Lindauer Zeitung

Putins Gas-Stopp und die Folgen

Polen und Bulgarien erhalten künftig kein Erdgas mehr aus Russland – Vorgeschma­ck auf weitere Lieferstop­ps?

- Von Igor Steinle und Nancy Waldmann, mit dpa

- Selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges galt Russland als zuverlässi­ger Energielie­ferant. Dies ist mit dem Aus für Lieferunge­n nach Polen und Bulgarien vorbei. Der Vertragsbr­uch könnte nur ein erster Schritt sein.

Warum hat Russland die Lieferunge­n eingestell­t?

Ende März hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angeordnet, dass Gaslieferu­ngen ab April nur noch in Rubel bezahlt werden dürften, womit westliche Staaten ihre eigenen Sanktionen gegen Russland unterlaufe­n würden. Kurz darauf unterzeich­nete Putin allerdings ein Dekret, wonach Zahlungen weiter in Euro oder Dollar getätigt werden könnten – allerdings auf ein Konto bei der Gazpromban­k, die das Geld dann in Rubel umtauscht. Bei einem Ausbleiben der Zahlungen würden die Lieferunge­n eingestell­t. Die polnische und die bulgarisch­e Regierung betonen nun, ihre Zahlungsve­rpflichtun­gen erfüllt zu haben. Medienberi­chten zufolge haben aber sowohl Polen als auch Bulgarien von einer Inanspruch­nahme von Gazproms Zweikonten­lösung abgesehen.

Wie gehen deutsche Unternehme­n damit um?

Deutschlan­d sowie die anderen europäisch­en Länder halten laut Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) an Zahlungen in Euro oder Dollar fest. Dennoch sei es seiner Ansicht nach offen und damit Putins Willkür überlassen, wie dieser sein Dekret über Gaszahlung­en im Einzelnen interpreti­ere. Mit der Zweikonten­lösung würden die Sanktionen auf jeden Fall nicht unterlaufe­n, bestätigte die EU-Kommission vergangene Woche. Laut Energieexp­ertin Simone Tagliapiet­ra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel stelle der Lieferstop­p jedoch eine Zäsur in den Energiebez­iehungen zu Russland dar. Er „könnte ein Vorgeschma­ck auf ähnliche Schritte gegen andere europäisch­e Länder in den kommenden Wochen sein“.

Welche Rolle spielt ein Besuch Habecks in Warschau?

Der Wirtschaft­sminister hatte tags zuvor in der polnischen Hauptstadt angekündig­t, es würde nur noch wenige Tage dauern, bis Deutschlan­d unabhängig von russischem Öl sei. Nur noch die Versorgung einer RafDeutsch­land finerie im brandenbur­gischen Schwedt, die dem russischen Staatskonz­ern Rosneft gehört und vor allem Ostdeutsch­land und Westpolen mit Kraftstoff versorgt, müsse sichergest­ellt werden, wobei Polen helfen könne. Dass es sich beim russischen Lieferstop­p um eine Retourkuts­che für diese Ankündigun­g handelt, glaubt das Wirtschaft­sministeri­um (BMWK) indes nicht. Auch die Gasbranche bezweifelt das. Verbandsch­ef Timm Kehler geht davon aus, dass das Vorgehen darauf abziele, die Befüllung der europäisch­en Gasspeiche­r zu erschweren. Diese werden in der Regel im Frühjahr und Sommer befüllt, wenn die Preise niedrig sind. Aufgrund des Lieferstop­ps steigen diese nun jedoch. Momentan liegt der Stand der deutschen Speicher bei rund 33 Prozent.

Welche Auswirkung­en hat der Lieferstop­p auf Deutschlan­d?

Erst mal keine. Die Gasflüsse nach

befänden sich momentan alles in allem auf einem stabilen Niveau, hieß es aus dem BMWK. Durch die betroffene Jamal-Pipeline, die Deutschlan­d über Polen und Belarus mit Russland verbindet, sei zuletzt ohnehin nur noch wenig Gas geflossen, so die Bundesnetz­agentur. Deutschlan­d wird inzwischen hauptsächl­ich über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 direkt aus Russland versorgt.

Der Anteil russischen Gases am deutschen Verbrauch ist zuletzt außerdem zurückgega­ngen, wie der Minister mitteilte. Lag er im vergangene­n Jahr noch bei 55 Prozent, seien es inzwischen nur noch 30. Im März war noch von 40 Prozent die Rede gewesen. Habecks Plan lautet, den Anteil bis 2024 auf zehn Prozent zu reduzieren.

Was passiert, wenn Russland auch die Lieferunge­n nach Deutschlan­d einstellt?

Dann würde die höchste Stufe des Notfallpla­ns Gas in Kraft gesetzt, die Notfallstu­fe. Die Netzagentu­r würde dann das knapp gewordene Gas verteilen. Bestimmte Verbrauche­rgruppen sind gesetzlich besonders geschützt und möglichst bis zuletzt mit Gas zu versorgen. Dazu gehören Haushalte und soziale Einrichtun­gen wie Krankenhäu­ser, aber auch Gaskraftwe­rke, die gleichzeit­ig Wärme liefern oder für die Stromerzeu­gung nötig sind.

Die erste Stufe des Notfallpla­ns wurde Ende März in Kraft gesetzt. Seitdem behält ein Krisenteam aus Experten von Energiever­sorgern und Behördenve­rtretern die Versorgung­slage im Land im Blick, fast täglich. Gleichzeit­ig erhebt die Netzagentu­r Daten von Netzbetrei­bern und demnächst auch Großverbra­uchern, um im Notfall Liefermeng­en verringern zu können. Deutschlan­d bereitet sich also auf den möglichen Ernstfall vor.

Wie reagieren Polen und Bulgarien auf den Lieferstop­p?

Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki sagte, ein Lieferstop­p sei nicht nur „ein direkter Angriff“auf Polen, sondern auch ein Angriff auf „die Energiesic­herheit von ganz Europa“. Sein Land werde aber „ab Herbst überhaupt kein russisches Gas mehr benötigen“und habe ausreichen­de Reserven. Noch im Oktober dieses Jahres soll die Baltic Pipe in Betrieb gehen und norwegisch­es Gas über Dänemark nach Polen leiten.

Der bulgarisch­e Regierungs­chef Kiril Petkow bezeichnet­e den Vorgang als „inakzeptab­el“. Bulgarien werde seinerseit­s alle Verträge mit Gazprom überprüfen. Er versichert­e den Bürgern, dass die Regierung die Gaslieferu­ngen an die Verbrauche­r „in keiner Weise“senken werde. Die Regierung sei auf das Szenario vorbereite­t, es gebe einen Plan für alternativ­e Energieres­sourcen.

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? Erdgasverd­ichterstat­ion Mallnow von Gascade Gastranspo­rt: Die Station nahe der deutsch-polnischen Grenze übernimmt vorwiegend russisches Erdgas, von dort strömt es in das deutsche Netz. Von der Quelle bis zum Einsatzort legt das Erdgas in der Pipeline Jamal mehrere Tausend Kilometer zurück.
FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Erdgasverd­ichterstat­ion Mallnow von Gascade Gastranspo­rt: Die Station nahe der deutsch-polnischen Grenze übernimmt vorwiegend russisches Erdgas, von dort strömt es in das deutsche Netz. Von der Quelle bis zum Einsatzort legt das Erdgas in der Pipeline Jamal mehrere Tausend Kilometer zurück.

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