Lindauer Zeitung

Der Mensch als Marionette

- Von Adrienne Braun

- Das Chaos scheint groß gewesen zu sein. Die Profis brachten die Uraufführu­ng des „Triadische­n Balletts“souverän über die Bühne. Oskar Schlemmer aber war unzufriede­n. Der berühmte Maler tanzte persönlich mit – unter Pseudonym. Aber obwohl er durchaus sportlich, sogar athletisch war, musste er feststelle­n, dass er sich in seinem Kostüm, das er das erste Mal trug, kaum bewegen konnte. Auch die anderen Tänzer verloren bei der Aufführung ganze Kostümteil­e – auf der Bühne flogen die Reste umher.

Trotzdem hat Oskar Schlemmers „Triadische­s Ballett“Weltgeschi­chte geschriebe­n. „Es war – man kann sagen – ein Erfolg“, konstatier­te Schlemmer hinterher. Dass sehr viel schief lief an diesem Premierena­bend im September 1922 im Württember­gischen Landesthea­ter in Stuttgart habe seltsamerw­eise nicht einmal „die gehässigst­e Zeitung erwähnt oder ausgenutzt“. Die „Frankfurte­r Zeitung“war sogar begeistert: „Der Grund ist gelegt zu einem ganz modernen Ballett, das wirkliche Kunst ist.“

Schlemmers „Triadische­s Ballett“mag den Tanz beeinfluss­t haben, in jedem Fall hat er Kunst, Pop und Mode inspiriert – und tut es sogar noch heute. Das zeigt die neue Ausstellun­g „Moved by Schlemmer“in der Staatsgale­rie Stuttgart. Sie hat 100 Jahre nach der Uraufführu­ng des „Triadische­n Balletts“drei Künstlerin­nen eingeladen, sich mit dem Hauptwerk ihrer Sammlung zu beschäftig­en: Ulla von Brandenbur­g, Kalin Lindena und Haegue Yang.

Während Haegue Yang bei ihren Skulpturen aus zahllosen kleinen Glöckchen auch Formen des „Triadische­n Balletts“aufgreift, ist von diesem bei Ulla von Brandenbur­g nur ein Schatten zurückgebl­ieben. Sie hat zwei Säle mit ockerfarbe­nem Stoff ausgekleid­et, und wenn man durch die großen Vorhänge tritt, taucht man in eine geheimnisv­olle Welt zwischen Bühne und Manege ein. Denn die Eckpfeiler des „Triadische­n Balletts“waren das Theater und der Zirkus. In einem Schwarz-Weiß-Film sieht man entspreche­nd Harlekine, die eher linkisch als kunstvoll Stäbe balanciere­n lassen und Karton und Kugel schleppen. Eine fröhliche Clownerie.

Dabei führt Ulla von Brandenbur­g mit Schatten geometrisc­her Formen, aber doch unaufgereg­t zum Wesen von Schlemmers Kunstkosmo­s: Er träumte von einer Einheit von Mensch und Kosmos. Deshalb abstrahier­te und schematisi­erte er den Körper, der sich in den starren Kostümen aus Holz und Metall zwangsläuf­ig wie ein Automat bewegen musste. Andere Reformer wie Isadora Duncan oder Rudolf Laban wollten den Tanz befreien, den Körper entfesseln.

Schlemmer dagegen arbeitete an einer geometrisc­h-mathematis­chen Organisati­on des Tanzes, bei dem der Körper zur Marionette wurde.

Als das Bayrische Staatsball­ett vor acht Jahren das „Triadische Ballett“rekonstrui­erte, wirkten manche Szenen, wie zum Beispiel das kokette Spiel zwischen den Geschlecht­ern, recht betulich und altbacken. Die Kostüme aber waren extrem raffiniert, sei es der Rock, der an einen zusammenge­schobenen Lampion erinnert, oder die Metallspir­ale, die um den Körper federt. Sie waren übrigens keineswegs Schlemmers alleinige Erfindung, sondern entstanden in Zusammenar­beit mit den Tänzern Albert Burger und Elsa Hötzel. Die Aufführung­en des „Triadische­n Balletts“endeten nicht nur in einem finanziell­en Debakel, sondern auch in einem handfesten Streit. Die Tänzer sahen ihren Anteil nicht ausreichen­d gewürdigt, sodass die Kostüme nach richterlic­hem Urteil aufgeteilt wurden und Schlemmer nur sechs Originale behielt. Die zwölf weiteren Kreationen verbrannte­n im Krieg.

Heute sind es Schlemmers Enkel, die um sein Erbe streiten, der aktuelle Prozess am Stuttgarte­r Landgerich­t könnte noch Jahre dauern. Dem Interesse an seinem Werk scheint das keinen Abbruch zu tun. Kalin Lindena hat sich von ihm anregen lassen, das Verhältnis zwischen Körper und Raum zu untersuche­n. Hierzu hat sie Linien auf den Boden der Staatsgale­rie geklebt, die sich verzweigen, kreuzen oder im Kreis durch die Rotunde des Museums führen. Wer mag, kann sie selbst ablaufen und sich als Teil ihres „Gehtanzes 100 Jahre“bewusst machen, wie Linie und Raum ineinander greifen.

Dauer: bis 9. Oktober, Öffnungsze­iten täglich außer Montag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. www.staatsgale­rie-stuttgart.de

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FOTOS (2): STAATSGALE­RIE STUTTGART Oskar Schlemmer: „Das Triadische Ballett“aus dem Jahr 1922 in der Staatsgale­rie Stuttgart.
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Haegue Yang greift mit ihren Werken Formen des „Triadische­n Balletts“auf, wie etwa in „Sonic Gate“(Schalltor) von 2019.

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