Macron steht vor einer Mammutaufgabe
Frankreichs alter und neuer Präsident möchte das gespaltene Land einen
- Emmanuel Macron hat eine zweite Chance bekommen. Frankreichs Präsident darf weitere fünf Jahre regieren und es sollen „bessere Jahre“werden, wie er am Sonntagabend nach seiner Wiederwahl sagte. Nach seiner ersten Amtszeit hat der 44-Jährige zwar Erfolge aufzuweisen, hinterlässt aber ein tief gespaltenes Land. Die Trennlinien verlaufen zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Jung und Alt. „Emmanuel Macron wird viel Arbeit damit haben, die Dinge wieder zusammenzubringen, die beachtlichen Risse zu kitten, die Franzosen wieder zu vereinen“, sagt der Politologe Bruno Cautrès voraus.
Mit 58,5 Prozent gewann der Staatschef die Stichwahl zwar deutlicher als erwartet. Doch seine Rivalin Marine Le Pen fuhr mit 41,5 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis ein. Die 53-Jährige präsentierte sich im Wahlkampf als Kandidatin der Abgehängten und ließ ihr nationalistisches Programm darüber vergessen. Sie zu bekämpfen, wird Macrons Aufgabe in den nächsten fünf Jahren sein.
Dazu muss der Präsident erst einmal seinen Führungsstil ändern. Der Staatschef, der 2017 eine „jupiterhafte" Präsidentschaft angekündigt hatte, muss vom Olymp herabsteigen. Den ersten Schritt machte er bereits bei seiner Siegesfeier auf dem Marsfeld. Statt wie vor fünf Jahren allein die Szene zu betreten, kam der Staatschef zusammen mit seiner Frau Brigitte und Dutzenden Kindern.
Eine Art Vater der Nation, auch wenn er dafür mit 44 Jahren immer noch reichlich jung ist. „Natürlich werden wir unsere Art zu regieren ändern“, kündigte sein Wirtschaftsminister Bruno Le Maire an. „Wir müssen mehr auf das hören, was uns die einen oder anderen zu sagen haben.“Von Bürgerkonventionen über nationale Debatten bis hin zu Referenden ist nichts mehr ausgeschlossen. Auf die „demokratische Unzufriedenheit“soll eine Antwort gefunden werden.
In seiner ersten Amtszeit war Macron mit einer Reform des Wahlrechts gescheitert, die zumindest einen Teil der Abgeordneten der Nationalversammlung nach dem Verhältniswahlrecht bestimmen sollte. Das Mehrheitswahlrecht bildet die politische Landschaft nämlich schon lange nicht mehr ab und trägt zur Wahlenthaltung bei. Der Anteil derjenigen, die zu Hause blieben, war diesmal mit 28 Prozent so hoch wie seit mehr als 50 Jahren nicht. Dafür äußerte sich nach Macrons Wahlsieg der Widerstand auf der Straße. „Macron, hau ab“, skandierten Demonstrierende in mehreren Städten.
Der Präsident hatte die Wut seiner Landsleute in den vergangenen Jahren immer wieder zu spüren bekommen. Am stärksten manifestierte sie sich durch die Proteste der Gelbwesten, die 2018 gewaltsam gegen den „Präsidenten der Reichen“demonstrierten. Laut einer Umfrage rechnen 77 Prozent der Französinnen und Franzosen auch in den kommenden Monaten mit Aufruhr und Spannungen.
57 Prozent erwarten gleichzeitig vom Staatschef, dass er das Land wieder zusammenbringt und dafür auch Reformen verschiebt. Von seiner Agenda, die er schon in seiner ersten Amtszeit weitgehend abgearbeitet hat, bleibt Macron ohnehin nur noch die umstrittene Rentenreform. An der will er mit Abstrichen festhalten, auch wenn 2019 Hunderttausende dagegen protestierten. Allerdings will er diesmal die Sozialpartner in sein Projekt einbinden, die er fünf Jahre lang links liegen gelassen hatte. Die Brücken zu den Gewerkschaften wieder aufzubauen, dürfte nicht einfach sein.
Auch die ökologische Wende, die Macron in den nächsten Wochen vollziehen will, dürfte ein Kraftakt werden. Der Staatschef hatte in den vergangenen fünf Jahren Umweltund Klimaschutz vernachlässigt und war dafür sogar vom eigenen Klimarat gerügt worden. Erst auf den letzten Metern des Wahlkampfs stellte er die Ökologie nach vorn, um eine linksgrüne Wählerschaft zu gewinnen. Die verhalf ihm am Sonntag zum Sieg, ohne ihn oder sein Programm wirklich zu unterstützen.
Aus Sicht vieler Beobachter ist Macrons Sieg daher eben keine Bestätigung seiner ersten Amtszeit, seiner Europafreundlichkeit oder seines Liberalismus. Trotzem ist es nicht verwunderlich, dass in Europa nun Erleichterung herrscht. Mit Le Pen wäre die EU wohl in weiten Teilen handlungsunfähig gewesen. Ihre Vorhaben wie das, nationales Recht über EU-Recht stellen zu wollen, hätten außerdem erbitterten Streit zwischen Paris und den EU-Institutionen bedeutet. Dann doch lieber Macron. Der ist zwar in der EU bei Weitem nicht jedermanns Liebling betreibt er doch hinter den Kulissen teils rücksichtslose Interessenpolitik für sich und sein Land. Aber grundsätzlich will er glaubhaft an einer Vertiefung der Europäischen Union arbeiten und deren Grundfesten nicht antasten. Wie gut der deutschfranzösische Motor in Europa mit dem noch recht neuen Bundeskanzler Olaf Scholz funktioniert, wird sich jetzt erst zeigen. In er UkraineKrise wirkte Macron deutlich aktiver, war Scholz immer einen Schritt voraus.
Doch ob Brüssel und Berlin weiterhin auf ein starkes Frankreich am Verhandlungstisch und als Treiber wichtiger Reformen bauen können, steht noch in den Sternen. Mitte Juni muss Macron bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit holen. Und Macron kann seine nächste Amtszeit nur zu einem Erfolg machen, wenn er auch eine Mehrheit in der Nationalversammlung bekommt. Getreu seiner Devise von 2017, „weder rechts noch links“zu sein, sucht er sich dafür Verbündete auf beiden Seiten. Doch die extremistische Opposition könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Der Linksextremist Jean-Luc Mélenchon hofft ebenso wie Le Pen, das Land mit einer Mehrheit in der Assemblée Nationale unregierbar zu machen. „Die nächsten fünf Jahre werden nicht ruhig sein“, hatte der Staatschef am Sonntagabend angekündigt. Der Ärger könnte für ihn schon im Juni anfangen.