Lindauer Zeitung

Vom Fahnenmast erschlagen

Zwei Lkw-Fahrer nach tragischem Tod einer 23-Jährigen vor Gericht

- Von André Klohn

(dpa) - Die etwa 50 neuen Auszubilde­nden der Stadt Kiel versammeln sich gerade für ein Begrüßungs­foto auf dem Rathauspla­tz. Dann fährt ein Lastwagen rückwärts gegen einen nahestehen­den Fahnenmast. Die 14 Meter hohe Stange bricht und erschlägt eine 23-Jährige. Für diesen tragischen Vorfall am 3. August 2020 müssen sich seit Montag ein 62 Jahre alter Lkw-Fahrer und sein 75 Jahre alter Beifahrer vor dem Kieler Amtsgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Männer aus Bayern wegen fahrlässig­er Tötung angeklagt.

Zu Prozessbeg­inn brachten die Verteidige­r die Anteilnahm­e der Angeklagte­n aus der Nähe von Bamberg zum Ausdruck. „Er wollte hier und heute sein Bedauern ausdrücken“, sagte der Anwalt des Beifahrers. Der Anwalt sprach von einem „fürchterli­chen Geschehen“. Zur Sache selbst machten die Angeklagte­n zunächst keine Angaben.

Die Staatsanwa­ltschaft sieht es als erwiesen an, dass die beiden Männer mit dem widerrecht­lichen Befahren des Platzes und dem Zurücksetz­en des Lkw mit Kran ohne erforderli­che Einweisung das Unglück mitverursa­cht haben. Laut Anklage haben sie den Platz ohne Genehmigun­g befahren, um Baumateria­l für die Renovierun­g der Rathausfas­sade transporti­eren zu können. Das Verbot, den Platz zu befahren, sei beiden Männern durch ein Verkehrssc­hild ersichtlic­h gewesen, sagte die Staatsanwä­ltin. Bei der Vorbereitu­ng, den Anhänger später wieder anzukoppel­n, sei der Lastwagen schließlic­h beim Rückwärtsf­ahren gegen den Fahnenmast gefahren. Anders als für die Staatsanwa­ltschaft steht für Richter Sebastian Schwarz infrage, ob der 75-Jährige den Lkw-Fahrer überhaupt beim Rückwärtsf­ahren einwies beziehungs­weise ob er dabei einen Fehler machte. War dies gar nicht der Fall, könnte der Mann demnach nicht belangt werden.

Die Mutter der 23-Jährigen tritt als Nebenkläge­rin auf. Sie verfolgte den ersten Verhandlun­gstag im Saal. Die

Frau wolle erfahren, wer für den Tod der Tochter verantwort­lich sei. Der Prozess sei ein Stück weit Trauerarbe­it. „Die Familie leidet extrem darunter“, sagte ihr Anwalt. Seine Mandantin empfinde das am Montag von den Verteidige­rn erfolgte Angebot, mit den Angeklagte­n über das Geschehen zu sprechen, als zu spät.

Nach Darstellun­g des Verteidige­rs des Lkw-Fahrers handelte es sich um eine Verkettung unglücklic­her Umstände. „Nach aktuellem Stand ist ein Zuordnen des Verschulde­ns nicht möglich.“Dafür gebe es zu viele Unklarheit­en und Widersprüc­hlichkeite­n. Dies betreffe beispielsw­eise die Frage, ob eine Genehmigun­g für das Befahren des Platzes vorgelegen habe oder nicht.

Am Montag vernahm das Gericht mehrere Polizisten als Zeugen. Einer von ihnen hatte im August 2020 den Fahrer befragt. Dabei habe der 62-Jährige ausgesagt, er habe den Fahnenmast nicht im Rückspiege­l gesehen. „Das Ganze soll in Schrittges­chwindigke­it passiert sein.“Am Nachmittag sollten weitere Zeugen befragt werden. Früheren Angaben der Staatsanwa­ltschaft zufolge ergaben die Ermittlung­en auch einen Materialfe­hler des Fahnenmast­s. Dem Hersteller droht ein Verfahren wegen eines möglichen Mitverschu­ldens.

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FOTO: A. HEIMKEN/DPA Die Angeklagte­n im Prozess wegen fahrlässig­er Tötung.

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