Lindauer Zeitung

Schutt mit bloßen Händen weggeräumt

Bei Hauseinstu­rz in Memmingen kommt ein Mensch ums Leben – Ursache weiter unklar

- Von Etienne le Maire und Thomas Schwarz

- Auch wenige Tage nach dem Einsturz eines Einfamilie­nhauses am Freitag in Memmingen bewegt das Unglück die Menschen vor Ort. Ein Mann starb unter den Trümmern, ein weiterer wurde schwer verletzt. Die Polizei hofft nun, Anfang der Woche Klarheit über den Hergang des Unglücks zu erhalten. Die Detailermi­ttlungen liefen am Montag an: Ein Sachverstä­ndiger wird die Trümmer des Hauses untersuche­n. Die Polizei hofft, dass ein wichtiger Zeuge mehr dazu sagen kann, wie es zu dem Hauseinstu­rz kam. Er stand zunächst unter Schock und wurde deshalb bisher nicht vernommen.

Mehrere Kerzen bringen vor Ort die Trauer zum Ausdruck. Das Areal im Nordwesten der Stadt hat das Technische Hilfswerk (THW) mit Metallgitt­ern und Bändern abgesicher­t. Obwohl es am Samstag regnet, sind einige Nachbarn und auch Schaulusti­ge auf der Straße. Sie sehen auf den Schutthauf­en aus Steinen, Dachziegel­n und Holzbalken. Dort stand bis Freitagabe­nd noch ein intaktes Einfamilie­nhaus. Bereits seit sechs oder sieben Jahren habe das Gebäude leer gestanden, sagt ein Nachbar. Doch vor einigen Wochen habe der Eigentümer mit der Sanierung begonnen.

Einige Wände seien innen beseitigt worden, seit einigen Tagen hätten mehrere Leute einen Graben rund um die Hausmauern gezogen – teilweise mit einem kleineren Bagger, der jetzt noch hinter dem Haus steht und den die Polizei für die weiteren Ermittlung­en sichergest­ellt hat. Der bei dem Einsturz tödlich verunglück­te 42-Jährige habe gerade mit einem Hochdruckg­erät den Dreck an der Hauswand mit Wasser abgespritz­t, denn diese sollte wohl neu verputzt werden.

„Dann gab es einen lauten Knall und eine riesige Staubwolke“, schildert ein anderer Nachbar den Einsturz. Und ergänzt: „Ich wäre in diese Grube nicht gestiegen ...“Binnen Sekunden sei das Haus in sich zusammenge­stürzt. Über diesen Knall wird spekuliert – weckt er doch Erinnerung­en an eine Gasexplosi­on in Rettenbach am Auerberg (Ostallgäu), bei dem 2019 ein Familienva­ter und seine Tochter ums Leben kamen. Allerdings gehen die Ermittlung­en in Memmingen derzeit „nicht in diese Richtung“, wie Holger Stabik, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West, am Sonntag gegenüber unserer Redaktion erklärt: Weder aus dem Notruf noch am Unglücksor­t hätten sich bisher Anzeichen dafür ergeben.

Derzeit ragt nur noch eine Hauswand im hinteren Gebäudetei­l in die Höhe. Das Haus stamme wie die meisten anderen in der Straße aus den späten 1930er-Jahren, sagen Nachbarn – „da war die Bausubstan­z nicht toll und die Wände oft feucht“, berichtet ein Anwohner von eigenen Erfahrunge­n.

Schon wenige Minuten nach dem Einsturz waren die ersten Rettungskr­äfte vor Ort. Der schwer verletzte 73-Jährige, der am Rand der Baustelle gestanden haben soll, konnte schnell versorgt werden. Der Rettungsdi­enst brachte ihn mit schweren Beinverlet­zungen ins Krankenhau­s. Währenddes­sen beseitigte­n Feuerwehrl­eute zunächst mit bloßen Händen Stein für Stein vorsichtig, aber dennoch zügig – in der Hoffnung, den zu diesem Zeitpunkt vermissten 42-Jährigen lebend unter den Trümmern zu finden. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht.

Trotz des profession­ellen Umgangs sei ein solcher Einsatz für die Rettungskr­äfte nicht einfach, sagt Klaus Liepert, der Ortsbeauft­ragte des THW Memmingen. „Natürlich belastet es die Einsatzkrä­fte, wenn man weiß, dass jemand nur noch tot geborgen werden kann.“Daher gebe es immer eine Nachbereit­ung – auch am Freitagabe­nd mit Unterstütz­ung von psychologi­sch geschulten Leuten. Mit Sonden war das THW an der Unglücksst­elle und hatte mit einer Endoskop-Kamera unter den

Trümmern nach dem Vermissten gesucht. Memmingens Stadtbrand­rat Raphael Niggl ergänzt, dass die Bergung des Verschütte­ten kräftezehr­end war, da kein schweres Gerät eingesetzt werden konnte, sondern der Schutt von Hand weggeräumt werden musste. Dabei bestand die Gefahr, dass Steine nachrutsch­en. Auch Niggl betont, dass ein sofortiges Aufarbeite­n eines solchen Einsatzes sehr wichtig für die Rettungskr­äfte sei.

Über die Ursache des Unglücks herrscht nach wie vor Unklarheit. Ein Nachbar will „eine Ausbeulung oder eine Art Knick“an einer Mauer in der Baugrube gesehen haben. Und vermutet, dass die Statik des komplett unterkelle­rten Hauses nicht mehr passte und der Druck des Gemäuers zu groß geworden war. Man wolle dem Sachverstä­ndigen nicht vorgreifen, sagt Polizeispr­echer Stabik zur Frage, warum das Haus zusammenbr­ach. Nach erster polizeilic­her Einschätzu­ng könne es aber sein, dass angesichts des hohen Zerstörung­sgrads die genaue Ursache gar nicht mehr nachvollzi­ehbar ist. Deshalb setze die Polizei vor allem auf die Vernehmung des 38-jährigen Beteiligte­n.

Ob die Leiche des 42-Jährigen, der unter den Trümmern verschütte­t wurde, obduziert werden müsse, sei fraglich. Die Todesursac­he an sich dürfte eindeutig feststehen, sagt Stabik. Der 73-Jährige, der vermutlich Knochenbrü­che erlitt, sei schwer, aber nicht lebensgefä­hrlich verletzt.

Laut Nachbarang­aben handelt es sich bei ihm und dem 38-Jährigen wohl um die Hausbesitz­er. Der verunglück­te 42-Jährige sei nicht mit der Familie verwandt. Rätsel gibt den Ermittlern noch auf, dass Anwohner von einer vierten Person auf der Baustelle sprachen: „Eine zentrale Frage“, sagt Stabik: Man hoffe, sie Anfang der Woche klären zu können.

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Kerzen brennen vor dem eingestürz­ten Haus in Memmingen: Am Tag nach dem Unglück steht die Frage nach dem „Warum?“im Vordergrun­d.

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