Schutt mit bloßen Händen weggeräumt
Bei Hauseinsturz in Memmingen kommt ein Mensch ums Leben – Ursache weiter unklar
- Auch wenige Tage nach dem Einsturz eines Einfamilienhauses am Freitag in Memmingen bewegt das Unglück die Menschen vor Ort. Ein Mann starb unter den Trümmern, ein weiterer wurde schwer verletzt. Die Polizei hofft nun, Anfang der Woche Klarheit über den Hergang des Unglücks zu erhalten. Die Detailermittlungen liefen am Montag an: Ein Sachverständiger wird die Trümmer des Hauses untersuchen. Die Polizei hofft, dass ein wichtiger Zeuge mehr dazu sagen kann, wie es zu dem Hauseinsturz kam. Er stand zunächst unter Schock und wurde deshalb bisher nicht vernommen.
Mehrere Kerzen bringen vor Ort die Trauer zum Ausdruck. Das Areal im Nordwesten der Stadt hat das Technische Hilfswerk (THW) mit Metallgittern und Bändern abgesichert. Obwohl es am Samstag regnet, sind einige Nachbarn und auch Schaulustige auf der Straße. Sie sehen auf den Schutthaufen aus Steinen, Dachziegeln und Holzbalken. Dort stand bis Freitagabend noch ein intaktes Einfamilienhaus. Bereits seit sechs oder sieben Jahren habe das Gebäude leer gestanden, sagt ein Nachbar. Doch vor einigen Wochen habe der Eigentümer mit der Sanierung begonnen.
Einige Wände seien innen beseitigt worden, seit einigen Tagen hätten mehrere Leute einen Graben rund um die Hausmauern gezogen – teilweise mit einem kleineren Bagger, der jetzt noch hinter dem Haus steht und den die Polizei für die weiteren Ermittlungen sichergestellt hat. Der bei dem Einsturz tödlich verunglückte 42-Jährige habe gerade mit einem Hochdruckgerät den Dreck an der Hauswand mit Wasser abgespritzt, denn diese sollte wohl neu verputzt werden.
„Dann gab es einen lauten Knall und eine riesige Staubwolke“, schildert ein anderer Nachbar den Einsturz. Und ergänzt: „Ich wäre in diese Grube nicht gestiegen ...“Binnen Sekunden sei das Haus in sich zusammengestürzt. Über diesen Knall wird spekuliert – weckt er doch Erinnerungen an eine Gasexplosion in Rettenbach am Auerberg (Ostallgäu), bei dem 2019 ein Familienvater und seine Tochter ums Leben kamen. Allerdings gehen die Ermittlungen in Memmingen derzeit „nicht in diese Richtung“, wie Holger Stabik, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, am Sonntag gegenüber unserer Redaktion erklärt: Weder aus dem Notruf noch am Unglücksort hätten sich bisher Anzeichen dafür ergeben.
Derzeit ragt nur noch eine Hauswand im hinteren Gebäudeteil in die Höhe. Das Haus stamme wie die meisten anderen in der Straße aus den späten 1930er-Jahren, sagen Nachbarn – „da war die Bausubstanz nicht toll und die Wände oft feucht“, berichtet ein Anwohner von eigenen Erfahrungen.
Schon wenige Minuten nach dem Einsturz waren die ersten Rettungskräfte vor Ort. Der schwer verletzte 73-Jährige, der am Rand der Baustelle gestanden haben soll, konnte schnell versorgt werden. Der Rettungsdienst brachte ihn mit schweren Beinverletzungen ins Krankenhaus. Währenddessen beseitigten Feuerwehrleute zunächst mit bloßen Händen Stein für Stein vorsichtig, aber dennoch zügig – in der Hoffnung, den zu diesem Zeitpunkt vermissten 42-Jährigen lebend unter den Trümmern zu finden. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht.
Trotz des professionellen Umgangs sei ein solcher Einsatz für die Rettungskräfte nicht einfach, sagt Klaus Liepert, der Ortsbeauftragte des THW Memmingen. „Natürlich belastet es die Einsatzkräfte, wenn man weiß, dass jemand nur noch tot geborgen werden kann.“Daher gebe es immer eine Nachbereitung – auch am Freitagabend mit Unterstützung von psychologisch geschulten Leuten. Mit Sonden war das THW an der Unglücksstelle und hatte mit einer Endoskop-Kamera unter den
Trümmern nach dem Vermissten gesucht. Memmingens Stadtbrandrat Raphael Niggl ergänzt, dass die Bergung des Verschütteten kräftezehrend war, da kein schweres Gerät eingesetzt werden konnte, sondern der Schutt von Hand weggeräumt werden musste. Dabei bestand die Gefahr, dass Steine nachrutschen. Auch Niggl betont, dass ein sofortiges Aufarbeiten eines solchen Einsatzes sehr wichtig für die Rettungskräfte sei.
Über die Ursache des Unglücks herrscht nach wie vor Unklarheit. Ein Nachbar will „eine Ausbeulung oder eine Art Knick“an einer Mauer in der Baugrube gesehen haben. Und vermutet, dass die Statik des komplett unterkellerten Hauses nicht mehr passte und der Druck des Gemäuers zu groß geworden war. Man wolle dem Sachverständigen nicht vorgreifen, sagt Polizeisprecher Stabik zur Frage, warum das Haus zusammenbrach. Nach erster polizeilicher Einschätzung könne es aber sein, dass angesichts des hohen Zerstörungsgrads die genaue Ursache gar nicht mehr nachvollziehbar ist. Deshalb setze die Polizei vor allem auf die Vernehmung des 38-jährigen Beteiligten.
Ob die Leiche des 42-Jährigen, der unter den Trümmern verschüttet wurde, obduziert werden müsse, sei fraglich. Die Todesursache an sich dürfte eindeutig feststehen, sagt Stabik. Der 73-Jährige, der vermutlich Knochenbrüche erlitt, sei schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt.
Laut Nachbarangaben handelt es sich bei ihm und dem 38-Jährigen wohl um die Hausbesitzer. Der verunglückte 42-Jährige sei nicht mit der Familie verwandt. Rätsel gibt den Ermittlern noch auf, dass Anwohner von einer vierten Person auf der Baustelle sprachen: „Eine zentrale Frage“, sagt Stabik: Man hoffe, sie Anfang der Woche klären zu können.