Mehr Windräder, weniger Fleisch, teureres Fliegen
Was die Bundesregierung als Maßnahmen für den Klimaschutz in Deutschland plant
- Vor mehr als 100 Tagen war die Marschrichtung der Ampel-Koalition klar: Deutschland soll auf den Pfad der Klimaneutralität gebracht werden. Die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern ist durch den Krieg in der Ukraine wichtiger denn je. Nun hat Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) den Entwurf eines Klimaschutz-Sofortprogramms fertiggestellt. Es soll im Sommer vom Kabinett beschlossen werden. Das 99 Seiten starke Papier liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor. Wie werden wir unsere Lebensgewohnheiten umstellen müssen? Was wird teurer, was billiger? Und wer ist am meisten betroffen? Das sind die wichtigsten Punkte des Programms.
Energie: Da die Energiewirtschaft mit 30 Prozent für besonders hohe Emissionen verantwortlich ist, soll sie auch „den Großteil der erforderlichen Emissionsminderungen bis 2030“erbringen. Das wird ein Kraftakt, weil noch deutlich mehr eingespart werden muss, als bisher festgelegt wurde. Zum Kohleausstieg möglichst bis 2030 sollen Maßnahmen wie zwei Prozent der Fläche für Windräder und Erleichterungen beim Artenschutz kommen. Das soll für jedes Bundesland konkret gesetzlich festgeschrieben werden, was noch für viel Aufregung sorgen dürfte.
Gebäude: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen dringend mehr Gebäude energetisch saniert werden, und das auch gründlicher. Vom 1. Januar 2023 wird bei Neubauten der EH55-Standard Pflicht. Sie müssen also mit 55 Prozent der Primärenergie eines früheren Baus auskommen. Zwei Jahre später soll nur noch EH40 zulässig sein. Die Fördermittel werden allerdings reduziert zugunsten von Altbauten, bei denen die Sanierung viel dringlicher ist. Um die steigenden Energiepreise auszugleichen, plant die Koalition ein „Klimageld“. Darauf, wie es genau aussehen soll, konnte sie sich noch nicht einigen.
Verkehr: Der Mobilitätsbereich ist das Sorgenkind beim Erreichen der Klimaschutzziele. Um die Emissionen zu reduzieren, soll die Elektromobilität stärker gefördert werden. So soll es „steuerliche Erleichterungen für die Nutzung von elektrischen
Pkw und Nutzfahrzeugen“und eine Sonderabschreibung von 50 Prozent im ersten Jahr für vollelektrische Fahrzeuge geben. Die Regelung gilt von 2023 bis 2026 und umfasst keine Plug-in-Hybride. Damit das Laden künftig besser funktioniert, will die Ampel den Masterplan Ladeinfrastruktur überarbeiten.
Damit nicht genug: Auch „der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs muss forciert werden“, heißt es. Deshalb prüft die Regierung, wie Bus und Bahn attraktiver werden können. Ein Vorschlag, der im Entwurf genannt wird, ist die Einführung des 365-Euro-Jahrestickets.
Die Luftfahrtbranche muss sich auf einschneidende Veränderungen einstellen. Für Passagiere dürfte es teurer werden. „Wir werden uns bei der Europäischen Union dafür einsetzen, dass Flugtickets nicht zu einem Preis unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen“, heißt es wörtlich. Um Flüge weiter zu reduzieren, sollen statt Hubschraubern Drohnen eingesetzt werden.
Landwirtschaft: Die Ampel geht davon aus, dass die Lebensmittelproduktion teurer wird. Damit sich künftig trotzdem alle eine gesunde und klimafreundliche Ernährung leisten können, „prüft die Bundesregierung, die Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel entsprechend ihrer Klimawirkung anzupassen“, steht im Klima-Papier. Ziel sei es, „nachhaltige und fleischarme Ernährungsweisen“zu fördern. Fleisch, Eier und Milch könnten teurer werden. Die Bundesregierung erwägt nämlich die
Einführung einer „Abgabe auf tierische Produkte“.
Industrie: Ziel ist wirtschaftliches Wachstum bei gleichzeitig deutlichem Rückgang der Emissionen, bis 2030 um rund 35 Prozent. Das ist eine große Herausforderung: Von 2010 bis 2019 gab es nur ein Minus von drei Prozent. Allein energieintensive Industrien wie Stahl, Zement, Chemie und Kalk müssen bis 2050 etwa 230 Milliarden Euro zusätzlich investieren. Das geht nur mit „erheblicher staatlicher Unterstützung“– wieviel, bleibt offen. 2045 sollen Unternehmen in Deutschland „nur noch klimafreundliche Produkte herstellen“. Als erstes sollen Grundstoffe klimafreundlich sein. Da ihre Produktion teurer ist, sollen sie gekennzeichnet werden. Eine „Superabschreibung“für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung hat die Ampel schon im Koalitionsvertrag versprochen. Auf Genaueres konnte sie sich bisher aber nicht einigen.
Soziale Komponente: Die zehn Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen verursachen etwa dreimal so hohe Treibhausgasemissionen wie die zehn Prozent mit den niedrigsten. Daher sollen Gutverdiener ebenso wie die Wirtschaft einen höheren Beitrag zur Vermeidung von Emissionen leisten. Weil Geringverdiener zudem einen besonders hohen Teil ihres Einkommens für alltägliche Dinge wie Wohnen oder Lebensmittel ausgeben müssen, die deutlich teurer werden dürften, gibt es weiteren Hilfsbedarf. Konkreteres steht noch nicht fest.