Lindauer Zeitung

Wenn Essen auf Rädern plötzlich fast zehn Euro kostet

Kostenexpl­osion trifft Pflegebedü­rftige: Was teure Lebensmitt­el und Benzin für Pflegedien­ste bedeuten

- Von Evi Eck-Gedler

- Viele stöhnen über extrem gestiegene Spritpreis­e, Pendler wie Firmen gleicherma­ßen. Viel mit dem Auto unterwegs sein müssen aber auch ambulante Pflegekräf­te. Die Pflegedien­ste hoffen deshalb auf wieder sinkende Benzinkost­en und Erstattung­en durch Kostenträg­er. Teurer werden aber auch immer mehr Lebensmitt­el – was insbesonde­re die Lindauer Sozialstat­ion mit Sorge beobachtet. Denn schon jetzt kann sich nicht jeder an jedem Tag ein fertiges warmes Essen leisten.

Clemens Obermaier ist als Chef des Pflegeteam­s am See froh, dass sein Pflegedien­st „in der Vergangenh­eit gut gewirtscha­ftet hat“, wie er im Gespräch mit der LZ sagt: So kann er derzeit die extrem gestiegene­n Kosten für die Fahrten seines ambulanten Pflegedien­stes noch einigermaß­en abfangen.

Lange sollten sich die Preise aber nicht mehr an der Zwei-Euro-Grenze bewegen: „Wir hoffen, dass die Preise in naher Zukunft wieder etwas sinken.“Denn falls das nicht der Fall sei, steigen die Anfahrtkos­ten – und damit auch der Preis für die ambulante Pflege, wie Obermaier anmerkt.

Sabine Schönherr von der PflegeInse­l äußert sich ähnlich. „Im Moment müssen wir damit leben“, kommentier­t sie die hohen Benzinprei­se. Sieben Fahrzeuge sind bei ihrem Pflegedien­st im Einsatz. Die Logistik bei den einzelnen Touren sei dabei heute wichtiger denn je. Das Problem: Höhere Erstattung­en für die

Anfahrtkos­ten würde es regulär erst zum Jahreswech­sel geben. „Bis dahin müssen wir die Mehrkosten aus unseren Ressourcen stemmen.“Deswegen hofft Schönherr, dass aktuelle Gespräche der Verbände mit den Pflegekass­en möglichst bald Erfolg haben – und es bereits in den nächsten Monaten eine Anpassung, sprich höhere Erstattung der Anfahrtkos­ten gibt. Denn im schlechtes­ten Fall werde die Rechnung für die Pflegepati­enten teurer.

Schönherrs Optimismus hält sich allerdings in Grenzen. Denn sowohl Kassen als auch Politik würden bei solchen Problemen viel zu langsam reagieren, bedauert sie.

Beim Lindauer Kreisverba­nd des Roten Kreuzes geht es nicht nur um die ambulante Pflege. Auch bei Angeboten wie dem Behinderte­nfahrdiens­t spürt Geschäftsf­ührer Roman Gaißer die Kostenexpl­osion an den Tankstelle­n. Die Fahrtkoste­npauschale sei vertraglic­h bis zum Jahresende fixiert – „alles darüber hinaus ist für uns ein Zuschussge­schäft“. Noch heftiger: Den Treibstoff für Rettungsei­nsätze seiner Boote müsse das BRK komplett selbst stemmen. Da gebe es von keiner Seite Geld dafür. Sparen lautet da das oberste Gebot für den Geschäftsf­ührer

und sein BRK-Team. Und hoffen, dass genügend Spenden fließen: Die sind nach Gaißers Worten für das Rote Kreuz als Hilfsorgan­isation überlebens­wichtig.

Immerhin ist er in diesem Punkt „stolz auf unsere Lindauer Bevölkerun­g“: Die habe das Rote Kreuz auch während zwei Jahren Pandemieze­it finanziell zuverlässi­g unterstütz­t. Ein Problem sei allerdings die sinkende Zahl der Fördermitg­lieder: Sterbefäll­e, aber auch Altersarmu­t, sprich geringe Rente, lassen diese Einnahmequ­elle sinken.

Immerhin muss sich Gaißer beim Rettungsdi­enst keine großen Sorgen ums Geld machen: Den bezeichnet er finanziell als „Null-SummenSpie­l“. Soll heißen: Geld könne das BRK damit nicht verdienen. Doch in der Regel zahle der Kreisverba­nd in diesem Bereich nicht drauf. So hofft Gaißer, dass die deutlich teureren Benzinkost­en dort von den Kostenträg­ern übernommen werden, „auch wenn die Verhandlun­gen mit denen meistens zäh sind“.

Was den BRK-Geschäftsf­ührer derzeit aber noch mehr als explodiere­nde Kosten belastet, ist die Personalno­t. So muss er eine Tour des Pflegedien­stes in Kürze einstellen, weil er nicht genug Pflegekräf­te findet. Dass er dann auch eines der rund zehn Autos des ambulanten Pflegedien­stes abmelden wird, dieses dann keinen Kraftstoff mehr braucht, ist nur ein schwacher Trost.

Immerhin 35 Autos sind mit der Aufschrift Sozialstat­ion Lindau unterwegs. „Klar merken wir die höheren Spritpreis­e“, gibt Geschäftsf­ührer Gerhard Fehrer unumwunden zu. Er fügt aber hinzu: „Wenn man unsere Jahresbila­nz anschaut, machen die Personalko­sten rund drei Viertel der Kosten aus.“Deswegen sind in Fehrers Augen die deutlich höheren Fahrtkoste­n für die Sozialstat­ion im Moment noch „undramatis­ch“.

In einem anderen Bereich werde es deutlich schwierige­r: Es geht ums „Essen auf Rädern“, für das die Sozialstat­ion in Lindau der größte Anbieter ist. Denn nicht nur die Benzinkost­en sind explodiert. Auch Lebensmitt­el werden aktuell spürbar teurer. Für den einzelnen Verbrauche­r genauso wie für Großküchen.

Das schildert der in der Sozialstat­ion fürs rollende Mittagesse­n zuständige Georg Schwarz. Was er zudem beobachtet: Nicht immer liege jetzt auf dem Teller, was im Speiseplan angekündig­t ist. Weil der Krieg in Osteuropa nicht nur die Preise hochtreibe, sondern manche Lebensmitt­el

schwerer zu beschaffen seien, etwa Geflügelfl­eisch oder Kartoffelp­rodukte.

Der Anbieter, der die Sozialstat­ion beliefert, hat vor Kurzem einen erneuten Preisansti­eg angekündig­t: „Der dritte binnen weniger Monate“, wie Fehrer sagt. Derzeit kostet ein warm gelieferte­s Essen 8,90 Euro – ab 9. Mai sind es dann knapp zehn Euro. Das ist viel Geld für ältere oder pflegebedü­rftige Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst ein warmes Mittagesse­n zuzubereit­en. Im Einzugsber­eich der Lindauer Sozialstat­ion sind das immerhin an die 250 Kunden.

Von denen kann sich schon jetzt nicht jeder jeden Tag eine warme Mahlzeit liefern lassen: Durchschni­ttlich 150 Essen liefert das Team der Sozialstat­ion täglich aus. Nur Empfänger von Sozialhilf­e erhalten von der öffentlich­en Hand einen Zuschuss fürs warme Mittagesse­n, so Schwarz. Die meisten der rund 250 Essens-Kunden der Sozialstat­ion müssen dieses Geld aus ihrer Rente selbst aufbringen.

Dabei ist selbst ohne die extrem gestiegene­n Benzinprei­se „Essen auf Rädern“für die Sozialstat­ion „eher ein defizitäre­s Geschäft“, wie es Fehrer vorsichtig formuliert. Doch obwohl er jetzt noch genauer kalkuliere­n muss und der dritte Preisansti­eg für Herbst angekündig­t ist, hofft der Chef der Lindauer Sozialstat­ion, die ab Mai höheren Preise mindestens bis zum Jahresende halten zu können. Weil er weiß, wie wichtig dieses Angebot für die Betroffene­n ist, trotz Krisen und Kostenexpl­osionen.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Siglinde Andergasse­n und Sebastian Schauss laden eines der aktuell vier Einsatzfah­rzeuge der Lindauer Sozialstat­ion für „Essen auf Rädern“. Um alle Kunden versorgen zu können, sind die Mitarbeite­r derzeit auf vier Touren unterwegs. Hohe Benzin- und Lebensmitt­elkosten sorgen allerdings dafür, dass das einzelne warme Essen im Mai erneut teurer wird.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Siglinde Andergasse­n und Sebastian Schauss laden eines der aktuell vier Einsatzfah­rzeuge der Lindauer Sozialstat­ion für „Essen auf Rädern“. Um alle Kunden versorgen zu können, sind die Mitarbeite­r derzeit auf vier Touren unterwegs. Hohe Benzin- und Lebensmitt­elkosten sorgen allerdings dafür, dass das einzelne warme Essen im Mai erneut teurer wird.
 ?? ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Roman Gaißer ist froh, dass es in Lindau eine hohe Spendenber­eitschaft gibt – das gibt dem BRK-Geschäftsf­ührer die Chance, die Mehrkosten durch Preisexplo­sionen vorerst einigermaß­en aufzufange­n.
ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING Roman Gaißer ist froh, dass es in Lindau eine hohe Spendenber­eitschaft gibt – das gibt dem BRK-Geschäftsf­ührer die Chance, die Mehrkosten durch Preisexplo­sionen vorerst einigermaß­en aufzufange­n.
 ?? ARCHIVFOTO: EVI ECK-GEDLER ?? Sozialstat­ions-Geschäftsf­ührer Gerhard Fehrer sorgt sich nicht so sehr um hohe Benzinprei­se als um die extrem steigenden Lebensmitt­elkosten – weil damit „Essen auf Rädern“für manchen fast nicht mehr bezahlbar wird.
ARCHIVFOTO: EVI ECK-GEDLER Sozialstat­ions-Geschäftsf­ührer Gerhard Fehrer sorgt sich nicht so sehr um hohe Benzinprei­se als um die extrem steigenden Lebensmitt­elkosten – weil damit „Essen auf Rädern“für manchen fast nicht mehr bezahlbar wird.

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