Ein Nachtlager für alle
Von ruhigen Nächten träumen alle Eltern – Wie ein großes Familienbett helfen kann, dass alle besser und länger schlafen
Auf die Frage, ob sie nachts Besucht von ihren Kindern bekommen, sind sich die Eltern im Freundeskreis so einig wie bei kaum einem anderen Familienthema: „Mindestens einmal in der Woche.“„Jede Nacht.“„Bis sie zehn Jahre alt waren regelmäßig.“In manchen Familien wird das „Bettchen-wechsel-dich“-Spiel allenfalls andersherum gespielt, und die Eltern ziehen zu den Kindern. Oder die Kinder kommen zu den Eltern, woraufhin dann ein Elternteil ins Kinderbett umzieht.
Denn mit Kindern ein ursprünglich für zwei Erwachsene gedachtes Bett zu teilen, klingt kuscheliger als es ist. Da wird gewälzt, getreten, an der Bettdecke gezogen, bis die Eltern sich am Fußende zusammenkauern, aufs Sofa flüchten – oder ein Familienbett kaufen.
Wer nach Beispielen im Internet sucht, wird neidisch: Bettenlandschaften mit 2,30, 2,70, 3,20, ja vier Metern Breite sehen aus wie gemütliche Matratzenlager auf Berghütten. Die Familienbetten werden von den Eltern selbst zusammengebaut oder beim Schreiner in Auftrag gegeben und haben alle ein Ziel: der Familie nachts so viel Platz zu bieten, dass es egal ist, wie viele große und kleine Menschen darin Zuflucht suchen.
Aber warum bevorzugen überhaupt so viele Kinder einen Schlafplatz bei den Eltern – wo sie doch so gemütliche Kinderzimmer mit Schlafhöhlen, Hochbetten oder Sternenhimmeln haben? „Einschlafen kann nur, wer sich geborgen fühlt und entspannt ist“, sagt Herbert Renz-Polster, Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor zahlreicher Erziehungsratgeber. Müde Kinder werden deshalb meist sehr anhänglich, klettern auf den Schoss, lassen sich ins Bett tragen und genießen es, in Gesellschaft einzuschlafen.
Wachen sie dann nachts allein in ihrem Zimmer auf – wahlweise weil die Decke verrutscht ist, sie aufs Klo müssen, schlecht geträumt haben oder durstig sind – und da ist keiner, „dann wird ihr Hochsicherheitsprogramm aktiviert und schlägt Alarm“, sagt Herbert Renz-Polster. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Kind – je nach Alter – anfängt zu weinen, die Eltern ruft oder zu ihnen ins Schlafzimmer tappt.
„Ein Baby kann nachts ja noch nicht einmal eine Fliege aus seinem Gesicht verscheuchen“, sagt Kinderarzt Herbert Renz-Polster. Tagsüber würden die Eltern deshalb auch nie auf die Idee kommen, ein so hilfloses Geschöpf stundenlang allein zu lassen. Nachts dagegen hätten die meisten Mütter und Väter nichts dagegen, den Nachwuchs mal acht Stunden lang nicht zu sehen – vor allem, wenn die Kinder das Kindergarten- oder Grundschulalter erreicht haben. Aber auch Drei- bis Zehnjährige halten sich tagsüber noch die meiste Zeit in der Nähe einer Vertrauensperson auf. „Warum soll das dann nachts anders sein?“, fragt Kinderarzt Herbert Renz-Polster.
Schlafen als Privatangelegenheit ist ohnehin ein sehr deutsches Phänomen und allenfalls noch in wenigen anderen Ländern Europas sowie in Nordamerika verbreitet. Bei knapp 70 Prozent der anderen Kulturen weltweit teilen sich Familienmitglieder dagegen seit jeher ein Schlafzimmer, wie der amerikanische Anthropologe John Whiting bereits in den 1960er-Jahren in Studien untersucht hat. Das hat sicherlich oft auch Platzgründe. Aber selbst wenn wie bei vielen deutschen Familien der Platz für eigene Kinderzimmer da ist, entscheidet sich der Nachwuchs häufig für die Nähe im Elternbett.
Es gibt also gute Argumente, die fürs Schlafen im Familienbett sprechen, für „Co-Sleeping“(hier wird nur in einem Zimmer geschlafen) oder „Co-Bedding“beziehungsweise
„Bed-sharing“(hier wird auch das Bett geteilt). Trotzdem planen die wenigsten Eltern mit der Familiengründung eine XXL-Schlaflandschaft für alle ein. Die Vorbehalte im Freundeskreis wie in Onlineforen lassen sich zu drei Punkten zusammenfassen: 1. Zumindest solange die Kinder klein sind, ist ein gemeinsames Schlafen im Bett wegen des plötzlichen Kindstods gefährlich. 2.
Ab drei Monaten können Kinder durchschlafen, wobei dies in der Schlafforschung anders definiert wird, als viele Eltern das tun würden. Es heißt, dass ein Kind etwa sechs Stunden lang ruhig ist und es schafft, nach einer Wachphase wieder selbst einzuschlafen. Denn drei Monate alte Kinder werden im Schnitt nachts noch zwei- bis dreimal wach. Mit neun Monaten wachen die Kleinen im Schnitt sogar fünfmal pro Nacht auf. Und mit zwölf Monaten sind sie wieder bei zwei- bis dreimal pro Nacht. Im Kleinkindalter meldet sich noch über ein Drittel der Zweieinhalbjährigen regelmäßig. Erst mit drei bis vier Jahren haben die meisten Kinder dann einen wirklich gefestigten
Wenn die Kinder einmal im Elternschlafzimmer eingezogen sind, wird man sie nie wieder los. 3. Eltern haben ein Recht auf Privatsphäre – und auf ein Liebesleben.
Konfrontiert man Experten mit diesen Vorbehalten, bekommt man folgende Antworten: Tatsächlich rieten Ärzte und Wissenschaftler lange Zeit ausdrücklich davon ab, ein Baby im Elternbett schlafen zu lassen – Schlaf. Bis zu diesem Alter machen Kinder eine enorme Gehirn- und Gedächtnisentwicklung durch – und das passiert vor allem nachts, in den unruhigen, bei Kindern besonders ausgeprägten REM (Rapid-Eye-Movement)Schlafphasen. (mar) eben weil es das Risiko für den plötzlichen Kindstod erhöhe, so das Ergebnis mehrerer Studien. Inzwischen haben die Forscher herausgefunden, dass ganz vielfältige Faktoren dazu führen, dass Babys im ersten Lebensjahr nachts plötzlich versterben. So haben Flaschenkinder dem Kinderarzt Herbert Renz-Polster zufolge ein deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Kindstod als voll gestillte Kinder – weil Letztere nachts häufiger aufwachen und weniger Tiefschlafphasen haben. „In den allermeisten Fällen spielen Alkohol, Drogen, Zigarettenrauchen oder Schlafmittel bei den Eltern eine Rolle“, sagt Herbert Renz-Polster.
Treffen solche Risikofaktoren nicht zu, spricht seiner Meinung nach nichts dagegen, ein Baby im Bett der Eltern schlafen zu lassen – wenn es im eigenen Schlafsack liegt, die Eltern auf Kissen und dicke Daunendecken verzichten und ein Rausfallschutz vorhanden ist. „Im selben Zimmer schlafen sollten Babys das erste Lebensjahr über aber auf jeden Fall“, sagt Herbert Renz-Polster.
Fürs Co-Sleeping im ersten Lebensjahr spricht sich auch Alfred Wiater, Kinder- und Jugendarzt sowie Schlafmediziner von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin aus. Vom Schlafen im selben Bett hält er im Babyalter
dagegen nichts. „Untersuchungen im Zusammenhang mit dem plötzlichen Säuglingstod haben ergeben, dass das Risiko dafür reduziert ist, wenn Säuglinge im ersten Lebensjahr im eigenen Bett im Elternzimmer schlafen, am besten angedockt ans Elternbett, dann können sie nachts problemlos gestillt werden“, sagt Alfred Wiater. Auch die Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften lautet, dass „Kinder vor allem in den ersten drei Lebensmonaten und, wenn die Eltern Raucher sind, auch danach im eigenen Kinderbett schlafen sollen“.
Auch beim Einwand mit dem Verwöhnen geben die Experten Entwarnung. „Je mehr man dem Bedürfnis der Kinder nach Nähe nachkommt, umso sicherer wird ihre Bindung und umso leichter ist später mal der Ablösungsprozess“, sagt Jutta Eichenauer, Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg. Das Familienbett könnte also sogar dazu beitragen, dass ein Kind früher ins eigene Zimmer zieht und dort dann gut und entspannt schläft. „Für die Eigenständigkeitsentwicklung des Kindes und die weitere Sozialisation gehört das irgendwann auch dazu“, sagt Schlafmediziner Alfred Wiater.
Bleibt die Sache mit dem Sex, der im Familienbett zwangsläufig zu kurz kommen muss – so zumindest die Befürchtungen vieler Mütter und Väter in Eltern-Foren. Praktizierende Familienbett-Schläfer antworten in den Foren darauf ziemlich deutlich: „Ihr braucht doch wohl nicht euer Schlafzimmer, um Sex haben zu können!“
Dennoch muss sich jetzt nicht jede Familie ein XXL-Bett anschaffen. Es gibt durchaus auch Kinder, die gern und gut in ihrem eigenen Zimmer schlafen. „Wenn es das kindliche Bedürfnis ist, diesen Freiraum zu haben, dann darf es nicht sein, dass Eltern ein Familienbett anschaffen“, sagt Schlafmediziner Wiater.
Und dann gibt es Eltern, die sich an den gelegentlichen nächtlichen Besuchen der Kinder nicht stören. Bei anderen sind Vater oder Mutter ohnehin schon dauerhaft aufs Sofa, ins Hochbett oder ins Gästezimmer umgezogen, um dem Nachwuchs im Elternbett Platz zu machen.
Und bei Geschwistern reicht es oft auch schon, wenn die Kinder zusammen in einem Bett oder Zimmer schlafen. Dann haben die Eltern ihr Bett wieder für sich – in dem sie übrigens meist ja auch lieber zu zweit als alleine schlafen.