Heikle Ausbildung
Einige Völkerrechtler sehen Deutschland auf dem Weg zur Kriegspartei
- Bringt die Lieferung schwerer Waffen Deutschland einem Kriegseintritt näher? Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sagt Nein – ein anderer Schritt würde allerdings den Kriegseintritt nach sich ziehen. Experten erklären der „Schwäbischen Zeitung“, wie das Völkerrecht mit solchen Situationen umgeht.
Mit welchen Mitteln darf ein Land sich gegen einen Angriff verteidigen?
Jedes Land der Welt hat das Recht, gegen einen Angriff auf sein Territorium vorzugehen. Das haben die Gründungsstaaten der Vereinten Nationen bereits 1945 festgelegt. In ihrer Charta wird das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“im Artikel 51 bestätigt.
Wie weit geht das Selbstverteidigungsrecht?
Das individuelle Recht zur Selbstverteidigung bezeichnet das Recht des angegriffenen Landes, sich zu verteidigen. Dies kann durch eigenes oder durch andere Staaten zur Verfügung gestelltes Kriegsgerät erfolgen, erläutert Völkerrechtsprofessor Stefan Talmon von der Universität Bonn. Darüber hinaus darf eine angegriffene Nation um Beistand bitten. „Andere Staaten, die sich an der Verteidigung des angegriffenen Staats beteiligen, handeln in kollektiver Selbstverteidigung.“Sie müssten darüber den UN-Sicherheitsrat informieren. Waffen könnten im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung auch zur Unterstützung des individuellen Selbstverteidigungsrechts geliefert werden. Dies sei unabhängig von der Frage, ob es sich um Offensivoder Defensivwaffen handelt. „Durch die Waffenlieferungen werden die Staaten nicht automatisch zur Kriegspartei“, sagt Talmon. Denn zwischen dem Angegriffenen und den Drittstaaten gelte weiterhin das Friedens-Völkerrecht, das sowohl wirtschaftliche als auch militärische Hilfe erlaubt.
Im Zuge der Selbstverteidigung sei es auch erlaubt, das Territorium des Gegners anzugreifen, sagt Matthias Hartwig vom Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländiEin sches öffentliches Recht und Völkerrecht. „Die Ukraine darf im Rahmen des Kriegsrechts russische Nachschubwege und Treibstofflager angreifen.“
Wann wird ein Land zur Kriegspartei?
Da es seit dem Zweiten Weltkrieg keine formelle Kriegserklärung mehr gegeben habe, existierten zwei Wege, wie ein Land zur Kriegspartei werden könne, erklärt Völkerrechtler Stefan Talmon. Zum einen eine offizielle Erklärung gegenüber dem UN-Sicherheitsrat im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung. Diesen Schritt hat Deutschland bisher vermieden. Bisher argumentiere die Bundesregierung lediglich damit, dass sie der Ukraine bei der Selbstverteidigung helfe. Der zweite Weg wäre das unmittelbare Eingreifen von Truppen in den Konflikt. Das würde etwa gelten, wenn Nato-Flugzeuge über der Ukraine eine Flugverbotszone durchsetzen.
Ist die Ausbildung von ukrainischen Soldaten durch Nato-Ausbilder in Nato-Staaten ein Eintritt in den Krieg? Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sieht das so. Demnach ist zwar die Lieferung von Waffen unproblematisch. Mit der Einweisung der Konfliktpartei oder Ausbildung an solchen Waffen, wie es etwa bei Gepard-Panzern geplant ist, „würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen“, heißt es dort. Die Bundesregierung weist diese Interpretation zurück. Und auch Völkerrechtsexperte Talmon schätzt die Lage ein wie die Bundesregierung. „Die Ausbildung in Deutschland sehe ich nicht als unmittelbare Beteiligung an den Kampfhandlungen.“
Kann sich Deutschland aussuchen, ob es zur Kriegspartei wird? Rechtlich ja, praktisch nur bedingt. „Wenn Russland die Ausbildung von Ukrainern an einer Panzerhaubitze als Eintritt in den Krieg wertet, dann kann niemand Russland daran hindern, eine Rakete auf den Truppenübungsplatz abzufeuern, erklärt Talmon. Das sei jedoch eine politische Entscheidung des Kremls, keine rechtliche Frage. Russlands Präsident Wladimir Putin halte sich ohnehin nicht an das Völkerrecht.
Völkerrechtler Hartwig weist noch auf ein anderes Risiko hin, nämlich auf die veränderte Einschätzung eines Kriegseintritts im Zuge der Terrorgefahr: „Die USA haben sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 darauf berufen, Afghanistan bombardieren zu können, weil die Taliban Terroristen einen Unterschlupf boten.“Wenn man diesen Maßstab an die Waffenlieferung von Staaten an die Ukraine anlege, berge das die Gefahr, dass Russland sich darauf berufe und seinerseits Lieferländer der Ukraine bombardiere.
Welche rechtlichen Folgen hat ein Kriegseintritt für einen Staat? Unter dem Kriegsrecht kann ein Land unter anderem sogenanntes Feind-Vermögen einfrieren oder Schiffe beschlagnahmen, erklärt Talmon. Sobald Soldaten auf dem Schlachtfeld in den Kampf eingreifen, komme das ganze humanitäre Völkerrecht zur Anwendung. Dazu zähle zum Beispiel, dass Soldaten die gegnerischen Soldaten töten dürfen oder bei einer Gefangennahme zu Kriegsgefangenen werden, für die besondere Regeln gelten.