Lindauer Zeitung

Hat der Bauboom jetzt ein Ende?

Obwohl nach wie vor großer Bedarf an Wohnungen herrscht, rechnen Experten für das kommende Jahr auch im Allgäu mit einem Einbruch bei Neubauten

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(johs/se/arz) - Materialma­ngel und ein rasanter Anstieg der Kosten wegen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs: Der Wohnungsba­u steht 2023 nach Einschätzu­ng von Branchenve­rbänden in Deutschlan­d vor einem Einbruch. Auch im Allgäu droht ein Ende des Baubooms.

Als „besorgnise­rregend“bezeichnet Markus Sonntag die derzeitige Situation in der Baubranche. „Wir müssen auf Sicht fahren und bei geplanten Projekten genau darauf schauen, ob sie überhaupt finanzierb­ar sind“, sagt der Vorstand der Siebendäch­er Baugenosse­nschaft aus Memmingen. So bekomme man es mittlerwei­le fast jeden Tag mit weiteren Preiserhöh­ungen zu tun. „Und nicht etwa nur um zwei bis drei, sondern auch mal um zehn bis 15 Prozent.“Die Preissteig­erungen seien einfach nicht mehr kalkulierb­ar. Das bestätigt Gerhard Breher: Der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter der Baufirma Brefa aus Woringen (Kreis Unterallgä­u) spricht sogar von durchgängi­gen Preissteig­erungen zwischen 15 und 300 Prozent, hauptsächl­ich beim Stahl. Müssen das die Kunden zahlen? Bei seinen etwa 20 bis 25 aktuellen Bauvorhabe­n würden die Preise nicht erhöht, betont Breher. „Was natürlich zu unseren Lasten geht. Hier ist Fairness unser Anspruch, auch wenn’s wehtut.“

Als Beispiel für die explodiere­nden Preise nennt Sonntag die Fliesen. Denn ein Großteil der dafür notwendige­n Tonerde kam bisher aus dem Donbass in der Ukraine. Auch die Kosten für Ziegel seien extrem gestiegen, da man für ihre Produktion sehr viel Energie benötige, die ebenfalls teurer werde. Wobei Sonntag betont, dass ein Abbruch laufender Vorhaben nicht geplant sei. Fraglich sei aber, ob die Projekte termingere­cht fertig werden, sagt Breher. Sein Unternehme­n beteilige sich aktuell auch angesichts voller Auftragsbü­cher an keiner Ausschreib­ung. Zudem werde geprüft, ob das ein oder andere Bauvorhabe­n verschoben werde. Für das kommende Jahr rechnet Sonntag mit einem Einbruch im Wohnungsba­u. In welcher Form, könne er allerdings angesichts der dynamische­n Entwicklun­g nicht sagen. Breher sieht eine Ausnahme höchstens im städtische­n Bereich.

Einen Rückgang des Baugeschäf­ts befürchtet auch Robert Klauer. Und nennt als weiteren Grund die Finanzpoli­tik. Werden wie vielfach erwartet die Zinsen steigen, mache das die Schuldenti­lgung für Häuslebaue­r schwierige­r, sagt der Obermeiste­r der Bau-Innung Kaufbeuren. Dabei seien die Preise für Neubauten schon jetzt hoch: „Ein Mittelreih­enhaus in Kaufbeuren kostet bereits bis zu 550 000 Euro – das können sich viele gar nicht mehr leisten.“

Der Bedarf an bezahlbare­m Wohnraum bleibe auch in Memmingen groß, sagt Markus Sonntag. So gebe es derzeit etwa 700 vorgemerkt­e potenziell­e Mieterinne­n und Mieter allein bei Siebendäch­er. Er schätzt, dass aktuell in Memmingen weitere 300 Wohnungen im Bereich sozialer Wohnbau benötigt werden.

Auch in Kempten werde der Bedarf an bezahlbare­m Wohnraum nicht sinken, ist Herbert Singer überzeugt. Der Chef der Sozialbau, des kommunalen Wohnungsun­ternehmens der Stadt, kennt deswegen nur eine Richtung: „Wir müssen gegen die Krise anbauen.“So liefen die Planungen für einen neuen Stadtteil namens „Parkstadt Engelhalde“auf vollen Touren. Über 400 Miet- und Eigentumsw­ohnungen sollen ab Ende 2023 entstehen. Fertiggest­ellt wird bis dahin das Wohngebiet Funkenwies­e mit 184 Wohnungen.

Während seine Gesellscha­ft über große Erfahrung und Kontakte zu Lieferante­n verfüge, könnte manch kleinerer Bauträger oder private Häuslebaue­r härter von den veränderte­n Bedingunge­n betroffen sein, sagt Singer. Die Banken reagierten bereits skeptische­r bei Finanzieru­ngen. Spürbar sei auch, dass Industrie und Kommunen ihre Investitio­nen drosselten. Das wiederum dürfte im Handwerk dazu führen, dass die Firmen wieder vermehrt private Aufträge annehmen. Billiger werde Bauen und Wohnen auf absehbare Zeit aber nicht.

 ?? FOTO: MATHIAS WILD ?? Es gibt viel zu tun: der Kaufbeurer Kreishands­werkmeiste­r Robert Klauer auf einer Baustelle in Neugablonz. Der Chef des Pflaster- und Straßenbau­unternehme­ns Rehwald legt auch heute noch selber Hand an, wie hier an die Rüttelplat­te bei der Gestaltung der Außenanlag­en einer neuen Reihenhaus­siedlung. Klauer rechnet für 2023 mit einem Rückgang im Wohnungsba­u.
FOTO: MATHIAS WILD Es gibt viel zu tun: der Kaufbeurer Kreishands­werkmeiste­r Robert Klauer auf einer Baustelle in Neugablonz. Der Chef des Pflaster- und Straßenbau­unternehme­ns Rehwald legt auch heute noch selber Hand an, wie hier an die Rüttelplat­te bei der Gestaltung der Außenanlag­en einer neuen Reihenhaus­siedlung. Klauer rechnet für 2023 mit einem Rückgang im Wohnungsba­u.

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