„So entsteht eine Zwei-Klassen-Medizin“
Impfung gegen Meningokokken B empfiehlt die STIKO bislang nur für Risikogruppen
(poi) - Meningokokken treten in unterschiedlichen Varianten auf, in sogenannten Serogruppen, wie Kinder- und Jugendarzt Christof Metzler ausführt. Von den fünf Serogruppen A, B, C, W und Y, die in Deutschland vorkommen, verursachen Meningokokken B mit 60 Prozent die meisten Krankheitsfälle.
Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch per Tröpfcheninfektion beim Sprechen, Husten, Niesen oder Küssen. Zwei Drittel der Erkrankten leiden unter einer Hirnhautentzündung (Meningitis). Ein Drittel entwickelt eine lebensgefährliche Blutvergiftung (Sepsis), erklärt der Arzt, was auch auf der Internetseite der Ständigen Impfkommission (STIKO) beziehungsweise des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de) nachzulesen ist. In zehn Prozent aller Fälle hat die Krankheit laut Dr. Metzler fatale Folgen: körperliche Behinderung, Amputation, Tod. Das höchste Risiko bestehe für Säuglinge und Kinder im Alter bis vier Jahren, ein weiterer Gipfel sei bei Zwölf- bis 19-Jährigen zu erkennen. Doch auch Erwachsene könne es treffen.
Im Mittel erkrankten in Deutschland jährlich 315 Menschen, davon 211 an Infektionen durch Meningokokken B – bis das Coronavirus auftauchte. Die Covid-19-Schutzmaßnahmen
führten dem RKI zufolge zu einer drastischen Reduktion der Meningokokken-Fälle auf 138 im Jahr 2020. Davon sind 53 der Serogruppe B zuzuordnen. Sechs Menschen sind an der Infektion gestorben.
Dem Gesundheitsamt des Bodenseekreises sind von 2012 bis 2022 insgesamt 27 Fälle von MeningokokkenErkrankungen gemeldet worden, von denen zwei nicht bestätigt werden konnten. Überwiegend handelte es sich um die Serogruppe B. Wie das Gesundheitsamt weiter mitteilt, starben 2019 zwei Menschen, 2020 einer.
Die gute Nachricht für Dr. Metzler: Es gibt Impfstoffe. Sein Aber: Bislang sei lediglich eine Impfung gegen Meningokokken C im STIKO-Impfplan für alle Kinder im zweiten Lebensjahr vorgesehen. Eine Impfung gegen die Serogruppe B ist nur für Risikogruppen empfohlen, weil Daten zur Wirksamkeit fehlten und eine „sehr niedrige Krankheitslast“vorliege. Und das, obwohl das entsprechende Vakzin seit 2013 zugelassen ist. In England, Österreich, Frankreich und Italien sei diese Impfung bereits Standard. Mit dem Ergebnis: Unter den geimpften Kindern gebe es keine schweren Fälle mehr. Wenn es nach dem Kinderarzt aus Langenargen geht, muss Deutschland deshalb nachziehen. Die Folge: Die Krankenkassen entscheiden, ob sie die Kosten als Freiwilligenleistung übernehmen. Wenn nicht, müssen die Eltern selbst in die Tasche greifen. Eine Dosis kostet 108 Euro, Kinder unter zwei brauchen drei Dosen. Christof Metzler: „Dass die Kosten nicht in der Regel erstattet werden, ist ein Skandal. So entsteht eine Zwei-Klassen-Medizin.“Er ist sich sicher: „Es hätte sich längst etwas getan, wenn die STIKO zuletzt nicht derart mit Corona beschäftigt gewesen wäre.“Die meisten Krankenkassen würden die Impfung freiwillig erstatten. Die AOK, über die der kleine Luca versichert sei, habe eine generöse Kostenübernahme im Herbst 2020 eingestellt, bemängelt der Kinderarzt.
Dazu teilt Markus Packmohr, Geschäftsführer der AOK Bodensee Oberschwaben, auf Anfrage mit, dass sich sein Unternehmen bei der Kostenübernahme von Impfungen nach den Empfehlungen der STIKO richte, die bislang keine Routineimpfempfehlung ausgesprochen habe. Aktuell bestehe die Empfehlung, gefährdete Risikogruppen gegen Meningokokken B zu impfen. „Diese medizinische Risikobeurteilung obliegt alleinig dem behandelnden Arzt“, so der Geschäftsführer. Und weiter: „Sofern die STIKO ihre Empfehlung zukünftig ändert, wird sich selbstverständlich auch die AOK Baden-Württemberg daran orientieren.“