Auf der Suche nach Haltung
VfB Stuttgart verspielt gute Ausgangsposition, Kredit bei den Fans und Vertrauen der Bosse
- Den Status Quo beim VfB Stuttgart anhand des Gemütes von Pellegrino Matarazzo abzulesen, ist eine Kunst für sich. An der Seitenlinie ein Emotions-Brausewind, ist der Trainer abseits des grünen Rasens stets kühler Analyst. Sachlich spricht Matarazzo da auch in den schwersten Phasen vom Festhalten am eingeschlagenen Weg, vom Glauben an seine Spieler, der Hoffnung und Zuversicht. Nach der 0:2-Niederlage im so wichtigen Abstiegsgipfel gegen Hertha BSC war dem 44-Jährigen allerdings anzumerken, wie sehr ihm die Situation im Tabellenkeller zusetzt. Sichtlicht angefasst nahm der Coach seine Mannschaft nach dem Berliner Totalversagen nicht etwa in Schutz, sondern kritisierte seine Truppe mit leise Stimme, doch umso deutlicher: „Mir ist es auch nicht wichtig, wie wir trainieren unter der Woche und wie laut die Jungs auch in der Kabine beim schreien sind. Das einzige was zählt ist, was auf dem Platz stattfindet ab der ersten Minute und da waren wir nicht da.“
Matarazzo weiß selbst, dass bei noch drei ausstehenden Partien und aktuell Relegationsplatz schnell die Wende her muss. Was fehlt ist allein ein Plan, wie das gelingen soll. Vier Punkte Rückstand sind es aktuell auf den Nichtabstiegsplatz 15. Verlieren die Schwaben auch am Samstag gegen den VfL Wolfsburg (15.30 Uhr/ Sky), können sie die direkte Rettung womöglich schon abschreiben. Und selbst die Relegation haben die Stuttgarter, die nur zwei Zähler vor dem Tabellenvorletzten Arminia Bielefeld liegen, alles andere als sicher.
„Wir haben schon mal eine schlechtere Ausgangsposition gehabt“, sagte Sportdirektor Sven Mislintat zwar in Berlin gezwungen positiv. Doch die Realität ist eindeutig: „Wir sind vier Punkte dahinter und haben es nicht in der eigenen Hand.“
Besonders bitter, denn noch vor wenigen Wochen war die Situation eine andere. Doch hat der VfB viel verspielt im Monat April. Allen voran den 14. Tabellenplatz, den er durch sieben Punkte aus drei Partien im März erklommen hatte. Die Gründe dafür sind offensichtlich und an der Statistik ablesbar: auswärts seit neun Spielen sieglos, generell nur sechs Siege nach 31 Spielen (Vereinsnegativrekord) und dazu seit 335 Minuten torlos. Die jungen bis sehr jungen
Ballvirtuosen scheinen angesichts des drohenden Abstiegs auf dem Platz ihre Leistung nicht abrufen zu können, wirken eingeschüchtert und dadurch gehemmt. Eine Mannschaft, die von Spielfreude lebt, gefangen in den Zwängen der Tabellenniederungen, in der es vor allem auf Kampf und Druckresistenz ankommt. Die so wichtige Körperlichkeit sucht man bei den Akteuren der Brustringelf
Das 500. Spiel als BundesligaTrainer gewonnen. Hennes Weisweiler in der Sieg-Bilanz (nun 234) überholt. Und mit der Krisen-Hertha nach dem 2:0 gegen den VfB auf dem Weg Richtung Klassenerhalt. Felix Magath hätte Gründe gehabt, zufrieden zu sein. Doch der Magier moserte. Das eigene Team nach gutem Start aus unerklärlichen Gründen viel „zu passiv“, der Gegner aus Stuttgart „die bessere Mannschaft“. „Ich weiß nicht, wer vergebens, ein Anführer, der aufrüttelt, ist ebenfalls nicht in Sicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur das Vertrauen der Vorgesetzten in die Mannschaft zu schwinden scheint, ebenfalls die bedingungslose Unterstützung von den Rängen. Der Kredit bei den Fans, die den Club bis dahin in dieser schwierigen Saison auf bemerkenswerte Art und Weise unterstützt haben, scheint nach dem Spiel euphorisch werden soll nach dem Spiel bei der Hertha?“, stellte der zum Berliner Retter auserkorene Trainer-Routinier noch eine rhetorische Frage.
Die auf den ersten Blick überraschende Volte zum Zweifler und Mahner machte aber natürlich Sinn. Denn noch ist die Lage der Berliner auf Platz 15 fragil. Trotz vier Punkte Vorsprung auf den VfB (Platz 16). Noch bewegt sich die Hertha im Konfliktfeld des Konjunktivs. (dpa) aufgebraucht. In Berlin machten die mitgereisten Anhänger ihrem Unmut nach dem Abpfiff lautstark und vehement Luft – gebrüllte Hinweise (nett formuliert) und zur Bekräftigung drohende Fäuste inklusive. Die Spieler standen geknickt vor den die geschenkten Trikots aus dem Block zurückwerfenden Fans – Stürmer Sasa Kalajdzic, der bereits auf dem Platz von Mislintat getröstet werden musste, hatte sogar Tränen in den Augen. „Bei solchen Aktionen wird einem deutlich, dass wir nicht nur für uns spielen oder unsere Familien, sondern auch für eine komplette Region“, sagte Trainer Matarazzo entschuldigend: Diese Wut dürfe man durchaus spüren. „Das müssen wir durchstehen.“Auch Mislintat zeigte Verständnis für den Ärger und forderte für die nächsten Spiele: „Unsere Aufgabe wird sein, sie mit jedem Zweikampf auf unsere Seite zu ziehen. Sie waren komplett im Support die ganze Zeit. Sie haben einen herausragenden Job gemacht.“
Zeit für die Spieler, jenen auch wieder auf dem Platz zu erledigen.