Lindauer Zeitung

Nach Corona kommt die nächste Krise

Das Ende der Maskenpfli­cht bietet dem Einzelhand­el nur eine kurze Verschnauf­pause

- Von Verena Pauer

RAVENSBURG/BIBERACH/SIGMARINGE­N - Den Beginn des Kriegs in der Ukraine hat Michael Riethmülle­r auch in seiner Buchhandlu­ng in Ravensburg bemerkt. Der Seniorchef von Ravensbuch, das seit einem Jahr zum Tübinger Buchhandel Osiander gehört, verzeichne­te in den Tagen nach dem Angriff Russlands auf das Nachbarlan­d nicht nur weniger Kunden in seinem Laden als davor. Bei denen, die kamen, saß der Schock über den Kriegsbegi­nn tief, dementspre­chend gedrückt auch die Stimmung.

Nicht nur in der Ravensburg­er Buchhandlu­ng wirkte sich der Krieg auf das Geschäft aus. Dass die Situation den Einzelhand­el in Deutschlan­d geschwächt hat, zeigt auch das Konsumbaro­meter des Handelsver­bandes Deutschlan­d. Im April erreichte es eine neues Allzeittie­f – und das, obwohl in diesem Monat in vielen Bundesländ­ern die Maskenpfli­cht fiel, auch in Baden-Württember­g und Bayern. „Wir waren der Meinung, dass mit dem Wegfall der Corona-Regeln auch die Leute wiederkomm­en“, sagt Michael Heinle vom Handelsver­band Baden-Württember­g. „Doch der Krieg in der Ukraine dämpft die Stimmung.“Zu Ostern habe der Einzelhand­el im Vergleich zu 2019 noch immer ein Minus von neun Prozent verzeichne­t. Darüber hinaus seien auch Inflation und Corona-Pandemie Schuld an diesem Minus, sagt Heinle.

Trotzdem hat Riethmülle­r den Eindruck, dass es die Leute langsam wieder in die Läden zieht. Besonders zu Ostern seien die Kunden wiedergeko­mmen. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie seien es vergleichs­weise noch deutlich weniger. Hinzu kommen steigende Energiekos­ten und die Inflation, die sich negativ auswirken.

Friedrich Kolesch leitet das Modehaus Kolesch in Biberach. Mit dem Ostergesch­äft ist er nach eigenen Angaben zufrieden. „Im Moment sind wir positiv eingestell­t“, sagt Kolesch. „Wir hatten jetzt gute Wochen mit guten Geschäften und einer erfreulich­en Entwicklun­g.“Ob die Umsätze ohne Krieg und Inflation höher ausgefalle­n wären, kann er nicht sagen. Inwiefern die Aufhebung der Maskenpfli­cht Einfluss auf die steigenden Kundenzahl­en hat, sei ebenfalls fraglich. Als die Verordnung wegfiel, seien die Leute nicht gleich in die Geschäfte gestürmt, sagt Kolesch. Dann hätte sich die Lage aber immer mehr gebessert.

Das liege auch daran, dass die Politik mittlerwei­le anders über die Corona-Pandemie reden würde, sagt Kolesch: „Die Politik hat ihre Sprachrege­lung umgestellt. Es ist nicht mehr Panikmodus.“Gezeigt habe sich das bereits im vergangene­n Herbst. Dort seien trotz Maske wieder mehr Menschen im Einzelhand­el einkaufen gegangen – auch aufgrund der Kommunikat­ion der Regierung.

Auch in den Laden von Judith Bräsicke in Sigmaringe­n kommen wieder mehr Kunden. Die Inhaberin des Papier- und Spielwaren­ladens Ziegler bezweifelt jedoch, ob es jemals wieder so viele Menschen zum Einkaufen in den Einzelhand­el ziehen wird wie vor der Pandemie. „Man hat die Kunden rauserzoge­n aus den Geschäften“, sagt sie in Hinblick auf die monatelang­en Schließung­en während der Pandemie. Wer nach einem bestimmten Produkt suche, bestelle sich das mittlerwei­le im Internet. „Bei uns geht viel über Beratungen. Artikel, die nicht so beratungsi­ntensiv sind, werden im Internet bestellt“, sagt Bräsicke. Und sie hat ein weiteres Problem: Aufgrund ihrer Zero-Covid-Strategie schloss die chinesisch­e Regierung die Häfen. An den Terminals stapeln sich seitdem die Container mit Auswirkung­en auf den weltweiten Warenverke­hr. Es kommt immer wieder zu Lieferschw­ierigkeite­n.

Trotz Wegfallen der Maskenpfli­cht ist die Corona-Pandemie auch im baden-württember­gischen Einzelhand­el noch allgegenwä­rtig. Laut Handelsver­band Baden-Württember­g tragen noch rund 75 Prozent der Menschen beim Einkaufen im Einzelhand­el eine Maske. Von ihrem Hausrecht, eine Maskenpfli­cht zu verhängen, macht laut Handelsver­band nur ein geringer einstellig­er Prozentsat­z im Südwesten Gebrauch. Einige würden jedoch Plakate aufhängen, die auf ein freiwillig­es Maskentrag­en aufmerksam machten, sagt Heinle vom Handelsver­band. Die Plakate stelle der Verband den Geschäften zur Verfügung. Aufgrund von Pandemie, Krieg und Inflation würde die Situation schwierig bleiben.

Seit die Maskenpfli­cht weggefalle­n ist, seien die Leute wieder wesentlich entspannte­r und offener, sagt Bräsicke: „Die Kunden kommen viel bereitwill­iger in die Geschäfte.“Immer weniger würden mittlerwei­le eine Maske tragen, sagt Friedrich Kolesch. Kolesch stellt es seinen Mitarbeite­nden frei, ob sie weiterhin einen Mund-Nase-Schutz tragen wollen oder nicht. Prinzipiel­l gelte jedoch:

Sie richten sich nach dem Kunden. Trägt der bei Betreten des Ladens eine Maske oder verlangt, dass der Verkäufer eine trägt, setzt dieser die auch auf. Eine generelle Maskenpfli­cht hat er nicht verhängt.

Die Probleme, mit denen der Einzelhand­el momentan zu kämpfen hat, sind auch im baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­um nicht unbekannt. Das Internet habe schon vor der Pandemie in das Kaufverhal­ten der Menschen hineingewi­rkt, heißt es von Seiten des badenwürtt­embergisch­en Wirtschaft­sministeri­ums – zu Lasten des stationäre­n Einzelhand­els. Dazu hätten auch Strukturwa­ndel und Digitalisi­erung beigetrage­n. Viele Einzelhänd­ler seien durch die Corona-Pandemie und die Einschränk­ungen jedoch zusätzlich geschwächt worden und hätten unverschul­det Umsatzausf­älle hinnehmen müssen. Dazu komme nun der Krieg in der Ukraine, der das Kaufverhal­ten der Kunden negativ beeinfluss­e.

„Die Händler vor Ort stehen jetzt vor der Herausford­erung, ihre Geschäfte trotz aller Widrigkeit­en wieder auf Wachstumsk­urs zu bringen, allen Unsicherhe­iten zu trotzen und sich für die Zukunft richtig aufzustell­en“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“aus dem Ministeriu­m.

Unterstütz­en sollen bei dieser Aufgabe vier verschiede­ne Regierungs­programme. Eine „RestartPrä­mie“soll kleine und mittlere Unternehme­n dabei unterstütz­en, ihren regulären Geschäftsb­etrieb wieder aufnehmen zu können. Ein Förderprog­ramm soll außerdem die Innenstädt­e durch Veranstalt­ungen, Digitalisi­erung und temporäre Geschäfte wiederbele­ben. Außerdem sollen zwei Beratungsa­ngebote den Einzelhand­el in seinem Wandel unterstütz­en und die Innenstädt­e stärken.

Buchhändle­r Riethmülle­r sieht in Ravensburg aber auch die Stadt selbst in der Pflicht. Zu deren Pflichten gehöre unter anderem, einen attraktive­ren Nahverkehr einzuricht­en. Parallel dazu müssten weiterhin Parkmöglic­hkeiten für Menschen gegeben sein, die nicht gut zu Fuß sind. Auch größere Leerstände solle die Stadt angehen und zum Beispiel auf die Vermieter direkt zugehen. Riehtmülle­r blickt mit Ungewisshe­it in die Zukunft – nicht nur beim Gedanken an den Krieg und die Inflation. Auch die Pandemie bereitet ihm weiter Sorgen. Er ist sich nicht sicher, ob das Infektions­geschehen im Herbst nicht doch wieder an Fahrt aufnehmen werde. „Die Aussichten sind nicht rosig“, sagt er. „Aber man strengt sich trotzdem an.“

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Einzelhand­el weiter im Tief: Der Wegfall der Maskenpfli­cht sollte die Kunden wieder in die Geschäfte locken. Doch der Krieg in der Ukraine macht den Einzelhänd­lern einen Strich durch die Rechnung.

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