So lebten die ersten Bewohner der Allgäuer Berge
Funde belegen, dass es bereits vor 9000 Jahren Menschen in der Region gegeben hat
- Wie lebten die ersten Menschen in den Allgäuer Bergen? Darüber konnte bis vor 25 Jahren nur spekuliert werden. Doch dann brachte eine überraschende Entdeckung Fakten ans Licht.
Bei einer damaligen Wanderung am Hohen Ifen fällt Detlef Willand, Autor und Künstler aus dem Kleinwalsertal, ein Felsüberhang nahe der Schneiderküren-Alpe in gut 1500 Meter Höhe auf. „Sieht aus wie ein idealer Biwakplatz“, denkt er. Willand sucht die Erde unter dem Felsdach ab. Prompt stößt er auf Abschläge von Feuersteinen. Eine Entdeckung, die in der Fachwelt für Furore sorgt. Willand zeigt die Funde Professor Walter Leitner vom Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Innsbruck. Der Experte ist sicher: Sie stammen aus der Steinzeit. Jahrelange Ausgrabungen an der Schneiderküren-Alpe sowie in Egg (bei Hirschegg) und im Gemsteltal (Mittelberg) folgen. Sämtliche Funde – davon allein 400 Werkzeuge und Waffen – lassen eine Vorstellung vom damaligen Leben der Ureinwohner der Allgäuer Alpen zu. Zusammen mit dem inzwischen emeritierten Professor Leitner, 71, fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse zusammen:
Wann lebten die ersten Menschen in den Allgäuer Bergen?
Vor etwa 9000 Jahren in der mittleren Steinzeit. Zu diesem Schluss kommen Forscher nach aufwendigen Untersuchungen der Funde im Walsertal. Zum Vergleich: „Ötzi“, die weltbekannte Mumie aus dem Ötztal, ist „nur“5300 Jahre alt.
Wie sahen die Steinzeitmenschen aus?
„Sie gehörten der Spezies Homo Sapiens an, also unserem heutigen Menschentypus entsprechend“, sagt Leitner. Sie liefen aufrecht, trugen Fell- und Lederbekleidung, entfachten Feuer, fertigten Waffen, jagten im Verbund. Allerdings waren sie im Schnitt etwas kleiner als die Menschen heute, vermutlich zwischen 1,50 und 1,60 Meter groß.
Warum kamen sie in die Allgäuer Berge?
Zwei Gründe dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Zum einen lockte die Jagd in die Höhenlagen: Oberhalb der Baumgrenze hatten Tiere wenig Versteckmöglichkeiten. Sie konnten also gut beobachtet und angegriffen werden. Darüber hinaus entdeckten die Steinzeitmenschen an Hängen des Gemsteltals das wohl wichtigste Gut der damaligen Zeit: Feuerstein. Sie schlugen große Brocken aus dem Hang, die später zu Geräten
verarbeitet wurden oder durch Funkenschlagen zum Entfachen von Feuer dienten.
Wo lebten die Steinzeitmenschen in den Allgäuer Bergen?
Der Felsüberhang an der Schneiderküren-Alpe diente wohl einer Gruppe von einem halben Dutzend Jägern als Sommerlager. Von dort schwärmten sie zu mehrtägigen Streifzügen aus. Die Beute wurde im Lager gehäutet, das Fell verarbeitet, das Fleisch zu Vorräten getrocknet. Im Winter zog es die Jäger ins Tal. Darauf lassen Funde in Egg bei Hirschegg (1122 Meter hoch gelegen) schließen. „Dort gab es vermutlich eine kleine Ansiedlung“, erläutert Leitner. Die Urbewohner der Allgäuer Berge müssen hart im Nehmen gewesen sein: Temperaturen unter Minus 20 Grad waren im Winter keine Seltenheit.
Wovon ernährten sie sich?
„Sie brauchten auf jeden Fall viel Eiweiß in Form von Fleisch. Nur Beeren und Obst reichten nicht aus“, sagt Leitner. Mit Pfeil und Bogen wurden Rothirsche, Gamswild und Steinböcke erlegt.
Wer waren ihre Feinde?
Vor Bären, Wölfen oder Auerochsen und Wisenten mussten sich die mittelsteinzeitlichen Jäger in Acht nehmen. Vorstellbar ist auch, dass es rund um das Sommerlager nahe der heutigen Schneiderküren-Alpe auch zu feindlichen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Jägergruppen kam. Der begehrte Platz diente – so die Erkenntnisse der Forscher – über mehrere Tausend Jahre hinweg zig Generationen von Jägern als Unterkunft. Übrigens: Mammuts brauchten die Steinzeitmenschen nicht (mehr) zu fürchten. Die waren etwa 10 000 vor Christus in den Alpen ausgestorben.
Welche Waffen und Fertigkeiten besaßen die Menschen damals? Aus Feuerstein wurden Klingen, Schaber, Bohrer, Kratzer sowie Pfeil- und Speerspitzen gefertigt. Zum Zerlegen der Beute und zum Präparieren des Fells benötigten sie scharfe (Stein-)Messer und Schaber. Ab der Bronzezeit (2200 bis 800 vor Christus) sind Hirten mit Weidetieren wie Schafen und Ziegen durch die Allgäuer Berge gestreift – die UrUr-Ur-Ahnen der heutigen Älpler sozusagen.
Sind weitere Funde möglich? Mehrere Einzelfunde in den Tälern rund um Oberstdorf weisen darauf hin. „Es ist möglich, dass eines Tages in den Allgäuer Bergen Funde gemacht werden, die noch älter sind als jene nahe der Schneiderküren-Alpe“, sagt Professor Leitner.