„Verlustängste sind nachvollziehbar“
Historiker Reinhold Weber über den alten Streit zwischen Badenern und Schwaben
- Dass Badener und Baden-Württemberger sich gegenseitig nicht ganz grün sind, ist ein altes Klischee. Die jüngsten Vorwürfe der Landesvereinigung Baden in Europa gegenüber Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) passen da ins Bild. Anlass ist eine Veranstaltung in Stuttgart, bei der keine rein badischen Organisationen beteiligt sind. Der Tübinger Historiker Reinhold Weber hat die Veranstaltung federführend organisiert und verwahrt sich gegen die Vorwürfe. Im Interview spricht er über regionale Identität und verbindende Elemente.
Herr Weber, was steckt hinter dem aktuellen Zwist?
Aus meiner Sicht basiert er auf einem Missverständnis. Bei der konkreten Veranstaltung am 27. April handelt es sich um die Fortsetzung einer Tagung aus dem Herbst 2020 zum Thema Heimat. Das ist ausdrücklich nicht die offizielle Jubiläumsfeier der Gründung BadenWürttembergs. Die findet am 4. Mai statt – und dort sind selbstverständlich auch Badener dabei. Die Tagung selbst ist eine lokale Veranstaltung in Stuttgart. Wenn ein badischer Heimatbund beispielsweise in Freiburg ein Treffen abhält, ist der Schwäbische Heimatbund auch nicht zwangsweise Mitveranstalter. Die Geschichts- und Heimatverbände arbeiten alle zusammen, aber trotzdem hat natürlich jeder sein eigenes Terrain. Entweder wurden die beiden Dinge verwechselt oder sie wollten verwechselt werden. Man muss dazu auch sagen, dass die Menschen aus Baden ja nicht von der Landesvereinigung Baden in Europa vertreten werden, einem Verein mit Schwerpunkt Karlsruhe, sondern von den gewählten Abgeordneten im Landtag.
Dennoch hat Landtagspräsidentin Aras ein Gespräch mit Vertretern des Landesvereins angekündigt, um die Wogen zu glätten.
Was ich natürlich für richtig halte. Es ist nie falsch, miteinander zu reden. Dass es aber wirklich Wogen zu glätten gibt, glaube ich gar nicht. Es ist bestimmt die Gelegenheit, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
Aktuelle Beschwerden drehen sich nicht allein um die Veranstaltung an sich. Die AfD fordert eine Landtagsdebatte zur „Baden-Frage“. Wie berechtigt wäre das?
Was von der AfD, aber teilweise auch in Mails und Kommentaren kommt, ist sehr polemisch. Da stört man sich etwa daran, dass wir vier Frauen auf dem Podium haben. Es heißt deshalb, wir hätten ein femiben nistisches Programm. Auch darüber, dass Vertreter deutsch-türkischer Organisationen eingeladen sind, wird sich echauffiert. Da werden Gruppen gegeneinander ausgespielt. Das halte ich für unanständig und abwertend, unserer modernen Gesellschaft auch nicht angemessen.
Der Vorwurf der Abwertung kommt teilweise auch von badischen Vertretern, wenn es etwa um die Verteilung von Landesgeldern geht. Kommt Baden tatsächlich zu kurz?
Ich finde es legitim, dass alle Regionen im Land darauf achten, dass sie gleichwertig behandelt werden. Deshalb muss immer darauf geschaut werden, dass auch Gelder angemessen verteilt werden. Das ist Aufgabe der Abgeordneten, der Stadtoberhäupter und vielfältiger Interessenverbände. Im Detail kann das allerdings sehr kompliziert werden, da viele Projekte Mischfinanzierungen zwischen Kommunen, Land und Bund sind. Ich kenne keine amtliche Statistik, die nach alten historischen Grenzen zwischen Baden, Hohenzollern und Württemberg erhoben wird. Solche Zuspitzung sehe ich deshalb kritisch.
Wie erklären Sie sich, dass bei solchen Themen schnell eine gewisse Gereiztheit auftritt?
Das geht zurück auf die Volksabstimmung 1951. Es hat sich damals schon ein Narrativ entwickelt, dass Baden über den Tisch gezogen wurde. Da ist ja auch tatsächlich etwas dran. Städte wie Karlsruhe etwa haan Status eingebüßt. Gewisse Verlustängste sind deshalb nachvollziehbar. Aber bitte: Das ist 70 Jahre her! Seither hat sich das Land in seinen Regionen unglaublich dynamisch entwickelt und ist zusammengewachsen. Wir haben eine tolle wirtschaftliche Entwicklung, eine erfolgreiche, vielfältige Bildungslandschaft und Millionen von Menschen, die zugewandert sind. Das Betriebsgeheimnis des Landes ist doch, dass sich die Regionen gleichwertig entwickeln können. Auch hier gilt deshalb: Emotionen sind verständlich, aber Polemik schadet nur.
Laut einer aktuellen SWR-Umfrage fühlt sich nur jeder zweite Mensch in Baden-Württemberg am ehesten als Baden-Württemberger.
Vor 70 Jahren entstand das heutige Bundesland Baden-Württemberg. Die damaligen Ministerpräsidenten von WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern wollten einen großen Südweststaat, um vor allem im wirtschaftlichen Wettbewerb der Bundesländer mithalten zu können. Der badische Staatspräsident hingegen wollte seine Heimat vor zu viel schwäbischem Einfluss beschützen.Vor einer Volksabstimmung stimmte der Bundestag allerdings einem Gesetz von 13 CDU-Abgeordneten aus Württemberg unter der Führung des späteren
Wie passt das nach 70 Jahren zum Zusammenwachsen?
Ich sehe diese Ergebnisse nicht kritisch. Das hat etwas mit regionaler Identität zu tun, aber das eine schließt für mich das andere nicht aus. Man kann Badener sein und zugleich Baden-Württemberger. Als Allegorie könnte man die Rivalität im Fußball zwischen dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg sehen. Wenn beide gegeneinander spielen, sind die Sympathien klar verteilt, doch wenn Freiburg Ende Mai im Pokalfinale gegen Leipzig antritt, stehen die allermeisten im Südwesten sicher hinter dem SC.
Welche verbindenden Elemente gibt es neben dem wirtschaftlichen Erfolg, der Bildung und dem Fußball noch?
Wir leben in einem einzigartigen südwestdeutschen und schwäbischalemannisch-fränkischen Kulturraum, der zusammengehört. Mit gemeinsamen und dennoch vielfältigen Bräuchen, gemeinsamer Küche und vielem mehr. Natürlich gibt es bei alledem wichtige regionale Unterschiede, aber gerade die machen erst die ganze gemeinsame Vielfalt aus. Das macht unser Land spannend.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat gesagt, das Land Baden sei in Baden-Württemberg aufgegangen. War das angesichts der regionalen Identitäten ungeschickt? Ich denke, die Aussagen wurden in manchen Medien sehr zugespitzt wiedergegeben. Man muss aufpassen, die Dinge nicht hochzustilisieren. Wir haben im Südwesten ja quasi einen lebendigen Binnenföderalismus, ohne dass sich – wie manchmal unterstellt wird – zwei „fremde Mächte“feindlich gegenüberstehen. Wir blicken auf 70 Jahre Erfolgsgeschichte, die niemand ernsthaft rückgängig machen will. Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger zu, wonach der Südwesten in vier Abstimmungsbezirke unterteilt wurde und zur Gründung eines Südweststaats die mehrheitliche Zustimmung in drei dieser Bezirke reichte. Das gelang – und die Badener fühlten sich ausgetrickst. Nach einer Volksabstimmung im Dezember 1951 erklärte der gerade gewählte Ministerpräsident Reinhold Maier am 25. April 1952 die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern für vereinigt. Am 19. November 1953 trat die Verfassung in Kraft. (dpa)