Der Mensch als Marionette
- Das Chaos scheint groß gewesen zu sein. Die Profis brachten die Uraufführung des „Triadischen Balletts“souverän über die Bühne. Oskar Schlemmer aber war unzufrieden. Der berühmte Maler tanzte persönlich mit – unter Pseudonym. Aber obwohl er durchaus sportlich, sogar athletisch war, musste er feststellen, dass er sich in seinem Kostüm, das er das erste Mal trug, kaum bewegen konnte. Auch die anderen Tänzer verloren bei der Aufführung ganze Kostümteile – auf der Bühne flogen die Reste umher.
Trotzdem hat Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“Weltgeschichte geschrieben. „Es war – man kann sagen – ein Erfolg“, konstatierte Schlemmer hinterher. Dass sehr viel schief lief an diesem Premierenabend im September 1922 im Württembergischen Landestheater in Stuttgart habe seltsamerweise nicht einmal „die gehässigste Zeitung erwähnt oder ausgenutzt“. Die „Frankfurter Zeitung“war sogar begeistert: „Der Grund ist gelegt zu einem ganz modernen Ballett, das wirkliche Kunst ist.“
Schlemmers „Triadisches Ballett“mag den Tanz beeinflusst haben, in jedem Fall hat er Kunst, Pop und Mode inspiriert – und tut es sogar noch heute. Das zeigt die neue Ausstellung „Moved by Schlemmer“in der Staatsgalerie Stuttgart. Sie hat 100 Jahre nach der Uraufführung des „Triadischen Balletts“drei Künstlerinnen eingeladen, sich mit dem Hauptwerk ihrer Sammlung zu beschäftigen: Ulla von Brandenburg, Kalin Lindena und Haegue Yang.
Während Haegue Yang bei ihren Skulpturen aus zahllosen kleinen Glöckchen auch Formen des „Triadischen Balletts“aufgreift, ist von diesem bei Ulla von Brandenburg nur ein Schatten zurückgeblieben. Sie hat zwei Säle mit ockerfarbenem Stoff ausgekleidet, und wenn man durch die großen Vorhänge tritt, taucht man in eine geheimnisvolle Welt zwischen Bühne und Manege ein. Denn die Eckpfeiler des „Triadischen Balletts“waren das Theater und der Zirkus. In einem Schwarz-Weiß-Film sieht man entsprechend Harlekine, die eher linkisch als kunstvoll Stäbe balancieren lassen und Karton und Kugel schleppen. Eine fröhliche Clownerie.
Dabei führt Ulla von Brandenburg mit Schatten geometrischer Formen, aber doch unaufgeregt zum Wesen von Schlemmers Kunstkosmos: Er träumte von einer Einheit von Mensch und Kosmos. Deshalb abstrahierte und schematisierte er den Körper, der sich in den starren Kostümen aus Holz und Metall zwangsläufig wie ein Automat bewegen musste. Andere Reformer wie Isadora Duncan oder Rudolf Laban wollten den Tanz befreien, den Körper entfesseln.
Schlemmer dagegen arbeitete an einer geometrisch-mathematischen Organisation des Tanzes, bei dem der Körper zur Marionette wurde.
Als das Bayrische Staatsballett vor acht Jahren das „Triadische Ballett“rekonstruierte, wirkten manche Szenen, wie zum Beispiel das kokette Spiel zwischen den Geschlechtern, recht betulich und altbacken. Die Kostüme aber waren extrem raffiniert, sei es der Rock, der an einen zusammengeschobenen Lampion erinnert, oder die Metallspirale, die um den Körper federt. Sie waren übrigens keineswegs Schlemmers alleinige Erfindung, sondern entstanden in Zusammenarbeit mit den Tänzern Albert Burger und Elsa Hötzel. Die Aufführungen des „Triadischen Balletts“endeten nicht nur in einem finanziellen Debakel, sondern auch in einem handfesten Streit. Die Tänzer sahen ihren Anteil nicht ausreichend gewürdigt, sodass die Kostüme nach richterlichem Urteil aufgeteilt wurden und Schlemmer nur sechs Originale behielt. Die zwölf weiteren Kreationen verbrannten im Krieg.
Heute sind es Schlemmers Enkel, die um sein Erbe streiten, der aktuelle Prozess am Stuttgarter Landgericht könnte noch Jahre dauern. Dem Interesse an seinem Werk scheint das keinen Abbruch zu tun. Kalin Lindena hat sich von ihm anregen lassen, das Verhältnis zwischen Körper und Raum zu untersuchen. Hierzu hat sie Linien auf den Boden der Staatsgalerie geklebt, die sich verzweigen, kreuzen oder im Kreis durch die Rotunde des Museums führen. Wer mag, kann sie selbst ablaufen und sich als Teil ihres „Gehtanzes 100 Jahre“bewusst machen, wie Linie und Raum ineinander greifen.
Dauer: bis 9. Oktober, Öffnungszeiten täglich außer Montag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. www.staatsgalerie-stuttgart.de