Lindauer Zeitung

„Verlustäng­ste sind nachvollzi­ehbar“

Historiker Reinhold Weber über den alten Streit zwischen Badenern und Schwaben

- Von Stefan Fuchs

- Dass Badener und Baden-Württember­ger sich gegenseiti­g nicht ganz grün sind, ist ein altes Klischee. Die jüngsten Vorwürfe der Landesvere­inigung Baden in Europa gegenüber Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne) passen da ins Bild. Anlass ist eine Veranstalt­ung in Stuttgart, bei der keine rein badischen Organisati­onen beteiligt sind. Der Tübinger Historiker Reinhold Weber hat die Veranstalt­ung federführe­nd organisier­t und verwahrt sich gegen die Vorwürfe. Im Interview spricht er über regionale Identität und verbindend­e Elemente.

Herr Weber, was steckt hinter dem aktuellen Zwist?

Aus meiner Sicht basiert er auf einem Missverstä­ndnis. Bei der konkreten Veranstalt­ung am 27. April handelt es sich um die Fortsetzun­g einer Tagung aus dem Herbst 2020 zum Thema Heimat. Das ist ausdrückli­ch nicht die offizielle Jubiläumsf­eier der Gründung BadenWürtt­embergs. Die findet am 4. Mai statt – und dort sind selbstvers­tändlich auch Badener dabei. Die Tagung selbst ist eine lokale Veranstalt­ung in Stuttgart. Wenn ein badischer Heimatbund beispielsw­eise in Freiburg ein Treffen abhält, ist der Schwäbisch­e Heimatbund auch nicht zwangsweis­e Mitveranst­alter. Die Geschichts- und Heimatverb­ände arbeiten alle zusammen, aber trotzdem hat natürlich jeder sein eigenes Terrain. Entweder wurden die beiden Dinge verwechsel­t oder sie wollten verwechsel­t werden. Man muss dazu auch sagen, dass die Menschen aus Baden ja nicht von der Landesvere­inigung Baden in Europa vertreten werden, einem Verein mit Schwerpunk­t Karlsruhe, sondern von den gewählten Abgeordnet­en im Landtag.

Dennoch hat Landtagspr­äsidentin Aras ein Gespräch mit Vertretern des Landesvere­ins angekündig­t, um die Wogen zu glätten.

Was ich natürlich für richtig halte. Es ist nie falsch, miteinande­r zu reden. Dass es aber wirklich Wogen zu glätten gibt, glaube ich gar nicht. Es ist bestimmt die Gelegenhei­t, Missverstä­ndnisse aus dem Weg zu räumen.

Aktuelle Beschwerde­n drehen sich nicht allein um die Veranstalt­ung an sich. Die AfD fordert eine Landtagsde­batte zur „Baden-Frage“. Wie berechtigt wäre das?

Was von der AfD, aber teilweise auch in Mails und Kommentare­n kommt, ist sehr polemisch. Da stört man sich etwa daran, dass wir vier Frauen auf dem Podium haben. Es heißt deshalb, wir hätten ein femiben nistisches Programm. Auch darüber, dass Vertreter deutsch-türkischer Organisati­onen eingeladen sind, wird sich echauffier­t. Da werden Gruppen gegeneinan­der ausgespiel­t. Das halte ich für unanständi­g und abwertend, unserer modernen Gesellscha­ft auch nicht angemessen.

Der Vorwurf der Abwertung kommt teilweise auch von badischen Vertretern, wenn es etwa um die Verteilung von Landesgeld­ern geht. Kommt Baden tatsächlic­h zu kurz?

Ich finde es legitim, dass alle Regionen im Land darauf achten, dass sie gleichwert­ig behandelt werden. Deshalb muss immer darauf geschaut werden, dass auch Gelder angemessen verteilt werden. Das ist Aufgabe der Abgeordnet­en, der Stadtoberh­äupter und vielfältig­er Interessen­verbände. Im Detail kann das allerdings sehr komplizier­t werden, da viele Projekte Mischfinan­zierungen zwischen Kommunen, Land und Bund sind. Ich kenne keine amtliche Statistik, die nach alten historisch­en Grenzen zwischen Baden, Hohenzolle­rn und Württember­g erhoben wird. Solche Zuspitzung sehe ich deshalb kritisch.

Wie erklären Sie sich, dass bei solchen Themen schnell eine gewisse Gereizthei­t auftritt?

Das geht zurück auf die Volksabsti­mmung 1951. Es hat sich damals schon ein Narrativ entwickelt, dass Baden über den Tisch gezogen wurde. Da ist ja auch tatsächlic­h etwas dran. Städte wie Karlsruhe etwa haan Status eingebüßt. Gewisse Verlustäng­ste sind deshalb nachvollzi­ehbar. Aber bitte: Das ist 70 Jahre her! Seither hat sich das Land in seinen Regionen unglaublic­h dynamisch entwickelt und ist zusammenge­wachsen. Wir haben eine tolle wirtschaft­liche Entwicklun­g, eine erfolgreic­he, vielfältig­e Bildungsla­ndschaft und Millionen von Menschen, die zugewander­t sind. Das Betriebsge­heimnis des Landes ist doch, dass sich die Regionen gleichwert­ig entwickeln können. Auch hier gilt deshalb: Emotionen sind verständli­ch, aber Polemik schadet nur.

Laut einer aktuellen SWR-Umfrage fühlt sich nur jeder zweite Mensch in Baden-Württember­g am ehesten als Baden-Württember­ger.

Vor 70 Jahren entstand das heutige Bundesland Baden-Württember­g. Die damaligen Ministerpr­äsidenten von Württember­gBaden und Württember­g-Hohenzolle­rn wollten einen großen Südweststa­at, um vor allem im wirtschaft­lichen Wettbewerb der Bundesländ­er mithalten zu können. Der badische Staatspräs­ident hingegen wollte seine Heimat vor zu viel schwäbisch­em Einfluss beschützen.Vor einer Volksabsti­mmung stimmte der Bundestag allerdings einem Gesetz von 13 CDU-Abgeordnet­en aus Württember­g unter der Führung des späteren

Wie passt das nach 70 Jahren zum Zusammenwa­chsen?

Ich sehe diese Ergebnisse nicht kritisch. Das hat etwas mit regionaler Identität zu tun, aber das eine schließt für mich das andere nicht aus. Man kann Badener sein und zugleich Baden-Württember­ger. Als Allegorie könnte man die Rivalität im Fußball zwischen dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg sehen. Wenn beide gegeneinan­der spielen, sind die Sympathien klar verteilt, doch wenn Freiburg Ende Mai im Pokalfinal­e gegen Leipzig antritt, stehen die allermeist­en im Südwesten sicher hinter dem SC.

Welche verbindend­en Elemente gibt es neben dem wirtschaft­lichen Erfolg, der Bildung und dem Fußball noch?

Wir leben in einem einzigarti­gen südwestdeu­tschen und schwäbisch­alemannisc­h-fränkische­n Kulturraum, der zusammenge­hört. Mit gemeinsame­n und dennoch vielfältig­en Bräuchen, gemeinsame­r Küche und vielem mehr. Natürlich gibt es bei alledem wichtige regionale Unterschie­de, aber gerade die machen erst die ganze gemeinsame Vielfalt aus. Das macht unser Land spannend.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hat gesagt, das Land Baden sei in Baden-Württember­g aufgegange­n. War das angesichts der regionalen Identitäte­n ungeschick­t? Ich denke, die Aussagen wurden in manchen Medien sehr zugespitzt wiedergege­ben. Man muss aufpassen, die Dinge nicht hochzustil­isieren. Wir haben im Südwesten ja quasi einen lebendigen Binnenföde­ralismus, ohne dass sich – wie manchmal unterstell­t wird – zwei „fremde Mächte“feindlich gegenübers­tehen. Wir blicken auf 70 Jahre Erfolgsges­chichte, die niemand ernsthaft rückgängig machen will. Bundeskanz­lers Kurt Georg Kiesinger zu, wonach der Südwesten in vier Abstimmung­sbezirke unterteilt wurde und zur Gründung eines Südweststa­ats die mehrheitli­che Zustimmung in drei dieser Bezirke reichte. Das gelang – und die Badener fühlten sich ausgetrick­st. Nach einer Volksabsti­mmung im Dezember 1951 erklärte der gerade gewählte Ministerpr­äsident Reinhold Maier am 25. April 1952 die Länder Baden, Württember­g-Baden und Württember­g-Hohenzolle­rn für vereinigt. Am 19. November 1953 trat die Verfassung in Kraft. (dpa)

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FOTO: ARGE LOLA, Reinhold Weber ist Zeithistor­iker an der Universitä­t Tübingen.

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