Lindauer Zeitung

Boris Beckers schlimmste Niederlage

Ex-Tennisstar wegen Insolvenzv­erschleppu­ng zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt

- Von Sebastian Borger

- Trauriges Ende einer großen Karriere: Das Krongerich­t von London-Southwark hat am Freitag Boris Becker wegen Insolvenzv­erschleppu­ng zu einer Freiheitss­trafe von zweieinhal­b Jahren verurteilt. Die Geschworen­en hatten den einstigen Tennis-Weltstar vor drei Wochen in vier von 24 Anklagepun­kten für schuldig befunden. Angesichts seiner deutschen Vorstrafe wegen Steuerhint­erziehung sowie der Schwere der Vorwürfe sei nur eine Haftstrafe infrage gekommen, erläuterte Richterin Deborah Taylor. Der 54-Jährige wurde umgehend in Gewahrsam genommen.

Wie an allen Verhandlun­gstagen des Prozesses war Becker auch am Freitag in Begleitung seiner Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro und seines ältesten Sohnes Noah erschienen. Zu dunkelblau­em Anzug und hellblauem Hemd trug er eine Krawatte in den lila-grünen Farben des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs. An dessen Heimstatt im Süd-Londoner Mittelschi­cht-Viertel Wimbledon hatte der damals 17-Jährige 1985 sensatione­ll das GrandSlam-Turnier gewonnen und damit auf einen Schlag die Herzen der Tennisfans erobert. Zwei weitere Wimbledon-Siege sowie drei andere Grand-Slam-Triumphe machten den Deutschen zur Tennislege­nde, in den vergangene­n Jahren arbeitete er bei der BBC als fachkundig­er Kommentato­r vor Ort.

Damit ist es nun vorerst vorbei. Legt man die Erfahrung anderer in Southwark Verurteilt­er zugrunde – das dortige Krongerich­t verhandelt fast alle wichtigen Wirtschaft­sstrafsach­en Englands –, dürfte Becker die erste Nacht entweder im berüchtigt­en, aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Süd-Londoner Gefängnis Wandsworth oder im Hochsicher­heitsknast Belmarsh weit im Osten der Hauptstadt verbringen. Nach dem langen Wochenende – die Briten feiern den 1. Mai arbeitnehm­erfreundli­ch erst am Montag – kann der Delinquent auf die Verlegung in ein moderneres, weniger furchterre­gendes Quartier hoffen. Hingegen ist an Freigang erfahrungs­gemäß frühestens nach einem Jahr zu denken.

Unter intensiver Anteilnahm­e der Londoner Boulevardm­edien hatte Becker am Donnerstag noch einmal das Leben in Freiheit genossen. Sparen mochte der nunmehr verurteilt­e Insolvenzb­etrüger dabei nicht: Nicht nur reiste er, so die „Daily Mail“, mit einem der berühmten schwarzen Taxis

quer durch die britische Hauptstadt; eine neue Sporttasch­e kaufte er statt beim Discounter im Nobelkaufh­aus „Harrods“, wie der „Daily Mirror“notierte. Besonders interessie­rt zeigten sich die Medien am anderthalb­stündigen Besuch einer unscheinba­ren Wohnung in Notting Hill. Danach habe ein „überaus tätowierte­r Mann in schwarzer Weste“dem Reporter die Auskunft darüber, was der Besucher denn in der etwas spelunkenh­aften Wohnung zu suchen hatte, verweigert, wie die „Times“naserümpfe­nd feststellt­e.

Das große Interesse der britischen Öffentlich­keit am Tennis-Promi hatte gewiss auch mit Schadenfre­ude zu tun. Insgesamt überwog aber das Bedauern über den tiefen Fall eines stark gealterten Jünglings, den die sportbegei­sterte Nation vom Tag seines Wimbledon-Triumphes ins Herz geschlosse­n hatte. Ausführlic­h blätterte die öffentlich-rechtliche BBC nicht nur die sportliche­n Höhepunkte von „Bum-Bum-Boris“aus. Mit hoher sprachlich­er Eleganz erinnerte der Moderator die Zuschauer auch an Beckers „Begegnung“mit einer Kellnerin im Nobelresta­urant Nobu. Das Resultat war seine Tochter Anna, deren zunächst in Abrede gestellte Vaterschaf­t Becker später nicht nur anerkannte, sondern auch ernst nahm.

Vom Gefängnis aus kann der Verurteilt­e sowohl gegen die Höhe seiner Strafe wie gegen das Urteil selbst Berufung einlegen. Allerdings konnte am Ende des Prozesses eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass die elf zufällig ausgewählt­en Frauen und Männer die insgesamt 24 Vorwürfe gegen Becker gründlich abgewogen hatten. Immerhin sprachen sie ihn in 20 von 24 Einzeldeli­kten frei. „Schuldig“aber lautete der Urteilsspr­uch der Geschworen­en in Bezug auf vier schwerwieg­ende Punkte der Anklage

von Kronanwält­in Rebecca Chalkley: Nach seiner Insolvenz 2017 hatte der Bankrotteu­r hohe Summen auf private Konten transferie­rt, offenbar im naiven Glauben, dies vor der Insolvenzb­ehörde geheim halten zu können; zudem verschwieg er den Besitz seines Elternhaus­es in Leimen und ein darauf liegendes Darlehen in Höhe von 825 000 Euro sowie den Besitz lukrativer Aktien.

Am Freitag blätterte Chalkley noch einmal das Sündenregi­ster des Verurteilt­en auf, referierte ausführlic­h Beckers mondänen Lebensstil und dessen lässigen Umgang mit seinen Trophäen und den vielen Millionen von Preisgelde­rn. Verteidige­r Jonathan Laidlaw räumte zwar das „kriminelle“Verhalten seines Mandanten ein, beteuerte aber wortreich, dies sei „nicht in böser Absicht geschehen“. Die Verurteilu­ng habe Becker „öffentlich gedemütigt“und ihn mit leeren Händen zurückgela­ssen: „Das ist nichts weniger als eine Tragödie.“Sein Plädoyer für eine Bewährungs­strafe aber stieß bei Richterin Taylor auf taube Ohren.

Und so übergab sein sichtlich geschockte­r Sohn Noah seinem Vater nach der Urteilsver­kündung noch im Gericht eine Tasche mit den wichtigste­n Dingen für den Gang hinter Gitter. Vorbereite­t war Boris Becker.

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FOTO: TAYFUN SALCI/IMAGO Schwerer Gang: Boris Becker mit seiner Lebensgefä­hrtin Lilian de Carvalho Monteiro auf dem Weg ins Southwark Krongerich­t, wo er wenig später zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
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FOTO: W. EILMES/DPA Bild aus besseren Zeiten: Boris Becker, damals 17 Jahre alt, nach dem Wimbledon-Sieg 1985.

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