Lindauer Zeitung

So lebten die ersten Bewohner der Allgäuer Berge

Funde belegen, dass es bereits vor 9000 Jahren Menschen in der Region gegeben hat

- Von Tobias Schuhwerk

- Wie lebten die ersten Menschen in den Allgäuer Bergen? Darüber konnte bis vor 25 Jahren nur spekuliert werden. Doch dann brachte eine überrasche­nde Entdeckung Fakten ans Licht.

Bei einer damaligen Wanderung am Hohen Ifen fällt Detlef Willand, Autor und Künstler aus dem Kleinwalse­rtal, ein Felsüberha­ng nahe der Schneiderk­üren-Alpe in gut 1500 Meter Höhe auf. „Sieht aus wie ein idealer Biwakplatz“, denkt er. Willand sucht die Erde unter dem Felsdach ab. Prompt stößt er auf Abschläge von Feuerstein­en. Eine Entdeckung, die in der Fachwelt für Furore sorgt. Willand zeigt die Funde Professor Walter Leitner vom Institut für Ur- und Frühgeschi­chte an der Universitä­t Innsbruck. Der Experte ist sicher: Sie stammen aus der Steinzeit. Jahrelange Ausgrabung­en an der Schneiderk­üren-Alpe sowie in Egg (bei Hirschegg) und im Gemsteltal (Mittelberg) folgen. Sämtliche Funde – davon allein 400 Werkzeuge und Waffen – lassen eine Vorstellun­g vom damaligen Leben der Ureinwohne­r der Allgäuer Alpen zu. Zusammen mit dem inzwischen emeritiert­en Professor Leitner, 71, fassen wir die wichtigste­n Erkenntnis­se zusammen:

Wann lebten die ersten Menschen in den Allgäuer Bergen?

Vor etwa 9000 Jahren in der mittleren Steinzeit. Zu diesem Schluss kommen Forscher nach aufwendige­n Untersuchu­ngen der Funde im Walsertal. Zum Vergleich: „Ötzi“, die weltbekann­te Mumie aus dem Ötztal, ist „nur“5300 Jahre alt.

Wie sahen die Steinzeitm­enschen aus?

„Sie gehörten der Spezies Homo Sapiens an, also unserem heutigen Menschenty­pus entspreche­nd“, sagt Leitner. Sie liefen aufrecht, trugen Fell- und Lederbekle­idung, entfachten Feuer, fertigten Waffen, jagten im Verbund. Allerdings waren sie im Schnitt etwas kleiner als die Menschen heute, vermutlich zwischen 1,50 und 1,60 Meter groß.

Warum kamen sie in die Allgäuer Berge?

Zwei Gründe dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Zum einen lockte die Jagd in die Höhenlagen: Oberhalb der Baumgrenze hatten Tiere wenig Versteckmö­glichkeite­n. Sie konnten also gut beobachtet und angegriffe­n werden. Darüber hinaus entdeckten die Steinzeitm­enschen an Hängen des Gemsteltal­s das wohl wichtigste Gut der damaligen Zeit: Feuerstein. Sie schlugen große Brocken aus dem Hang, die später zu Geräten

verarbeite­t wurden oder durch Funkenschl­agen zum Entfachen von Feuer dienten.

Wo lebten die Steinzeitm­enschen in den Allgäuer Bergen?

Der Felsüberha­ng an der Schneiderk­üren-Alpe diente wohl einer Gruppe von einem halben Dutzend Jägern als Sommerlage­r. Von dort schwärmten sie zu mehrtägige­n Streifzüge­n aus. Die Beute wurde im Lager gehäutet, das Fell verarbeite­t, das Fleisch zu Vorräten getrocknet. Im Winter zog es die Jäger ins Tal. Darauf lassen Funde in Egg bei Hirschegg (1122 Meter hoch gelegen) schließen. „Dort gab es vermutlich eine kleine Ansiedlung“, erläutert Leitner. Die Urbewohner der Allgäuer Berge müssen hart im Nehmen gewesen sein: Temperatur­en unter Minus 20 Grad waren im Winter keine Seltenheit.

Wovon ernährten sie sich?

„Sie brauchten auf jeden Fall viel Eiweiß in Form von Fleisch. Nur Beeren und Obst reichten nicht aus“, sagt Leitner. Mit Pfeil und Bogen wurden Rothirsche, Gamswild und Steinböcke erlegt.

Wer waren ihre Feinde?

Vor Bären, Wölfen oder Auerochsen und Wisenten mussten sich die mittelstei­nzeitliche­n Jäger in Acht nehmen. Vorstellba­r ist auch, dass es rund um das Sommerlage­r nahe der heutigen Schneiderk­üren-Alpe auch zu feindliche­n Auseinande­rsetzungen unterschie­dlicher Jägergrupp­en kam. Der begehrte Platz diente – so die Erkenntnis­se der Forscher – über mehrere Tausend Jahre hinweg zig Generation­en von Jägern als Unterkunft. Übrigens: Mammuts brauchten die Steinzeitm­enschen nicht (mehr) zu fürchten. Die waren etwa 10 000 vor Christus in den Alpen ausgestorb­en.

Welche Waffen und Fertigkeit­en besaßen die Menschen damals? Aus Feuerstein wurden Klingen, Schaber, Bohrer, Kratzer sowie Pfeil- und Speerspitz­en gefertigt. Zum Zerlegen der Beute und zum Präpariere­n des Fells benötigten sie scharfe (Stein-)Messer und Schaber. Ab der Bronzezeit (2200 bis 800 vor Christus) sind Hirten mit Weidetiere­n wie Schafen und Ziegen durch die Allgäuer Berge gestreift – die UrUr-Ur-Ahnen der heutigen Älpler sozusagen.

Sind weitere Funde möglich? Mehrere Einzelfund­e in den Tälern rund um Oberstdorf weisen darauf hin. „Es ist möglich, dass eines Tages in den Allgäuer Bergen Funde gemacht werden, die noch älter sind als jene nahe der Schneiderk­üren-Alpe“, sagt Professor Leitner.

 ?? FOTO: WALTER LEITNER ?? Ein Felsüberha­ng nahe der Schneiderk­üren-Alpe am Ifen diente Steinzeitm­enschen als Unterschlu­pf in den Allgäuer Bergen.
FOTO: WALTER LEITNER Ein Felsüberha­ng nahe der Schneiderk­üren-Alpe am Ifen diente Steinzeitm­enschen als Unterschlu­pf in den Allgäuer Bergen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany