Zwischen Corona-Blues und Euphorie
Wie Lindauer Abiturienten Kursstufe und Prüfungsphase erleben
- Zwei Jahre haben sie sich unter den Bedingungen der Pandemie auf ihr Abitur vorbereitet. Jetzt müssen sie abliefern. Danach ist es für immer vorbei mit dem Schulleben. Wie Lindauer Abiturientinnen und Abiturienten ihre Reifeprüfung meistern – und ob ihnen der Abschied schwerfällt.
Kurz vor ihrem Deutschabi hat Johanna Jackisch ein Déjà-vu. Genau wie vor acht Jahren steht sie vor der Turnhalle ihrer Schule, dem Valentin-Heider-Gymnasiums (VHG), und ist aufgeregt. Neben ihr ihre Freunde mit dem gleichen Gribbeln im Bauch. Gleich schreiben sie eine der letzten Prüfungen ihrer Schullaufbahn.
Die Freunde fühlen sich wie damals, als sie mit ihren Eltern zur Begrüßungsveranstaltung der neuen Fünftklässler zur Turnhalle gekommen waren. Ungewisse Zeiten standen vor ihnen. Was wird auf sie zukommen? Mit wem werden sie die nächsten Jahre in einer Klasse sein?
Acht Jahre später kennen sie die Antworten – zu finden sind sie in einer Schulzeit. Eine Zeit, aus der sie viel mitnehmen: „Selbstbewusstsein und soziale Kompetenz“, sagt Johanna Jackisch. „Ich habe auch gelernt, Verantwortung zu übernehmen.“Und natürlich auch das ein oder andere im Unterricht, fügt sie hinzu.
Das zu beweisen, dazu haben die Schülerinnen und Schüler jetzt ein letztes Mal die Chance. Bei ihrer Reifeprüfung, dem Abitur. Sie wissen: Wer es jetzt versemmelt, bekommt keine zweite Chance. Dass die Freunde auch das gemeinsam durchstehen, steht außer Frage.
Während sie sich an alte Zeiten erinnern, sitzen Johanna Jackisch, Elias Schantz, Leonie Lerpscher, Amelie Tieber, Lavinia Möller, Aliya Uhlemair, sechs von 73 Abiturientinnen und Abiturienten am VHG, vor dem Eiscafé Venezia in Aeschach. Vor ihnen steht ein große Eisbecher. Hinter ihnen liegt das Deutschabitur.
Diesen ersten Zwischenerfolg feiern sie jetzt. Nochmal ablenken, bevor es zurück nach Hause geht zum Büffeln. Mathe, Englisch und die anderen Fächer stehen noch an. Und vor dem Matheabi haben die jungen Leute besonders viel Respekt. Weil Mathe in Bayern verpflichtendes Abiturfach ist, müssen sie alle ran.
Schulschließung, Wechselunterricht und Homeschooling – die diesjährigen Abiturienten mussten all das mitmachen. Wie ein CoronaJahrgang fühlen sich Johanna Jackisch und die anderen aber trotzdem nicht.
Als die Pandemie begonnen hat, waren sie gerade in der zehnten Klasse. In den ersten Monaten der Pandemie, im Frühjahr 2020, als noch keiner so recht wusste, wie man Schülerinnen und Schüler am besten zu Hause beschulen kann, seien sie schon etwas geschwommen, sagen Johanna Jackisch und die anderen.
Das hätten sie aber aufholen können. In der Oberstufe gingen sie dann – bis auf ein paar Monate Anfang 2021 – in die Schule.
Erleichterungen gibt es trotzdem. In den Fächern wurde prüfungsrelevanter Stoff gestrichen. Außerdem bekommen die Abiturientinnen und Abiturienten für alle Prüfungen eine halbe Stunde mehr Zeit.
Sonst ist vieles wie immer. Es gibt keine Maskenpflicht und die Prüflinge
müssen sich in den Abiwochen nicht testen. Schüler, die krank und isoliert sind, dürfen nicht mitschreiben. Wer in Quarantäne ist, schon, muss aber gesondert in einem Raum sitzen. Am VHG und am Bodenseegymnasium (Bogy) war zumindest während des Deutschabis beides nicht der Fall.
„Die Oberstufe war bevorzugt in Präsenz“, sagt der stellvertretende Schulleiter am VHG, Heinz Horwath.
Seitdem habe es für die Abiturientinnen und Abiturienten keine gravierenden Nachteile gegeben. Lerndefizite seien nicht auf Corona zu schieben, sagt er. Für die, die doch welche hatten, habe es das Förderprogramm des Kultusministeriums „Gemeinsam Brücken bauen“gegeben. „Auch die Kursleiter konnten noch nachjustieren“, sagt Horwath.
Von Selbstdisziplin sprechen die VHG-Abiturientinnen. Die habe man gebraucht. „Schüler, die im Homeschooling nicht so viel Ehrgeiz haben, waren vielleicht benachteiligt“, sagt die 18-jährige Amelie Tieber. Vor allem Lernschwächere, für die der Lehrerbezug wichtig ist, seien womöglich benachteiligt gewesen.
Auch die Bogy-Abiturientin Lili Müller und ihr Mitschüler Moritz Mayer fühlen sich trotz Corona gut auf ihr Abitur vorbereitet. „Ich denke wir haben alles gelernt, was wir sonst auch gelernt hätten“, sagt Lili Müller. Trotzdem habe sie die Corona-Pandemie geprägt. „Weil man viel zu Hause war und sich einiges selber beibringen musste.“
Dennoch, Schulleiterin Jutta Merwald ist sich sicher: „Das ist kein Corona-Abitur.“Die Anforderungen seien wie immer.
Sie sei gut mit dem Stoff durchgekommen, sagt Deutschlehrerin Irene Heß. Sie habe ab Anfang 2021 ihren Unterricht in der Oberstufe eins zu eins online umsetzen können. Dabei sei sie sogar dazu gekommen, mit ihrer Klasse Goethes kompletten Faust durchzusprechen – das habe sonst zeitlich nie geklappt.
Für das Deutschabi hatte die Lehrerin direkt nach der Prüfung schon ein gutes Gefühl. Jede der fünf Aufgaben sei mindestens einmal von den Schülern gewählt worden. „Das ist ein gutes Zeichen.“Zur Auswahl standen Gedicht- und Dramen-Interpretationen, Epik, ein freier Text und ein Kommentar.
Was die Abiturientinnen und Abiturienten von Bogy und VHG nach der Schule machen wollen, wissen die meisten schon ziemlich genau. Manche planen ein Freiwilliges Soziales Jahr. Andere wollen studieren, vielleicht Politikwissenschaft oder Jura – oder Biochemie.
Auch wenn sie sich dann alle nicht mehr so oft sehen, an die gemeinsame Schulzeit werden sie immer denken. „Vor allem nehme ich viele Freundschaften mit“, sagt Johanna Jackisch. Für sie schließt sich der Kreis nicht nur in der Turnhalle ihrer Schule, sondern vor allem, weil sie immer noch mit den gleichen Leuten, wie schon vor acht Jahren, da ist.
Auch wenn einiges ausfallen musste, der Gemeinschaft in der Jahrgangsstufe habe auch Corona nichts anhaben können. Die Freunde sind oft gemeinsam zum See gegangen und die Studienfahrt konnte im vergangenen September noch nachgeholt werden – wenn auch verkürzt und in Deutschland. Ihren Abiball planen die Abiturienten auch schon.
Auch Lili Müller und Moritz Mayer vom Bogy freuen sich auf ihren Abiball. Und eine Abschlussfahrt nach Llorett de Mar ist auch in Planung. Die Corona-Pandemie habe ihrem Zusammenhalt nichts anhaben können. Dass sie mit der ungewöhnlichen Situation mit Humor umgegangen sind, zeigen die Abiturienten auch mit ihrem Motto. Das lautet nämlich: „Mit Abstand die Besten.“