„Putin wird bei der Ukraine nicht aufhören“
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter fordert mehr schwere Waffen für Kiew und plädiert für den EU-Beitritt des Landes
- Zu wenig, zu langsam – so lautet seit Wochen die Kritik des Grünen Anton Hofreiter an der Ukraine-Hilfe der Bundesregierung. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag fordert mehr schwere Waffen, ein Energie-Embargo gegen Russland und einen möglichst schnellen EU-Beitritt der Ukraine. Eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, um unabhängig von russischen Rohstoffen zu werden, lehnt der 52-Jährige Münchner trotz Rohstoffknappheit dagegen ab.
Was bedeutet der Gaslieferstopp für Polen und Bulgarien?
Es ist eine große Herausforderung für diese Länder. Die EU muss nun solidarisch zusammenhalten. Beim Einkauf von Erdgas wäre es klug, verstärkt in Richtung eines europäischen Einkaufskartells zu gehen, weil wir dann mit größerer Marktmacht auftreten könnten.
Müssen wir uns Sorgen um die russischen Erdgaslieferungen nach Deutschland machen?
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir unsererseits möglichst schnell ein vollständiges Energie-Embargo gegen Russland verhängen sollten. Und natürlich müssen wir uns verschärft darauf vorbereiten, dass Russland seinerseits die Lieferungen beendet. Das Wirtschaftsministerium leistet da übrigens schon viel.
Wäre es dann nicht sinnvoll, die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland länger laufen zu lassen?
Das hat das Wirtschaftsministerium geprüft, und es ist technisch extrem schwierig. Hinzu kommt: Unser Haupt-Gasproblem ist nicht die Stromproduktion, sondern Heizen und Industrie – da helfen uns die Atomkraftwerke nicht. Man kann Hochöfen nicht mit Strom versorgen, auch nicht mit Atomstrom.
Aber es wäre doch eine Entlastung des Gasmarkts?
Wir nutzen vergleichsweise wenig Erdgas zur Stromproduktion. Wir müssen eine Reihe von Kohlekraftwerken länger laufen lassen und natürlich den Ausbau Erneuerbarer noch mal beschleunigen.
Sie haben sich vehement für eine deutsche Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine eingesetzt. Stellt Sie die nun beschlossene Ausfuhr von Gepard-Panzern durch Deutschland denn zufrieden?
Das ist ein richtiger Schritt, aber ich fürchte, es muss noch mehr passieren. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Ukraine Freiheit und Demokratie für ganz Europa verteidigen kann, muss man leider damit rechnen, dass Russland weitere Länder ins Visier nimmt. Man sieht ja, was jetzt schon in der Republik Moldau los ist. Wladimir Putin mag jeden Tag lügen, aber über sein großes Ziel hat er uns traurigerweise immer die Wahrheit gesagt: Er wird bei der Ukraine nicht aufhören.
Also weitere Lieferungen schwerer Waffen aus Deutschland?
Ganz genau. Der Ringtausch mit Slowenien zur Panzerlieferung muss schnell umgesetzt werden, und solche Maßnahmen brauchen wir auch mit anderen Ländern. Außerdem hat die deutsche Industrie weitere schwere Waffen im Angebot; die Panzer Marder und Leopard 1 zum Beispiel.
Ist der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Unterstützung der Ukraine angemessen?
Das ist ein guter Antrag und natürlich ein Kompromiss. Wir sind eine
Koalition, und die SPD hat sich da auch bewegt.
Sie haben sich nach Ihrer Reise in die Westukraine vehement für einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine ausgesprochen. Wie schnell?
„Schnell“ist bei EU-Beitritten immer eine Frage von Jahren. Die Ukraine muss rasch den Kandidatenstatus bekommen. Und nicht zu vergessen: Wir haben mit dem Westbalkan eine weitere sehr kritische Region, wo Russland auch zündelt. Deshalb müssen noch dieses Jahr – im
Idealfall vor der Sommerpause – die Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien eröffnet werden.
Muss die EU also Zugeständnisse machen und weniger hohe Maßstäbe an die Beitrittsfähigkeit anlegen?
Die Ukraine sagt selbst, dass sie noch nicht beitrittsreif ist. Aber dafür gibt es ja den ganzen Prozess. Albanien und Nordmazedonien haben sehr viele Reformen zugunsten von Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung gemacht. Warum sollte das in der Ukraine nicht auch gelingen?
Mögliche EU-Beitritte von Ländern wie Albanien, Nordmazedonien oder eben der Ukraine dürften bei vielen Deutschen die Sorge vor unkalkulierbaren Kosten auslösen.
Nordmazedonien gehört zu den wirtschaftlich am schnellsten wachsenden Regionen in Europa und ist ein wichtiger Standort für die deutsche Autoindustrie. Je stärker das Land in die EU integriert wird, desto größer ist die Chance auf Wohlstand dort. Ein erneuter Krieg auf dem Westbalkan jedenfalls wäre das Allerteuerste.
Polen und Ungarn, deren EU-Beitritt einst gefeiert wurde, sind inzwischen europäische Problemfälle.
Deswegen ist es so wichtig, dass nun der Rechtsstaatsmechanismus vor allem gegenüber Ungarn und Viktor Orbán scharf gestellt wird. Gerade Deutschland hat übrigens in der Vergangenheit im Umgang mit den Rechtsstaatsverstößen schwere Fehler begangen: Die CSU hat Orbán alles durchgehen lassen.
Sollte Kanzler Olaf Scholz in der EU der Beitrittsanwalt der Ukraine werden?
Wir müssen der Ukraine signalisieren, dass sie eine echte Chance hat. Aber am Ende hat es natürlich die Ukraine selbst in der Hand.