Wie es zu 2,8 Millionen Schadensersatz kam
Prüfung des Landratsamts abgeschlossen – Wasserburger arbeiten den Fall Seekrone auf
- Wie konnte es dazu kommen, dass die Gemeinde Wasserburg den Pächtern der Seekrone 2,8 Millionen Schadensersatz zahlen musste? Seit Jahren fordern Bürger, dass die Hintergründe in diesem Fall öffentlich werden. Am Dienstagabend war es dann endlich soweit. Über falsche Verträge, Verschleierungen und einen Gemeinderat, der keine Entscheidung traf.
Als Bürgermeister Harald Voigt und Uli Epple als Vorsitzender des Wasserburger Rechnungsprüfungsausschusses ihre Vorträge begannen, wurde es in der Sumserhalle ganz still. Kein Wort wollten die Zuhörerinnen und Zuhörer verpassen, als Voigt die Einschätzung des Landratsamts zum Fall Seekrone verlas. In der Stellungnahme des Rechnungsprüfers war die Rede von einer „Entscheidung von Tragweite“für die Gemeinde. Aus Sicht des Steuerzahlers sei das Ganze ein „Fiasko“.
Warum kam es überhaupt zum Konflikt?
Die Nachricht vor drei Jahren war für viele Wasserburgerinnen und Wasserburger ein Schock: Die Gemeinde musste 2,8 Millionen Schadensersatz an das Ehepaar Weber bezahlen, das bis dahin die Seekrone auf der Wasserburger Halbinsel gepachtet hatte. Weil das Gebäude, das der Gemeinde gehört, erhebliche Brandschutzmängel aufwies, hatte das Landratsamt Anfang 2018 die Nutzung der Hotelzimmer im Dachgeschoss untersagt. Die Pächter hatten daraufhin den kompletten Hotelbetrieb eingestellt. Schnell standen Schadensersatzzahlungen im Raum. Dass diese sich auf 2,8 Millionen summieren würden, damit rechnete 2018 aber noch niemand.
Welche Rolle spielen Versäumnisse in der Vergangenheit?
Wer die Geschichte der Seekrone verstehen will, der muss weit in die Vergangenheit blicken. Denn als das Haus des Gastes, wie die Seekrone früher hieß, vor rund 40 Jahren von der Gemeinde auf die Halbinsel gebaut wurde, war dort überhaupt keine Nutzung als Hotel geplant. „Die Wohnungen waren fürs Personal vorgesehen“, sagt Uli Epple (ULW). Doch schon die ersten Pächter hätten Fremdenzimmer beantragt. Die wurden ihnen auch genehmigt – doch einen Bauantrag für die Umnutzung gab es nie. „Es hat nie jemand nachgehakt“, sagt Epple. „Auch nicht das Landratsamt.“
Das Landratsamt wertet die fehlende Baugenehmigung für die Hotelzimmer nun als einen „zentralen Fehler aus der Vergangenheit“. Denn obwohl es nie ein Baugenehmigungsverfahren gab, waren die Hotelzimmer fortan Grundlage des Pachtvertrags, in den ein entsprechender Passus einfach eingefügt worden war.
Als die Gemeinde 2014 den Vertrag mit der Familie Weber abgeschlossen hat, hätte man das prüfen müssen, so das Landratsamt. Dass der Fehler keinem aufgefallen sei, ordnete das Landratsamt laut Voigt aber nicht als fahrlässig ein. „Die Gemeinde hat etwas verpachtet, was es gar nicht gibt“, sagt Uli Epple. „Wir standen da, wie ein Fakeshop aus dem Internet.“
Wie wurde der hohe Schadensersatz berechnet?
Ein Brandschutzgutachten gab es schon 2015. Es attestierte der Seekrone erhebliche Mängel, unter anderem fehlten zum Teil Fluchtwege. Da hatte die Familie Weber das Gasthaus gerade erst übernommen. „Dann ist lange nichts passiert“, sagt Uli Epple. So sei das Problem zwar seit September 2015 bekannt gewesen, auf dem Tisch der Gemeinderäte sei es aber erst im Juli 2017 gelandet. Eine Entscheidung, wie man die Beseitigung der Mängel angeht, gab es nicht. Dass nichts beschlossen wurde, habe, so verlas Voigt vom Landratsamt, die Schadensentwicklung in Gang gesetzt. „Man hat so lange rumdiskutiert, bis das Landratsamt die Nutzung untersagt hat“, sagt Epple.
Als das Hotel bereits geschlossen war, diskutierten die Räte weiter: Von einer kleinen Sanierung über eine große Sanierung von 3,5 Millionen Euro bis hin zu einem Neubau mit 5,4 Millionen Euro stand abwechselnd alles im Raum. Doch kaum hatten sich die Gemeinderäte zu einer Entscheidung durchgerungen, war ein paar Wochen später schon wieder alles anders. Die Diskussion begann von vorn. „Die Diskussion ist auf unserem Rücken ausgetragen worden“, sagte Pächter Ha
Bürgermeister Harald Voigt rald Weber damals der Lindauer Zeitung. All das kostete zunächst vor allem eins: Zeit. In die 2,8 Millionen Schadensersatz flossen am Ende knapp 500 000 Euro ein, die die Webers unter anderem in die Küche der Seekrone investiert hatten. Dazu kamen die Verdienstausfälle für die Zeit, in der das Hotel geschlossen war. Außerdem erhielten die Pächter Schadensersatz dafür, dass sie fünf Jahre früher als geplant aus dem Pachtvertrag ausstiegen. Eingerechnet wurden zudem Verdienstausfälle bis 2024.
Denn die Gemeinde hatte mit Webers einen Vertrag bis 2024 geschlossen, der gleich mehrfach zu Problemen für die Gemeinde führte. „Es gab keine Ausstiegsklausel für die Gemeinde“, sagt Uli Epple. Außerdem habe der Vertrag die „uneingeschränkte Nutzbarkeit“der Seekrone versichert.
„Warum hat man überhaupt verpachtet, obwohl man wusste, dass man groß sanieren muss?“, wollte Rätin Beate Meßmer (CSU) wissen, die damals noch nicht Teil des Gemeinderats war. Man habe nach einem Pächter gesucht, der bereit war, zu investieren, erklärte Epple. Dafür hätten die Webers zunächst eine geringere Pacht bezahlt. „Es war als eine Art Public-Private-Partnership gedacht“, so Epple. „Es hat aber nicht funktioniert.“
Auf Wunsch der Gemeinde wurde am Ende bei der Firma Hoga, einer Hotel und Gaststättenberatungsgesellschaft aus München, ein 78 Seiten dickes Schiedsgutachten in Auftrag gegeben. Im Vorfeld hatten sich Verwaltung und Pächter darauf geeinigt, dass sie das Ergebnis dieses Gutachtens annehmen würden.
Gemeinderat Uli Epple
Was ist im Hintergrund abgelaufen?
Als klar war, dass die Gemeinde den Pächtern 2,8 Millionen Euro zahlen muss, hatte die Verwaltung unter dem damaligen Bürgermeister Thomas Kleinschmidt versucht, die Schadensersatzzahlung vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Bei der Recherche fiel der „Lindauer Zeitung“auf, dass im Haushaltsplan der Gemeinde plötzlich ungewöhnlich hohe Summen aufgetaucht waren. Die Beratungen über den Haushalt hatten ausschließlich nicht-öffentlich stattgefunden. Das Landratsamt überprüfte den Haushalt. Es stellte sich heraus: In den ungewöhnlich hohen Summen war die Schadensersatzzahlung an die Pächter versteckt. Landrat Elmar Stegmann kritisierte die Verschleierung öffentlich. Das Landratsamt beanstandete den Haushalt schließlich, es drohte eine Überschuldung der Gemeinde.
Die Gemeinde habe zunächst eine Schadenssumme von 2,6 und nicht von 2,8 Millionen errechnet, erzählt Uli Epple am Dienstagabend. Die letzten Verhandlungen mit den Seekrone-Pächtern habe der damalige Bürgermeister Thomas Kleinschmidt aber allein geführt, man einigte sich auf 2,8 Millionen Euro. „Keiner weiß, wie es dazu kam“, sagt Epple. Verhandlungen dürften künftig nicht mehr „nur durch einen einzigen Vertreter im Kämmerlein“geführt werden.
Damals sei das aber kaum anders möglich gewesen: Der zweite Bürgermeister Alexander Fundele vertrat die Gemeinde im Fall Seekrone als Anwalt. „Da hieß es dann immer gleich, der Anwalt nimmt uns in die Mangel“, so Epple. Einen dritten Bürgermeister gab es zu diesem Zeitpunkt nicht, Thomas Baumgartner, der jetzt wieder für die Freie Bürgerschaft im Rat sitzt, war zurückgetreten. Laut Uli Epple war Thomas Kleinschmidt mit der Situation „überfordert“. Fragen kann man ihn nicht, denn er ist seit dem Amtswechsel verschwunden und nicht erreichbar.
Ebenfalls nicht mehr nachvollziehbar ist, wie die Pächter an ein Protokoll aus einer nicht öffentlichen Sitzung gekommen sein sollen. Auch davon berichtete Uli Epple am Dienstagabend. In dieser Sitzung habe der Kämmerer aufgelistet, was an der Seekrone alles saniert werden müsse. Laut Epple muss jemand dieses Protokoll den Pächtern zugespielt haben. Von den Gemeinderäten kann es seiner Ansicht nach keiner gewesen sein, denn ihnen sei das Protokoll nur kurz während der Sitzung zur Unterschrift vorgelegt worden.
Was hat das alles insgesamt gekostet?
Mit Honoraren und Vermittlungsgebühren hat der Fall Seekrone die Gemeinde Wasserburg 3,1 Millionen gekostet. „Diese Zahl ist äußerst schmerzhaft“, sagt Bürgermeister Harald Voigt, der erst seit 2020 im Amt ist und mit seiner Verwaltung die finanziellen Konsequenzen tragen muss.
Weit über 100 000 Euro seien am Ende allein für Anwaltskosten, Gutachter und Makler draufgegangen. „Die Gemeinde ist mit dem Rücken zur Wand gestanden“, sagt Voigt. Externe Rechtsanwälte hätten sogar noch das Gutachten der Hoga überprüft und nichts gefunden, was man hätte beanstanden können. „Am Ende gab es nur die Möglichkeit, sich zu einigen, sonst wäre es noch teurer geworden.“Mittlerweile hat ein Investor die Seekrone auf Erbpacht übernommen.
Welche Schlüsse ziehen Verwaltung und Räte aus all dem?
„Ab jetzt wird alles nach dem Mehraugenprinzip geprüft“, sagt Bürgermeister Harald Voigt. „Und alle Verträge werden rechtsanwaltlich gesichert.“