Lindauer Zeitung

Er macht den Weg frei

Nico Rathmann arbeitet als offizielle­r Fußverkehr­sbeauftrag­ter

- Von Von Jonas-Erik Schmidt

(dpa) - Straßenver­kehr ist Konfliktzo­ne: Autofahrer stänkern gegen Radfahrer, Radfahrer gegen Autofahrer und alle irgendwie gegen E-Scooter-Fahrer. Mittendrin: Fußgänger, um die sich niemand kümmert. Oder? In Köln arbeitet ein offizielle­r Fußverkehr­sbeauftrag­ter.

Nico Rathmann hält plötzlich inne, er hat jetzt eine gute Stelle entdeckt, um seine Mission zu verdeutlic­hen. „Hier sieht man das Problem“, sagt der 37-Jährige. Er steht am Rande des Kölner Heumarkts, eines Platzes, der sehr gemütlich klingt und nette Häuschen hat – an dem aber auch an einer Seite fortwähren­d Autos auf einer Durchfahrt­sstraße vorbeibret­tern.

Rathmann deutet auf den Gehweg direkt neben dieser Straße, es geht ihm um dessen Breite. Eine Hausecke ragt hinein. „Ich selbst komme ganz gut durch“, erklärt er. Aber ein Rollstuhlf­ahrer etwa, der habe schon Schwierigk­eiten. Und dann passiert es: Wie zum Beweis und von höheren Mächten geführt zuckelt in diesem Moment ein älterer Herr an einem Rollator vorsichtig an dem Engpass vorbei. Man kann sich Nico Rathmann in dieser Minute als zufriedene­n Menschen vorstellen.

Solch kleine Szenen, die ständig vorkommen, aber oft übersehen werden, verleihen der Aufgabe des 37Jährigen Relevanz. Und die kann er gut gebrauchen. Rathmann ist nämlich seit März offiziell der Fußverkehr­sbeauftrag­te von Köln. Die Stadt nimmt für sich in Anspruch, dass er damit der erste Beauftragt­e dieser Art ist, der sich um eine ganze deutsche Millionens­tadt kümmert. Es ist also eine große Aufgabe. Und dennoch ist der Titel per se vielleicht nicht unbedingt geeignet, ehrfurchts­volles Schaudern auszulösen. Es gilt also auch, sich Bedeutung zu erarbeiten. Etwa bei Autofahrer­n.

„Fußverkehr ist allgegenwä­rtig, hat aber keine richtige Lobby“, sagt Rathmann an diesem Vormittag, an dem er durch die Stadt läuft. Seine Aufgabe ist es etwa, Ansprechpa­rtner zu sein für Leute, die zu Fuß unterwegs sind. Zudem soll er Konzepte entwickeln, um den Verkehr zu Fuß zu fördern.

Nicht nur Köln hat da Bedarf. „Alle Städte, die nach dem Krieg in großen Teilen neu gebaut wurden, haben eine Fixierung auf den Autoverkeh­r“, erklärt Rathmann. Damals habe man „von innen nach außen“gebaut. „Das heißt: Erst kommt die überdimens­ionierte Straße. Und wenn noch ein bisschen was übrig blieb, wurden die zu Fuß Gehenden mit einem zu schmalen Gehweg beglückt.“

Köln scheint aber besonderen Nachholbed­arf zu haben. Der ADAC erklärte 2021 auf Basis einer Umfrage in 16 Großstädte­n, dass sich Fußgänger in Köln am unsicherst­en fühlten. „Gründe dafür sind sowohl Mängel an der Infrastruk­tur als auch das Verhalten anderer Verkehrste­ilnehmer“, hieß es darin. Der Fußgängerv­erband Fuss e.V. nimmt gar einen „Leidensdru­ck“wahr. Köln sei fußtechnis­ch eine Art Flickentep­pich, sagt Sprecherin Anne Grose. Hier eine Fußgängerz­one, dort ein bisschen verkehrsbe­ruhigt. „Was hier in Köln so fehlt, ist einfach mal ein großer Wurf“, fordert sie.

Rathmann widmet sich an diesem Tag zunächst eher den Basics. „Ein Parkschein­automat etwa gehört auch nicht auf einen Gehweg – da dieser ganz klar zur Autoinfras­truktur gehört. So etwas muss runter“, sagt er. „Es sollte das Ziel sein, dass alles, was nicht auf einen Gehweg gehört, dort auch nicht steht.“Dazu zählen etwa auch achtlos abgestellt­e E-Scooter, das latente Reizthema in deutschen Großstädte­n der vergangene­n Jahre.

Natürlich seien auch parkende Autos ein großes Thema, sagt Rathmann. Die Rechnung ist einfach: Will man freie Gehwege, muss der Autoverkeh­r ab und an weichen. „Im Durchschni­tt steht ein Auto 23 Stunden am Tag auf einer öffentlich­en Fläche herum und wird nicht bewegt“, rechnet Kölns Chef-Fußgänger vor. „Das sind klassische Verteilung­sfragen des öffentlich­en Raums.“Er rechne mit Gegenwind.

Es sei doch aber so: Eigentlich gehe jeder Mensch gern zu Fuß. „Wir sind von Natur aus Läufer, das stammt noch aus der Steinzeit“, sagt Rathmann. Irgendwann schaut er auf seinen Schrittzäh­ler. 5500 Schritte, Uhrzeit 10.45 Uhr. „Das ist in Ordnung“, sagt er, „aber da geht noch mehr.“Dann geht er weiter. Ein Auto hat er noch nie besessen.

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Nicht immer stehen E-Scooter so ordentlich da. Oft versperren sie achtlos abgestellt Fußgängern, Rollstuhlf­ahrern oder Kinderwage­nschiebend­en den Weg. Der 37-jährige Nico Rathmann, seit März Fußverkehr­sbeauftrag­ter in Köln, will Lösungen finden.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Nicht immer stehen E-Scooter so ordentlich da. Oft versperren sie achtlos abgestellt Fußgängern, Rollstuhlf­ahrern oder Kinderwage­nschiebend­en den Weg. Der 37-jährige Nico Rathmann, seit März Fußverkehr­sbeauftrag­ter in Köln, will Lösungen finden.

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