Deutschlands bekannteste Notärztin zieht Bilanz
In ihrer Autobiografie „Auf krummen Wegen geradeaus“schreibt die Tübingerin Lisa Federle über ihre Motivation
Handeln, um zu helfen: Deutschlands wohl bekannteste Notärztin Lisa Federle erzählt in ihrer Autobiografie „Auf krummen Wegen geradeaus“ihre bewegte Lebensgeschichte.
Schwierige Situationen, Um- und Seitenwege kennzeichnen Lisa Federles Vita. Früh verliert sie den Vater, mit 17 Jahren verlässt sie das pietistische Elternhaus, bricht die Schule ab. Mit 18 Jahren das erste Kind, 16 Monate später folgt das zweite. Weil der Kindsvater heroinsüchtig ist, trennt sie sich. Alleinerziehend kellnert sie, schiebt Nachtdienste in der Urologie der Uniklinik Tübingen. Ihr Traumberuf bleibt Ärztin. In der Abendschule paukt sie für mittlere Reife und Abitur, während sie ihr drittes Kind bekommt. Mit 30 Jahren studiert sie Medizin, promoviert und wird Notärztin.
Heute steht die 60-jährige Powerfrau mitten im Leben: In Tübingen ist die leitende Notärztin als „Lisa immer im Einsatz“bekannt wie ein bunter Hund, während der Corona-Pandemie avanciert sie mit dem „Tübinger Modell“deutschlandweit zur Hoffnungsträgerin. Für ihr soziales Engagement wird sie 2020 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Mit der Autobiografie „Auf krummen Wegen geradeaus“reflektiert Federle nun seelische Narben und Wendepunkte in ihrem Leben als vierfache Mutter, Not- und Hausärztin, Pandemiebeauftragte und Gründerin des Vereins „#BewegtEuch“mit dem Ziel, benachteiligten Kindern und Jugendlichen sportliche Aktivitäten zu ermöglichen. Mit Energie und Lebensfreude animiert sie Menschen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Authentisch verrät sie in 35 kurzweiligen Kapiteln, was sie denkt und fühlt.
Ihr Vertrauen in die Medizin wird nicht nur durch einen Kunstfehler beim Tod ihres Vaters, sondern auch durch eine Fehldiagnose bei der eigenen Brustkrebsdiagnose erschüttert. Dennoch bleibt sie Ärztin aus Passion. Auf gut 300 Seiten, inklusive persönlichem Abc, begleiten wir sie mit Blaulicht und Martinshorn bei ihren Einsätzen, bei denen es um Leben und Tod geht. Als stellvertretende Vorsitzende der Kreisärzteschaft und Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes in Tübingen übernimmt sie auch politische Verantwortung:
Von der CDU für den Kreistag und Gemeinderat aufgestellt, wird sie zur Tübinger Stimmenkönigin. Mit ihrem damaligen Partner Rezzo Schlauch, der sie politisch unterstützt hat, kandidiert sie zur Landtagswahl in Baden-Württemberg 2010, wo sie knapp scheitert.
Manchmal bleibt bei der Lektüre kaum Luft zum Durchatmen, so viele Anekdoten und Heldentaten reiht das Buch aneinander. Federle passt in kein Schema. Enge Jeans und kurze Röcke, der rosafarbene Lippenstift zur Notarztjacke sind ihre Markenzeichen. Die Covid-19-Politik der letzten zwei Jahre von Bund und Ländern empfindet sie als sehr anstrengend. „Meine Vorschläge und Anregungen sind von der Politik leider nur schleppend umgesetzt worden“, resümiert sie auf Nachfrage. „Wir in Deutschland handeln häufig zu bürokratisch und zögerlich. In der Krise muss man anpacken und darf nicht zuwarten.“Das heißt: selbst in Vorleistung zu gehen, wie bei den Schnelltests in Altersund Pflegeheimen oder bei der Idee einer rollenden Arztpraxis.
Als 2015 die medizinische Versorgung von vielen Geflüchteten mangelhaft ist, fährt sie kurzerhand mit ihrem ambulanten Bus zu den Flüchtlingsunterkünften. Als Corona kommt, mutiert der Bus zum Testmobil, viele Monate steht es als stationäres Testzentrum vor dem Tübinger Rathaus. Jetzt, da viele Menschen aus der Ukraine Hilfe suchen, wird das Wohnmobil wieder zum Flüchtlingsmobil.
Manchmal trägt die Autorin etwas dick auf, wenn sie von Til Schweiger als Hausnachbarn auf Mallorca schwärmt oder das „Schwäbische Tagblatt“folgendermaßen zitiert: „Kein Zweifel, Lisa Federles Arztmobil ist ein geschichtliches Dokument des Widerstands, ein Monument des unermüdlichen Einsatzes. Dank Jan Josef Liefers und Til Schweigers Unterstützung atmet es sogar ein bisschen den Wendegeist der Freiheit.“Weniger pathetisch bleibt festzuhalten: Eine starke Ärztin erzählt authentisch aus ihrem Leben, das Ganze liest sich wie ein notärztliches Tagebuch, das naturgemäß subjektiv ist.