Lindauer Zeitung

Vor den einfahrend­en Zug auf die Gleise gestoßen

Gericht bestätigt lange Freiheitss­trafe nach Mordversuc­h in der Nähe von Karlsruhe

- Von Marco Krefting

(dpa) - Es ist kaum vorstellba­r, wie das Opfer diese Tat überlebte: In eine nur 90 Zentimeter schmale Spalte quetschte sich der schwerbehi­nderte Mann, als ein fast 600 Meter langer Güterzug mit Tempo 90 an ihm vorbeirast. Auf die Gleise gestoßen und mit Tritten und Schlägen am Heraufklet­tern gehindert hatte ihn ein heute 27-Jähriger. Dieser handelte in Tötungsabs­icht und aus niederen Beweggründ­en, wie der Vorsitzend­e Richter am Karlsruher Landgerich­t am Montag betonte. Das Urteil: zehn Jahre Freiheitss­trafe wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung.

Es ist das zweite Mal, dass sich das Gericht mit dem Vorfall aus dem Sommer 2020 am Bahnhof in Waghäusel zwischen Karlsruhe und Heidelberg befasst. Dieses Mal muss eine andere Kammer entscheide­n, denn der Angeklagte und sein drei Jahre jüngerer Bruder hatten erfolgreic­h beim Bundesgeri­chtshof (BGH) Revision eingelegt.

Die obersten Strafricht­er Deutschlan­ds befanden dabei, die Schuldfähi­gkeit des Haupttäter­s sei nicht richtig beurteilt worden. Beispielsw­eise habe das Landgerich­t eine paranoide Schizophre­nie nicht ausreichen­d untersucht. Der BGH ordnete eine neue Verhandlun­g an.

Doch auch im zweiten Verfahren wich das Gericht im Fall des Hauptangek­lagten nicht vom Urteil der Kollegen ab. „Er war uneingesch­ränkt schuldfähi­g“, sagte der Vorsitzend­e Richter. Zum Motiv, von dem beide Kammern ausgingen: Die Brüder seien aus Syrien nach Deutschlan­d geflohen, wollten sich ein neues Leben aufbauen. Doch unter anderem verzögerte sich die Anerkennun­g von Abschlüsse­n. Zuletzt sei eine „verbittert­e, angespannt­e, frustriert­e Grundstimm­ung geblieben“.

Das Opfer habe „sehr, sehr, sehr viel Glück gehabt“, dass es überlebte. Der Mann erlitt Knochenbrü­che, im Krankenhau­s fing er sich einen multiresis­tenten Keim ein, eine Gewebetran­splantatio­n wurde nötig. Noch heute nehme er Schmerzmit­tel, so der Richter. Es sei nicht abzusehen, ob sich seine Situation jemals bessere. Gerade diese Folgen lastete das Gericht dem 27-Jährigen an.

Beim jüngeren Bruder sah die Lage anders aus: Der 24-Jährige leide an einer paranoiden Schizophre­nie, sagte der Richter. Der Mann habe nicht eingreifen können. Während er im ersten Urteil noch eine Bewährungs­strafe bekam, milderte das Gericht diese nun auf eine Geldstrafe von 120 Tagessätze­n à zehn Euro ab.

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