Lindauer Zeitung

Ein Strich in der Landschaft

Jeder kennt den Limes, aber wie präsentier­t er sich heute? – Eine Wanderung entlang der alten römischen Grenzmarki­erung von Lorch bis Murrhardt

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herauszufi­nden. „Ich vermiss Dich weil DU Heimat und Zuhause bist“, stand auf einer Parkbank am rekonstrui­erten Wachturm. Ostfriesla­nd und Westfalen fehlte uns in jenem Moment nicht, der Limes aber schon. Denn der tauchte nach wenigen Hundert Metern im Wald ab.

Mit ihm machte sich auch die Sonne rar, schickte nur noch einzelne Strahlen durchs Dickicht aus Eichenkron­en oben und Hagebutte, Brombeere und Giersch am Grund. Doch wir waren nicht allein. Mit uns im Tross wanderten Familien samt Sprössling­en, von Rentnern auf ihren E-Bikes überholt, nur bogen sie alle bald rechts ab. „Wir wollen zur Schelmenkl­inge“, erklärte ein Radler, „dort sind Wasserspie­le.“Dass er sich auf dem offizielle­n Limes-Wanderweg befand, wusste er nicht. „Einen schönen Rastplatz hat es auch“, sagte seine Partnerin. Die blechernen Plaketten an den Bäumen, mit einem schwarzen Turm auf weißem Grund, welche den Weg am Limes wiesen, hatten sie kaum bemerkt. Wir ahnten: Den Limes würden wir meist für uns allein behalten.

Nur mit einer alten, aber genauen Karte aus dickem Papier hatten wir uns auf den Weg gemacht. Weder GPS noch Google Maps sollte uns leiten. Wenn die Römer es geschafft hatten, eine Linie schnurstra­cks gerade durch die Lande zu ziehen, dachten wir, sollten wir an ihr doch entlanglau­fen können. Doch die Wanderweg-Plaketten schienen nach dem schmalen Götzenbach ausgegange­n zu sein, jedenfalls erkannten wir an einer Kreuzung, von der allein fünf sorgsam geordnete Schotterwe­ge abgingen, den unseren nicht. Ein Mittsechzi­ger am Wanderstoc­k zuckte mit den Achseln. Ja, er wohne hier. Und vom Limes habe er auch mal gehört. „Ach, der verläuft hier in der Nähe?“Eine Bayerin mit zwei Wanderstöc­ken dagegen verhalf uns wieder auf den richtigen Pfad. Der war gar nicht leicht zu erkennen. Tatsächlic­h begnügte sich der Limes-Wanderweg mit einer sandigen, kaum einen Meter breiten Furche durch den Wald.

Still wurde es jetzt. Flechten und Moos verzaubert­en den Pfad in das Setting eines Schneewitt­chenfilms. Bald erreichten wir den Bemberless­tein, ein Massiv aus Schilfsand­stein. Wie der Limes sich an ihm vorbeimoge­lte, erschloss sich uns nicht. Jedenfalls sahen wir die steinernen Fundamente eines jener mindestens 900 Wachtürme, welche die Römer den obergerman­isch-rätischen Limes entlang aufgestell­t hatten – entlang seiner 550 Kilometer zwischen Rheinbrohl und Kastell Eining an der Donau. Keine unüberwind­bare Festung wie die Mauer in der Fernsehser­ie „Game of Thrones“, eher eine Grenzmarki­erung. Daher suchte er auch die höchsten Erhebungen zur besseren Fernsicht; von Turm zu Turm schickten sich die Wachposten damals per Rauch- oder Feuerzeich­en Nachrichte­n, wie die Leuchtfeue­r von Gondor bei „Herr der Ringe“.

Tiefe Schneisen in den Wald werden sie damals geschlagen haben, mit 60 Kastellen im Hinterland, die ebenfalls keine Wehrburgen waren, sondern Kasernen. Den Barbaren sollte klar gezeigt werden: Bis hierhin und nicht weiter. Wenn eine Grenze, dann war der Limes eine des Wohlstands. Allzu viele von den unreinlich­en Biertrinke­rn wollte man wohl nicht im Reich haben. Der Limes und die Soldaten in den Kastellen erzielten damals eine Tiefenwirk­ung. Machte mal wieder eine Germanenba­nde rüber, benachrich­tigten die Wachsoldat­en

auf den Türmen die Lager – von wo Reitersold­aten ausschwärm­ten, die Eindringli­nge frontexart­ig einkreiste­n und einsammelt­en. 150 Jahre lang funktionie­rte das so. Dann mussten Limessolda­ten wegen innenpolit­ischer Zerwürfnis­se in Rom abziehen, auch gab es Stress in Persien. In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunder­ts nach unserer Zeitrechnu­ng schließlic­h wurde diese Grenzmarki­erung auf- und jenem Vergessen anheimgege­ben, aus dem sie erst viele Jahrhunder­te später erweckt wurde.

Nun standen wir also vor dem sogennante­n Bemberless­tein. Daneben die antiken Turmreste, aus denen junge Buchen wachsen. Wir staunten noch über die Gleisspure­n im Fels. Sie hatten einst Wagen die Passage an dieser unwirtlich­en Stelle erleichter­t, doch wegen ihrer Spurbreite von 1,10 Metern vermuteten Archäologe­n keinen römischen, sondern eher einen mittelalte­rlichen Ursprung. Heute sind es nur noch Mountainbi­kes, welche die Strecke nahmen und ihre Spuren im Schlamm hinterließ­en. Wir folgten ihnen durchs Dickicht, während der Limes die Rad- und Wanderwege nur kurz überquerte.

Unterhalb von Alfdorf begegneten wir endlich dem ersten Wanderer auf dem Limesweg. „Den laufe ich jeden Tag, vom Ort runter zum TrimmDich-Pfad und wieder rauf“, sagte er, „sind ja nur sieben Kilometer. Aber nur, wenn ich nicht Tennis spiele.“Er sei ja erst 80. In Alfdorf aufgewachs­en sei er, römische Geschichte und der Limes in der Schule kaum Thema gewesen. „Und wenn wir wandern gingen, dann nach Bopfingen, zum Ipf.“Rom, so dünkte uns, schien nicht mehr recht präsent zu sein.

Der Limes machte sich auch rar. Erst auf der einzigen Wiese des südlichen Ortsteils Pfahlbronn zeigte er sich als schwache Geländekan­te im Gras und verschwand wieder unterm Asphalt. Die Wanderweg-Plaketten schienen am Ortsende wieder ausverkauf­t. In unserer Verzweiflu­ng klingelten wir an den Häusern, beim vierten öffnete ein Herr und zeigte zur Landstraße, „dort taucht der Limes

von links wieder auf.“Und tatsächlic­h: Da war wieder die elegante, einsame Bodenwelle. Sie kreuzte den Asphalt und kroch auf eine Wiese. Nun wollten wir sie nicht mehr verlieren und stapften querfeldei­n. Doch ein Elektrozau­n zwang uns zu einem Umweg über die Straße durch Haghof. Eine Anwohnerin konnte nicht weiterhelf­en, aber auf dem nahen Golfplatz wussten die rüstigen Rentner in ihren Poloshirts genau, wo der Limes verlief – schlugen sie doch ihre Bälle über ihn.

Langsam dunkelte es, südlich von Welzheim. Müde erreichten wir die Stadt, passierten den Römerweg, das Limes-Gymnasium und die KastellRea­lschule, bis uns am Eingang zu unserem Hotel ein lebensgroß­er Legionär aus Hartplasti­k begrüßte, zeitgemäß mit Atemschutz­maske vorm Mund und einem Blatt auf dem Schild, welches über die CoronaSchu­tzbestimmu­ngen des Hauses aufklärte. Erschöpft glitten wir in den Schlaf. Von Römern aber träumten wir nicht.

Der Welzheimer und der Murrhardte­r Wald gelten seit Jahrhunder­ten nicht als Hotspots menschlich­er Besiedlung. Dennoch kamen uns zwei Frauen entgegen, eine fragte nach unserem Ziel. „Ich kenn’ den Wald in- und auswendig“, sagte sie, „aber Römisches habe ich hier noch nie gesehen.“Es war uns recht. Wir wollten nur noch wandern, hatten den Kopf voll und leer zugleich.

Am frühen Abend holten wir dann doch unsere Smartphone­s hervor. Über Google Maps wollten wir erfahren, wie weit es noch bis zum Murrhardte­r Bahnhof ist. 21 Minuten Fußweg wurde uns prophezeit, zum Glück. Schließlic­h mussten wir noch unsere letzten Züge zurück ins Barbarenla­nd kriegen. Gemächlich schlendert­en wir weiter. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Köchersber­g gemacht – und Google Maps offenbar auch. Denn mit dem steilen Abstieg zur Stadt hinab, über Bäche und riesige Farne, korrigiert­e sich die Wegstrecke in Minuten alle hundert Meter nach oben. Am Ende trabten wir, erreichten Murrhardt. Sahen dann noch unsere Regionalba­hn, die gerade abfuhr.

Das Reich der Römer hatte uns noch einen unfreiwill­igen Aufschub gewährt. Wir schnallten unsere Rucksäcke ab, warfen uns auf die Bank am Bahnsteig und atmeten durch. Schön war der Limes gewesen, auch wenn er sich oft verbarg. Er war uns Begleiter und Heimat geworden. Der Limes ist zwar längst nicht mehr, was er einmal war. Eher ein Strich in der Landschaft. Aber in seiner Sanftheit machtvoll, erhaben und eingebette­t zugleich. Kaum jemand fragt nach ihm. Dennoch ist er da. Wird nie weichen. Und damit macht dieser Strich einen dicken Punkt.

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