„Keiner kann Wohnungen aus dem Hut zaubern“
Flüchtlingsunterkünfte sind im Allgäu Mangelware – Gleichzeitig fliehen weiterhin Menschen aus der Ukraine in die Region
- 7,7 Millionen Menschen: So viele sind laut der Internationalen Organisation für Migration seit Beginn des Kriegs innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Doch nicht nur innerhalb ihres Heimatlandes versuchen Ukrainerinnen und Ukrainer, dem Krieg zu entkommen: Viele landen in Deutschland, dies ist auch im Allgäu immer stärker spürbar. „Insgesamt sind 565 Personen bei uns als Flüchtlinge aus der Ukraine registriert“, sagt beispielsweise der Lindauer Landrat Elmar Stegmann (CSU). Und in der Region kommen weiterhin Geflüchtete an. Für die Kreise und Städte wird das zunehmend zur Herausforderung.
So habe man im Ostallgäu zuletzt innerhalb einer Woche 125 Geflüchtete aus der Ukraine neu registriert, sagt ein Sprecher des dortigen Landratsamtes. Insgesamt schätzt man deren Zahl dort auf 1400 bis 1500. Ukrainer müssen sich nicht sofort nach ihrer Ankunft in Deutschland bei den Behörden melden. „Einige, die bei Freunden oder Verwandten untergekommen sind, haben sich vermutlich noch nicht registrieren lassen“, sagt Abteilungsleiter Peter Kloos von der Kaufbeurer Stadtverwaltung. Dort waren bis 19. April insgesamt 409 Flüchtlinge aus der Ukraine offiziell gemeldet. Insgesamt, schätzt Kloos, „dürften etwa 500 Menschen in die Stadt gekommen sein“. Wohnungen und Flüchtlingsunterkünfte waren in der Region
schon vor der jetzigen Flüchtlingswelle ein rares Gut. Gleichzeitig sind jetzt eingerichtete Notunterkünfte nur eine Übergangslösung. Im Kreis Lindau sind derzeit 52 Menschen so untergebracht, 71 in dezentralen Unterkünften des Landkreises. „Die große Mehrheit lebt bei Privatpersonen, Freunden oder Verwandten“, sagt Landrat Stegmann.
Er geht davon aus, dass sich der Krieg noch hinziehen wird, die Menschen länger im Allgäu bleiben und auch noch mehr hinzukommen. Man wisse nicht, wie viele Flüchtlinge direkt oder über die Zuweisung der Regierung in den kommenden Tagen und Wochen nach Kaufbeuren gelangen, sagt auch Kloos. „Deshalb kann man nicht sagen, wie lange unsere
Kapazitäten ausreichen.“Denn das hängt auch davon ab, wer ins Allgäu kommt. „Für eine Mutter mit einem Kind eine Privatunterkunft zu finden ist leichter als für eine Mutter mit fünf Kindern“, erläutert Kloos. „Bei größeren Familien müssen wir städtische Unterkünfte nutzen, da bekommen wir sehr schnell ein Problem. So geht es allen Kommunen.“
Derzeit funktioniere die Unterbringung, sagt Stegmann, das könne sich aber ändern. Und zwar nicht nur, wenn der Region mehr Geflüchtete zugewiesen werden. „Auch wenn private Vermieter ihren Wohnraum anders nutzen wollen, wird es eng“, warnt er. Diese Einschätzung teilt der Kemptener Amtsleiter Integration, Philipp Wagner. Bis Ende Mai entstehen dort 600 Plätze. Das sei „eine gute Hausnummer“, mit der man weiterarbeiten könne. Ein Großteil der derzeit privat untergebrachten Menschen brauche aber irgendwann eine andere Bleibe, sagt auch Wagner. Wenn der Krieg noch länger andauere, werde dies zunehmend zu einer Herausforderung. „Ob wir nochmals so schnell 600 Plätze schaffen können, würde ich anzweifeln“, warnt er. Gleichzeitig versuche man Mietkonkurrenz zu vermeiden. „Wir nehmen momentan keine Objekte vom freien Wohnungsmarkt“, betont Wagner.
Keiner, sagt auch Landrat Stegmann, „kann Wohnungen aus dem Hut zaubern“, die Situation sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Man sei deshalb im Gespräch mit
Bauträgern, um neue Wohnungen für Geflüchtete zu errichten. Doch es herrscht auch Zuversicht in der Politik. Er habe insgesamt den Eindruck, „dass es sehr gut läuft“, sagt Stegmann. Ursula Cassier von der Migrationsberatung
des Roten Kreuzes in Kempten stellt den Behörden ebenfalls ein gutes Zeugnis aus. Die Stadt habe die Unterbringung vorbildlich organisiert, staatliche Stellen seien besser aufgestellt als bei der Flüchtlingswelle
im Jahr 2015. Und die Hilfsbereitschaft der Menschen sei unglaublich hoch, lobt Cassier. Er hoffe, dass dies „nicht nachlässt“, sagt der Kaufbeurener Abteilungsleiter Kloos.