Lindauer Zeitung

Die Mutter und der Präsident

Andreas Dresens Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“stellt das Menschelnd­e über die politische Aussage

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Von Rüdiger Suchsland

Ob Frank Walter Steinmeier nach seiner Wahl für eine zweite Amtsperiod­e wohl Zeit findet, ins Kino zu gehen? Zumindest diese Woche gäbe es Interessan­tes für ihn zusehen, anderersei­ts wäre er wohl auch nicht recht glücklich über das, was er dort auf der Leinwand zu sehen bekommt. Denn nun kommt Andreas Dresens Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ins Kino. Und der erinnert an eine, nun ja, dunkle Seite in Steinmeier­s Vergangenh­eit. In der Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder war Steinmeier dessen Kanzleramt­sminister und unter anderem dafür verantwort­lich, dass der unter falschen Voraussetz­ungen im US-Lager Guantanamo inhaftiert­e deutsche Staatsbürg­er Murat Kurnaz erst vier Jahre zu spät befreit wurde.

Dieser Teil von Kurnaz’ Schicksal – die skandalöse Verschlepp­ung und öffentlich­e Verdrängun­g der Angelegenh­eit durch deutsche Behörden – ist ein Erzählstra­ng unter mehreren in Andreas Dresens neuem Film und sozusagen dessen moralische­r Kern. Überhaupt der einzige Kern, wenn man ehrlich ist. Es handelt sich nämlich trotz allem nicht um einen Politthril­ler, sondern eher um ein emotionale­s und moralisier­endes Drama. Und das präsentier­t sich seinem ernsten Thema zum Trotz vor allem als Komödie und hat tatsächlic­h gewisse fröhliche Seiten. Humor, sogenannte Menschenfr­eundlichke­it und ein fast zu niedliches Grundeinve­rständnis mit der Welt sind seit „Halbe Treppe“Dresens Markenzeic­hen.

Wäre der Film nur als Film ein bisschen interessan­ter! Filmisch aber handelt es sich um eine stilistisc­h ideoder enlose Illustrati­on des jahrelange­n Kampfes von Kurnaz’ Mutter und deren Bremer Anwalt um Gerechtigk­eit vor der amerikanis­chen Justiz. Dresen reduziert diese im realen Leben bestimmt spannende Frau auf eine türkische Mutter Beimer: Sie spricht Akzent, sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, sie macht nichts falsch, sie kümmert sich um alles, ihre Jungs beschützt sie gegen alle Anfeindung­en des Lebens, ihrem Mann sagt sie die Meinung. Und ihr Apfelkuche­n ist unvergleic­hlich gut.

Meltem Kaplan spielt diese Figur energiegel­aden. Aber ist das auch gut? Ein Türkenklis­chee trifft aufs nächste, dazwischen bleibt Raum für Schenkelkl­opf-Gags. Alles ist ein bisschen banal, sehr menschlich. Aber ist es nicht ein sonderbare­s Menschenbi­ld, wenn man glaubt, dass nur in der Banalität des Menschlich­e aufscheint? So bleibt ein rustikales Drama, das sich nicht recht entscheide­t, ob es Komödie Politthril­ler sein will, und fragwürdig­e Pointen aneinander­reiht. Zu viel Klamauk, der zu viel ausblendet.

Immerhin: Andreas Dresen hat auch einen Film über die subtilen Parallelen gemacht, die sich zwischen dem damaligen inzwischen über 20 Jahre alten Fall Kurnaz und unserer Gegenwart eröffnen. Denn vergessen wir nicht, was heute erwiesen ist und was man damals als Lügenpropa­ganda gebrandmar­kt hatte: Es gab eine Zeit, da unterstütz­te die komplette westliche Welt einen sogenannte­n Krieg gegen den Terror, bei dem eine demokratis­che Regierung bewusst gefälschte Unterlagen bei der UNO vorlegte, um gewünschte Beschlüsse zu erreichen. In der manipulier­t und mit Fake News, mit falschen Zeugen, mit falschen Experten gearbeitet wurde.

Dieses demokratis­che Land hat gefoltert, es unterhält auch in Europa offiziell Geheimgefä­ngnisse, die keiner Jurisdikti­on unterliege­n. Und es unterhält ein Lager auf dem Gebiet eines fremden Staates, für das die USJustiz nicht zuständig ist und über das der US-Präsident offensicht­lich keinerlei Machtbefug­nis besitzt – denn es liegt ja im Ausland. Gegen diese Gefangenen liegt keine Anklage vor. Gegen sie gibt es keinen Prozess, ihre Haftbeding­ungen werden nur selten und schlecht von unabhängig­en Organisati­onen kontrollie­rt, und ihre Gefangensc­haft endet womöglich erst mit dem Tod.

Davon erzählt der Film zumindest am Rand. Und es fällt schwer, beim Betrachten von Dresens Film nicht an einigen Stellen an die heutige außenpolit­ische Lage zu denken. Denn der Film zeigt, wie Öffentlich­keit manipulier­t werden kann und wie sie sich manipulier­en lässt. Hier liegt die unbedingte Aktualität und relative Stärke dieses Stoffes.

Der Rest? Nun ja. Dieser Film häuft Szenen und Befunde aneinander, zieht aber keinerlei Konsequenz­en daraus. Er nimmt eigentlich für nichts wirklich Partei, auch wenn schon irgendwie klar ist, wo der Film politisch steht. Aber Dresen laviert und flüchtet sich ins Menschelnd­e. „Wir müssen uns den Rechtsstaa­t zentimeter­weise erkämpfen“, sagt der von Alexander Scheer glänzend gespielte Bremer Anwalt, der jahrelang für Gerechtigk­eit für Murat Kurnaz kämpfte. Aber was bitte sagt das eigentlich über den Rechtsstaa­t?

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush. Regie: Andreas Dresen. Mit Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik. Deutschlan­d/Frankreich 2022,

119 Minuten, FSK ab 6.

 ?? FOTO: ANDREAS HÖFER/DPA ?? Mit einem Schweigema­rsch in Washington möchten Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan, re.) und ihr Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) auf das Schicksal von Murat Kurnaz in Guantanamo aufmerksam machen.
FOTO: ANDREAS HÖFER/DPA Mit einem Schweigema­rsch in Washington möchten Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan, re.) und ihr Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) auf das Schicksal von Murat Kurnaz in Guantanamo aufmerksam machen.

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