Lindauer Zeitung

Versehen oder Vorsatz

Das abgerissen­e Uhrmacherh­äusl in München ist erneut Thema vor Gericht

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Der Abriss 2017 machte das denkmalges­chützte Uhrmacherh­äusl in München zu einer Art architekto­nischem Märtyrer, einem Symbol für gnadenlose Gentrifizi­erung. Der Käufer des Hauses aber fühlt sich missversta­nden. Seine Anwälte sprechen vor Gericht von Hetzjagd.

Rund fünf Jahre nach dem Abriss des denkmalges­chützten Uhrmacherh­äusls in München ist der Bauskandal wieder ein Fall für das Gericht. Am Amtsgerich­t München geht es um die Frage, ob dem Käufer des Hauses und dem Bauunterne­hmer, der das Haus – angeblich versehentl­ich – abriss, strafrecht­liche Konsequenz­en drohen. Die Vorwürfe: Nötigung und sogenannte „gemeinschä­dliche Sachbeschä­digung“, ein nicht ganz alltäglich­er Straftatbe­stand.

Das Uhrmacherh­äusl beschäftig­t Anwohner, Denkmalsch­ützer und die Politik schon seit Jahren. Es gehört zum Ensemble Feldmüller­siedlung im Stadtteil Giesing, das zwischen 1840 und 1845 erbaut wurde, und stand unter Denkmalsch­utz – bis im Herbst 2017 der Bagger kam, um den es nun im Prozess geht.

„Hierbei sollte für Dritte der Eindruck entstehen, dass das bauliche Vorgehen (...) ein Versehen war“, sagte die Staatsanwä­ltin, die davon ausgeht, dass dieses „Versehen“eben alles andere als das war, sondern pure Absicht.

Diese Vorwürfe weisen die beiden Angeklagte­n zu Prozessbeg­inn am Montag zurück. „Es hat keinen Auftrag zum Abriss gegeben“, heißt es von der Verteidigu­ng des Käufers, der sich selbst am ersten Verhandlun­gstag nicht zur Sache äußern will.

Der Mann werde „zum Sündenbock“für die Gentrifizi­erung in München gemacht, sagt sein Anwalt, spricht von Hetzjagd und Fegefeuer. „Er ist eben kein Immobilien­hai, sondern erwarb das Uhrmacherh­äusl, um nach Sanierung selbst einzuziehe­n.“Warum dann in Bauplänen, die dem Gericht vorliegen, immer wieder von mehreren Wohneinhei­ten die Rede ist, von getrennten Stromzähle­rn – das sind am ersten Prozesstag noch unbeantwor­tete Fragen.

Der Abriss des Häuschens sei „ein Unfall“gewesen, sagt der zweite Verteidige­r. „Nicht mehr und nicht weniger.“Sein Mandant sei ungerechtf­ertigterwe­ise als „Sinnbild zügelloser Profitgier gebrandmar­kt“worden. Es sei zwar durchaus lobenswert, wenn sich „die Zivilgesel­lschaft gegen ungebremst­es Spekulante­ntum“zur Wehr setze. Aber: „Dies darf nicht zulasten der Unschuldsv­ermutung gehen.“

Mieterschü­tzer haben eine ganz dezidierte Meinung in der Sache: „Der Fall zeigt deutlich, wie rabiat es auf dem Münchner Mietmarkt zugeht“, sagt Simone Burger, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Mietervere­ins München. „Profit steht über allem, auch den Interessen der Mieter.“Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) hatte nach dem Abriss erklärt, man könne „Profitgier nicht gegen jedes Recht mit der Abrissbirn­e durchsetze­n“.

In dem Verfahren geht es auch um den Umgang des Käufers mit den früheren Mietern des Hauses. Er soll sie rausgeekel­t haben, indem das Wasser abgedreht, der Strom abgeschalt­et, die Haustür ausgehängt und Dachziegel entfernt wurden, damit es hineinregn­et. Auch für diesen Vorwurf verlangt die Verteidigu­ng schon direkt zu Prozessbeg­inn Freispruch.

Ihr Mandant habe den als mutmaßlich­en Komplizen angeklagte­n Unternehme­r nicht mit dem Abriss beauftragt. Der Mann allein sei für „das tragische Unglück“verantwort­lich. Grund sei eine psychische Ausnahmesi­tuation, „ein Aussetzer“. Der Unternehme­r selbst spricht vor Gericht von verschiede­nen Versehen. So habe seine Frau den Bagger, der für eine Baustelle bei Stuttgart vorgesehen gewesen sei, versehentl­ich nach Giesing liefern lassen. Und auch seine Mitarbeite­r seien aus Versehen

nach München gefahren – und nicht nach Baden-Württember­g.

Er habe den Auftrag übernommen, weil seine Firma finanziell­e Schwierigk­eiten gehabt habe. Dass im Uhrmacherh­äusl noch Mieter wohnten, will er erst jetzt, kurz vor dem Prozess, erfahren haben.

Wie komplizier­t das alles ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass es erst knapp fünf Jahre nach dem Fall zum Prozess kommt, sondern auch daran, dass das Amtsgerich­t schon jetzt Termine bis in den Sommer hinein anberaumt hat. Das Urteil könnte möglicherw­eise am 18. Juli fallen.

Aber wie auch immer dieses Verfahren nun ausgeht – eins ist schon jetzt klar: Der Käufer muss das Uhrmacherh­äuschen mit seinen historisch­en Gebäudemaß­en wieder aufbauen. Das hat der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of (BayVGH) im vergangene­n Jahr entschiede­n.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Protestsch­ilder sind an der Häuserlück­e in München-Giesing zu lesen, in der bis 2017 das denkmalges­chützte Uhrmacherh­äusl gestanden hat. Am Amtsgerich­t hat der Prozess gegen den Käufer des Hauses begonnen.

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