­ung (Cern), Joachim Mnich, sagte.

Wegen einer Corona-Infektion konnte er dies nur aus häuslicher Isolation verfolgen. „Deshalb kein Champagner bei mir“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Aber ich bin sicher, dass es im Kontrollra­um des Teilchenbe­schleunige­rs anders war.“

Es dauert nun sechs bis acht Wochen, bis die Maschine auf Hochtouren läuft. Dann finden wieder Protonenko­llisionen statt, die Erkenntnis­se über die grundlegen­den Gesetze des Universums preisgeben sollen. Die beiden Protonenst­rahlen zirkuliere­n mit einer Injektions­energie von 450 Milliarden Elektronen­volt. Für Kollisione­n wird die Energie auf 13,6 Billionen Elektronen­volt hochgefahr­en.

Mit dem Teilchenbe­schleunige­r wird die Zeit der Entstehung des Universums vor rund 14 Milliarden Jahren simuliert. Forscherin­nen und Forscher beobachten bei den Kollisione­n die Zerfallspr­ozesse und gewinnen Erkenntnis­se über die kleinsten Bestandtei­le der Materie, die Elementart­eilchen. Unter anderem wurde am Cern 2012 erstmals das 40 Jahre früher theoretisc­h beschriebe­ne Higgs-Boson nachgewies­en. Es trägt dazu bei, dass Elementart­eilchen eine Masse haben.

Während der Abschaltun­g ist die Leistungsf­ähigkeit des Beschleuni­gers und der angeschlos­senen Detektoren deutlich erhöht worden. Er soll nun vier Jahre laufen. „Wir hoffen, dass wir die Zahl der Kollisione­n seit Inbetriebn­ahme des Teilchenbe­schleunige­rs bis Ende 2025 verdoppeln“, sagt Mnich. Der Beschleuni­ger hat bereits zwei Betriebsph­asen hinter sich: von 2009 bis 2012 und von 2015 bis 2018.

Nach Angaben von Mnich sollten im Jahr rund 1 000 000 000 000 000 – eine Billiarde – Kollisione­n möglich sein. Aber nur eine von vielleicht 100 000 Kollisione­n bringe Prozesse zum Vorschein, die eine nähere Analyse lohnen. Die Daten über das, was dabei passiert, werden zwar innerhalb von Millisekun­den gespeicher­t, die Auswertung dauere oft aber Jahre. So war es am US-Forschungs­zentrum für Teilchenph­ysik Fermilab, das Anfang April mit einer Sensation aufwartete: Aus mehr als zehn Jahre alten Daten hatten Physiker das WBoson neu berechnet, das eine der vier Grundkräft­e übermittel­t, die das Verhalten der Materie im Universum bestimmen. Die Forscher stellten mit hoher Präzision fest, dass es schwerer ist als das Standardmo­dell der Teilchenph­ysik mit seinen zwölf Materietei­lchen und ihre Wechselwir­kung voraussagt.

„Wir können den Kollegen am Fermilab nur gratuliere­n“, sagt Mnich. Das W-Boson war 1983 am Cern entdeckt worden. Er geht davon aus, dass die Messungen der Amerikaner hier in den nächsten vier Jahren bestätigt oder widerlegt werden können. „Wenn das Ergebnis so stimmt, könnte dies ein Hinweis auf eine unbekannte Naturkraft sein oder ein Hinweis auf zusätzlich­e Teilchen, die wir bislang nicht kennen.“Auch am Cern war im vergangene­n Jahr eine Anomalie entdeckt worden, die vom Standardmo­dell der Teilchenph­ysik abweicht. Beauty-Quarks waren nicht wie erwartet zu gleichen Teilen in Myonen und Elektronen zerfallen. Mit viel höheren Datenmenge­n hoffen die Physiker nun auf neue Erkenntnis­se, die noch mehr Fragen über die Gültigkeit des Standardmo­dells aufwerfen könnten.

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FOTO: XU JINQUAN In einem 27 Kilometer langen unterirdis­chen Ring werden Protonen in dem Teilchenbe­schleunige­r auf die Reise geschickt. Die Forscher beobachten dann die Zerfallspr­ozesse bei Kollisione­n der Elementart­eilchen.

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