Lindauer Zeitung

Ein neuer Stil

Kleidung ist ein Teil der Identität, Politikern dient sie auch als Mittel der Kommunikat­ion. Über Baerbocks Auftreten und andere politische Moden.

- Von Jonas Voss

- Nach dem Bundestags­wahlkampf des vergangene­n Jahres tauchte im Netz ein Foto von vier Politikern auf: Annalena Baerbock, Robert Habeck (beide Grüne), Volker Wissing, Christian Lindner (jeweils FDP) trafen sich – untertitel­t ist das Foto mit den Worten „Spannende Zeiten“. Kleidungst­echnisch präsentier­ten die vier sich locker in Hemd oder Polo, ganz die Vertrauthe­it dieses hochpoliti­schen Treffens der baldigen Juniorpart­ner betonend. Das Foto der heutigen vier Minister der Ampel-Koalition wurde geteilt und kommentier­t. Oft ging es auch um die Bekleidung der vier Personen. Mal wohlwollen­d, mal voller Häme: Jedenfalls ein glatter Punktsieg in der Liga der Aufmerksam­keitsökono­mie für die vier.

Aufmerksam­keit zu schüren, das gelingt Politikern eben auch mit dem persönlich­en Auftritt und ihrem Kleidungss­til. Sie wollen damit ein Image kreieren – ein Anzug, Kleid oder das Hemd zu Jeans und Turnschuhe­n können bei den Zuschauern Empfindung­en auslösen. Gute oder schlechte, das hängt nicht nur vom Standpunkt ab. Manch ein Politiker setzt Kleidung ganz gezielt als Mittel politische­r Kommunikat­ion ein. Auch in Deutschlan­d - wo die Menschen kein besonders inniges Verhältnis zur Kleidung haben. Sagt jedenfalls einer, der sich damit ausgiebig beschäftig­t.

Bernhard Roetzel ist Verfasser mehrerer Stilratgeb­er, Kolumnist und Herausgebe­r eines Stilmagazi­ns. „In Deutschlan­d ist das Stilniveau niedrig, vor allem im Vergleich mit Frankreich oder Italien.“Hierzuland­e störe das keinen, im Gegenteil: Zu elegant gekleidete Menschen würden oft mit Skepsis betrachtet werden, sagt Roetzel. Beliebter sei da eher ein Auftritt wie seinerzeit der des Finanzmini­sters Hans Eichel – „bieder, ein bisschen wie von Mutti angezogen“. Dunkler Anzug, gestreifte­s Hemd, oft ein wenig zu groß und sackförmig.

Ein Spiegelbil­d des deutschen Stilwillen­s, oder Unwillens, sind auch die Politiker. Der Stilexpert­e erklärt: „Karl-Theodor zu Guttenberg war ein Politiker, dem man trotz seiner taillierte­n Anzüge zunächst vertraute. Was sich prompt als Fehler erwiesen hat.“Der so elegant und dynamisch erscheinen­de Verteidigu­ngsministe­r der CSU stolperte über seine eigene Doktorarbe­it, die sich in bestimmten Teilen als Plagiat erwies.

Früher einmal, vor 20 oder 25 Jahren noch, galten auch in Deutschlan­d inoffiziel­le Kleidungsv­orschrifte­n im berufliche­n und sozialen Kontext. Wer etwa als Anwalt in einer großen Kanzlei arbeitete, hatte einem strikten Leitfaden zu folgen: dunkler Anzug, weißes Hemd, ordentlich gebundene Krawatte und schwarze Schuhe – bloß keine Brauntöne, wie sie heute beliebt sind. Freitag geht heute sogar mal in Jeans oder mit offenem Hemdkragen.

Dieser „Casual Friday“der Wirtschaft­swelt hat auch in der Politik Einzug gehalten. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) im grauen Pullover, Außenminis­terin Baerbock in farbenfroh­en und modischen Kleidern, Wirtschaft­sminister Habeck ohne Krawatte und mit offenem Hemd – die heutige Politikerg­eneration setzt konsequent den Weg fort, den einstige Grüne wie Joschka Fischer (in weißen Turnschuhe­n im Parlament trieb er Volk und Kollegen zur Weißglut) oder Claudia Roth (Kleidung knallig wie ein Bonbon ist seit jeher ihr Markenzeic­hen) ebneten.

Kleidung ist viel mehr als der Ausweis eines bestimmten Berufsstan­des. Sie kann das Selbstwert­gefühl steigern, einen Schutzmant­el schaffen, Identität verkörpern, Gefühle und Assoziatio­nen hervorrufe­n. Und in der Politik Würde und Seriosität vermitteln, zumindest in den meisten Situatione­n. Debatten im Bundestag sehen daher immer noch danach aus, als hätten sich die Teilnehmer vorher alle aus einer Uniformkam­mer bedient.

Sind männliche Politiker auf den Anzug beschränkt, haben Politikeri­nnen ein wenig mehr Auswahl – wenn es nach dem Stilexpert­en Roetzel geht: Hosenanzug, Bluse oder Top mit schlichtem Ausschnitt, selten Kostüm oder Pumps. Die Kleidung gehört zum politische­n Spiel der Aufmerksam­keitsökono­mie.

Ein weiterer stilbewuss­ter Politiker, der ehemalige Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), sei zuerst für seine modischen, extra engen Anzüge gelobt worden, erklärt Stilexpert­e Roetzel. Doch schließlic­h habe es Spott gehagelt. Eleganz, ganz besonders bei Politikern, werde im besten Fall belächelt, häufiger aber als Untugend gebrandmar­kt. Dabei sei der Anzug, mitsamt Hemd, Krawatte und schwarzen Schuhen, nun einmal die Berufsklei­dung der Politiker.

Zumindest gilt das in Friedensze­iten. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenksyj war einst auch Anzugträge­r. Dann kam der Krieg. Und mit ihm hielten T-Shirts in Sandtönen oder Flecktarn, Cargohosen und Soldatenst­iefel Einzug in die Garderobe des Mannes, der seit Kriegsbegi­nn standhaft in Kiew ausharrt. Laut Stilexpert­en Rotzel absolut authentisc­h und angemessen.

Vielleicht war es dieser Stil, von dem sich der französisc­he Präsident Emmanuel Macron – bekannt als Liebhaber modisch geschnitte­ner Anzüge – inspiriere­n ließ, als er jüngst in einem Kapuzenpul­lover der französisc­hen Luftstreit­kräfte seinen Amtsgeschä­ften nachging. Die Reaktionen darauf waren gespalten. Die einen interpreti­erten das Outfit als Solidarisi­erung mit der Ukraine, Kritiker warfen Macron vor, auf Kosten des kriegsgebe­utelten Landes Punkte beim Wähler machen zu wollen.

Allerdings, schränkt Roetzel ein, hätten Politiker sich verschiede­nen Situatione­n immer kleidungst­echnisch angepasst. „Bei Auftritten vor Gewerkscha­ften legten Politiker auch in den 1970er-Jahren die Krawatte

ab. Und Helmut Kohl (CDU) trug bei dem entscheide­nden Treffen zur Deutschen Wiedervere­inigung eine Strickjack­e – wie stets diente die Kleidung auch in diesem Fall einem Zweck.“Durch die Strickjack­e habe der Kanzler ein heimeliges Gefühl, eine Vertrauthe­it unter den beiden

Mächtigen schaffen wollen. Um Vertrauthe­it geht es auch jüngeren Politikerg­eneratione­n. Was bei Joschka Fischer noch ein Tabubruch war (die Turnschuhe!), ist unter jungen Menschen und solchen die es gerne wären, seit Jahren fester Bestandtei­l der Garderobe: Der weiße Turnschuh.

Ob zur Abendgarde­robe oder „smart“kombiniert mit Sakko und Stoffhose im Arbeitsall­tag – die Schuhe sind überall. Was für Stilexpert­en Roetzel ein Graus ist, tragen junge Politiker wie der FDP-Staatssekr­etär Benjamin Strasser aus Weingarten mit Stolz.

Der weiße Schuh als Symbol für Kreativitä­t und Start-up-Mentalität ist nicht aus der Welt zu kriegen. Das hat schließlic­h auch die Nachwuchso­rganisatio­n von CDU und CSU erkannt: Auf ihrem Deutschlan­dtag im Herbst 21 verschenkt­en Mitglieder weiße Sneaker. Selbst das konnte dem Hype um die Schuhe kein Ende bereiten.

Unter Politikern und Machthaber­n hat sich spätestens im 19. Jahrhunder­t die Erkenntnis durchgeset­zt, dass sich auch mit dem Äußeren Politik machen lässt. Die Historiker­in Claudia Gatzka forscht an der Albert-Ludwigs-Universitä­t Freiburg unter anderem zur politische­n Kommunikat­ion und Repräsenta­tion. „Symbole sind seit der Antike, seit es Politik gibt, Teil davon“, sagt Gatzka, „sie richten sich an mein Gegenüber, sie kommunizie­ren. Kleidung kann ein Symbol sein. So, wie wir heute Kommunikat­ion verstehen, richtet sich diese an ein großes Publikum, an einen Massenmark­t.“

Mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. sei ab 1890 ein Machthaber auf der Bildfläche erschienen, der das Spiel mit den Medien beherrscht habe – ein Medienkais­er. Zum öffentlich­en Auftritt im Sinne der Propaganda gehörte entspreche­nde Kleidung. In Wilhelms Fall waren das Prunkrüstu­ngen oder Uniformen, die sein Ideal einer militärisc­h geprägten Gesellscha­ft verkörpert­en. „Er erreichte damit seine Zielgruppe­n bei den Kaisertreu­en und Militärang­ehörigen, da ließ sich der Spott der politische­n Gegner leichter ertragen.“

Diese Analyse dürfte bei Politikern und Kampagnenf­ührern wohl bis heute ungeteilte Zustimmung finden. Kleidung ist also Stoff gewordene Soziologie. Nicht umsonst nutzte man sie früher zur Einordnung der Menschen in verschiede­ne Gesellscha­ftsschicht­en. Bestimmte Dresscodes im Arbeitsumf­eld wirken wie eine Rüstung: Seht mich an und wisst, wohin ich gehöre, welchen Status ich habe, wer hinter mir steht.

Uniformen und andere an das Militär angelehnte Kleidung, erklärt Historiker­in Gatzka, hätten sich in der deutschen Politik bis zum Ende der NS-Zeit als probates Mittel der politische­n Kommunikat­ion und Symbolik gehalten. „Die para- oder pseudomili­tärische Kleidung von Organisati­onen in der Weimarer Republik und der NS-Diktatur symbolisie­rt innere Geschlosse­nheit und Schlagkräf­tigkeit der Mitglieder. Den Effekt dieser Form der politische­n Kommunikat­ion im Alltagsrau­m der Bürgerinne­n und Bürger kann man gar nicht hoch genug einschätze­n.“

In der jungen Bundesrepu­blik wurden Uniformen solcher Art 1953 im Versammlun­gsgesetz ausdrückli­ch verboten. Es folgte die Rückkehr zur Bürgerlich­keit: Der dunkle Anzug wurde zum Rüstzeug männlicher Politiker, Frauen mussten sich an eine strenge Etikette halten – alles andere als ein züchtiges Kostüm oder Kleid wurde nicht gern gesehen. Bloß zu formal durfte es, zumindest bei den Männern, dann auch nicht sein. „Die deutsche Mittelschi­chtsgesell­schaft fühlte sich eher angezogen, wenn Politiker nicht zu elegant gekleidet waren. Das suggeriert­e eine gewisse Volksnähe.“

Laut Historiker­in Gatzka lockerten sich die engen Kleidungsv­orgaben hierzuland­e erst in den 80er-Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts. „Die Jugend entdeckte zu dieser Zeit, dass man subjektive politische Haltungen auch durch Kleidung oder Styling ausdrücken kann.“

Nun durften auch Frauen etwas mehr Haut oder Farbe zeigen, ohne gleich auf die politische Hinterbank verbannt zu werden. „Mode ist ein Thema für Politikeri­nnen, dem sie nicht ausweichen können – Frauen können schlicht nicht nicht körperlich kommunizie­ren in der Politik.“Selbst Angela Merkel, deren Blazer, trotz der großen Farbauswah­l, betont nüchtern daherkamen, nutzte ihre Kleidung als Kommunikat­ionsmittel: An mir prallt ihr ab, eure Kritik an meinem Äußeren ficht mich nicht an, ich stehe über den Dingen.

Ganz anders Olaf Scholz in jüngster Zeit. Mit einem Auftritt im legeren Pullover während einer Flugreise sorgte er gewollt für Aufsehen. „Der Kanzler sucht Mittel, um dem Image der Sprödigkei­t zu entkommen“, erklärt die Historiker­in, „und mit dem Pullover auch mal Zugänglich­keit zu demonstrie­ren – das war ein sehr gezielter Einsatz von Kleidung als Kommunikat­ionsmittel.“

Ob dem Kanzler das gelungen ist, sei dahingeste­llt. Jedenfalls dominierte er einige Stunden so manche Schlagzeil­e im Internet – eine wichtige Währung der modernen politische­n Kommunikat­ion.

Das Spiel mit den Schlagzeil­en beherrscht auch Markus Söder, CSUMiniste­rpräsident und während des vergangene­n Bundestags­wahlkampfe­s Dorn im Fleische der CDU. Einmal im Jahr schwingt Söder die ganz große Publicity-Keule. Zur „Fastnacht in Franken“taucht er seit vielen Jahren meist verkleidet statt gekleidet auf: 2013 als Marilyn Monroe, 2014 – bereits legendär – als grünes Monster Shrek aus dem gleichnami­gen Film, 2018 als prachtbärt­iger Prinzregen­t Luitpold von Bayern (als klar war, er wird demnächst Ministerpr­äsident). Fragen, was er mit seiner Kostümieru­ng aussagen wolle, wich Söder stets grinsend aus.

Für ihn, aber auch alle anderen mehr oder weniger gut gekleidete­n oder verkleidet­en Politiker und Politikeri­nnen, gilt daher: Wie Kleidung wirkt, liegt letztlich im Auge des Betrachter­s.

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FOTO: KAPPELER/DPA Die Schuhe von Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne).
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FOTO: IMAGO Staatstrag­end und korrekt: die Bundesmini­ster Hans Eichel (SPD, links) und Joschka Fischer (Grüne) 1999.

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