Weinbergs Wiederentdeckung in Weingarten
Der Geiger Linus Roth spielt mit den Stuttgarter Philharmonikern ein lange vernachlässigtes Violinkonzert
– Als die Bregenzer Festspiele im Jahr 2010 die szenische Uraufführung von Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ermöglichten, erlebte das Gesamtwerk des in Polen geborenen Komponisten eine Renaissance. Auch Linus Roth, der in Ravensburg geborene und im Landkreis Biberach aufgewachsene Geiger, der dazu Intendant des Schwäbischen Frühlings ist, folgte den Spuren des jüdischen Komponisten. Er brachte zahlreiche Werke zur Aufführung und gründete die Weinberg Society, die sich um die
Erforschung und Aufführung von Weinbergs Werken kümmert.
Weinbergs Violinkonzert g-Moll hat er bereits 2013 mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin eingespielt. Beim Konzert im Kulturund Kongresszentrum in Weingarten hatte er die Stuttgarter Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten, des 1971 in Israel geborenen Dan Ettinger, an seiner Seite für eine intensive Interpretation des 1959 entstandenen Werks.
Auch wenn Weinberg oft mit Schostakowitsch in Verbindung gebracht wird und er sich als sein Schüler sah, hat er doch eine sehr persönliche Musiksprache. Geprägt ist diese von einer farbigen Instrumentierung und einem Grundton der Trauer und des Schmerzes. Linus Roth hat den Solopart, der im ersten Satz eine fast ständige Präsenz erfordert, ganz und gar verinnerlicht. Er lässt sich tragen und treiben von den fantasievoll eingesetzten Schlagwerken, findet aber ebenso die Ruhe für lyrische Passagen.
In fließende Bewegung der Streicher ist der zweite Satz zunächst gefasst. Weinberg war 1939 von Warschau nach Moskau geflohen, seine Familie wurde von den Nationalsozialisten ausgelöscht. Dieser Verlust, die
Schwierigkeiten auch in der sowjetischen Wahlheimat, die jüdischen Wurzeln seiner Melodien haben Weinberg immer begleitet und sind besonders in den langsamen Sätzen zu spüren. Der Finalsatz in seiner Energie ist vielleicht am nächsten an Schostakowitsch, mildert dessen grellen Sarkasmus aber ab. Das Publikum ließ sich begeistern vom ungewöhnlichen Werk, seinem souveränen Solisten und der leidenschaftlichen Interpretation durch das Orchester.
Lag bisher der Fokus auf dem Solisten, so konzentrierte sich die Aufmerksamkeit nach der Pause auf den Dirigenten Dan Ettinger und seine
Deutung von Beethovens dritter Symphonie, die statt der ursprünglich geplanten vierten von Brahms auf dem Programm stand. Der 50-jährige Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker hat eine ausgeprägte Körpersprache, dirigiert ohne Stab und wendet sich vom schlanken Stil der historischen Aufführungspraxis ab.
Sein Beethoven ist geprägt von großen Kontrasten in der Dynamik und in den Tempi. Der erste Satz der „Eroica“spiegelt bei ihm das Revolutionäre, den Helden, die Schärfen mit explosiven Akzenten, ruhigere Passagen sind dagegen extrem zurückgenommen. Der langsame Satz, der
Trauermarsch, wirkt dann sehr breit, alle Details werden nachgezeichnet, doch droht die Bewegung zu stocken, der Satz zu zerfallen. Filigraner und musikantisch ist das Scherzo mit seinem prominenten Horntrio und den feinen Wechselspielen zwischen Streichern und Bläsern gefasst. Die Variationen über den Kontratanz im Finale lässt Ettinger konsequent und klar zugespitzt von den Orchestergruppen musizieren, der Adagio-Teil hat Gewicht, wird langsam wieder in Fluss gebracht. Umso turbulenter ist dann die sich überschlagende Coda als Spiegel von Beethovens unvergänglicher positiver Kraft.