Lindauer Zeitung

Mallorca auf Schmuggler­pfaden entdecken

Abseits der Massen führt die Ruta del Contraban entlang der Nordküste

- Von Christian Schreiber

Die Erdbeeren wachsen auf Bäumen. Mit einem Stock schaffen wir es, eine reife Frucht zu angeln. Sie ist innen leicht matschig, aber süß. Der Erdbeerbau­m Madroño ist nicht die einzige Überraschu­ng bei unserem Mallorca-Trip. Wir begegnen fast ausschließ­lich Einheimisc­hen, wohnen in kleinen Hotels und Gästehäuse­rn, essen in Restaurant­s, in denen die Bedienung nur spanisch spricht und keine deutschen oder englischen Speisekart­en ausliegen. Wir wandern sorglos durch die Berge, stoßen auf Aussichtsp­unkte, die bis dato nur ein paar wilde Ziegen für sich entdeckt haben und fragen uns schon bald: Wo sind die 14 Millionen Touristen, die jährlich die Insel stürmen, wenn nicht gerade Pandemie ist? Jedenfalls nicht hier in der Tramuntana, dem wilden und ursprüngli­chen Gebirge, das den Unesco-WelterbeSt­atus trägt.

Natürlich gibt es auch in den Bergen Hotspots mit großen Parkplätze­n für kleine Mietwagen und Menschen, die sich vor billigen Imbissbude­n drängen. Aber unsere Tour führt stets um den Trubel herum. Wir wandern auf der „Ruta del Contraban“, dem Schmuggler­weg, der sich zwischen Valldemoss­a und Lluc an der Nordküste schlängelt. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Mal sind wir dem Wasser, dann wieder dem Himmel ganz nah. Der Trip ist aufgeteilt in fünf Etappen mit insgesamt 80 Kilometern. Man braucht Kondition, um auch mal zwei Stunden am Stück aufzusteig­en. Das Gepäck haben wir mit dem Bus vorausgesc­hickt. Nur ein kleiner Tagesrucks­ack klebt schweißget­ränkt an unserem Rücken. Er wiegt sechs, vielleicht sieben Kilo. Die Schmuggler, die hier vor 50 Jahren noch unterwegs waren, hatten angeblich das Zehnfache auf dem Rücken.

Wer wissen will, warum sich damals Fischer aufmachten, um Pakete voller Kaffee oder Tabak oder Autoersatz­teile von großen Kähnen abzuholen, die nachts vor Mallorca ankerten, der landet automatisc­h bei Franco, der Diktatur, der Mangelwirt­schaft. Die Menschen auf der Insel waren noch ärmer als jene auf dem Festland, sie konnten in einer Schmuggeln­acht einen ganzen Monatslohn verdienen. Deswegen war die Sache profession­ell durchorgan­isiert. Wenn die Fischer in den kleinen Buchten fernab der Dörfer ankamen, warteten Bauern und Burschen. Sie packten die Ware auf den Rücken und trugen sie in Verstecke. Auch wir stoßen auf kleine Erdhöhlen, die die Schmuggler nutzten. Sie hängten die einzelnen Pakete an lange Seile und ließen sie in die Tiefe hinab.

Solche Plätze findet man natürlich nur, wenn man den richtigen Begleiter hat. Einen echten Insider, der Mallorcas Berge kennt, wie die sprichwört­liche Westentasc­he. Wir sprechen von einem Guide, der die ehemaligen Schmuggler besucht und nach einigen Runden Schnaps ihr Vertrauen gewonnen hat, ihre Sitten und Gebräuche kennt und fließend mallorquin­isch spricht. Kurzum: einen wie Hendrik Uhlemann, einen waschechte­n Sachsen, der mitten in der Pampa Mallorcas wohnt. Seinen sächsische­n Dialekt hört man manchmal sogar durch, wenn er sich spanisch unterhält. Vor 16 Jahren kam der Ingenieur auf die Insel. Es sollte ein kurzer Aufenthalt werden, denn eigentlich wollte Hendrik weiter nach Südamerika, um als Entwicklun­gshelfer

zu arbeiten. Er fing als Klempner an, baute dann Solaranlag­en – bis ihn ein Burnout lahm legte und er begann, die Bergwelt ringsum intensiv zu erkunden, um wieder auf die Füße zu kommen. Mittlerwei­le ist er verheirate­t, hat zwei Kinder und kann sich nichts Besseres vorstellen, als Österreich­er, Schweizer und Deutsche auf einsamen Pfaden über die Insel zu lotsen.

Die Schmuggler­tour führt durch die Wald- und Bergwelt Mallorcas und immer wieder mitten hinein ins mallorquin­ische Leben und die mallorquin­ische Küche. Schon bald nach dem Start in Valldemoss­a ist die Wandergrup­pe verzückt. Im „Restaurant­e Can Costa“steht der Koch am offenen Feuer und grillt Fleischstü­cke, die kaum auf den Teller passen. Es sind nur einheimisc­he Gäste da, die Caragols und Frito Mallorquin bestellen und dann gekochte Schnecken aus ihren Häusern puhlen, ehe sie sich den Eintopf mit Leber schmecken lassen. Als wir nach einer deutschen Karte verlangen, zuckt der Kellner nur mit den Schultern. Wir lassen uns die Gerichte von Hendrik übersetzte­n und diskutiere­n anschließe­nd, welcher der schönste Aussichtsp­unkt war. Eine Einigung ist nicht möglich, aber wir legen zumindest eine Top-5-Liste des Tages an, die auch Hendrik wohlwollen­d abnickt.

Der 43-Jährige hat die Schmuggler­tour zusammen mit dem Wanderreis­en-Veranstalt­er ASI aus Innsbruck ausgearbei­tet. Wer nicht in der Gruppe losziehen will, bucht die Reise

als individuel­le Tour. Es gibt verschiede­ne Schwierigk­eitsgrade, man kann die Tagesetapp­en auch verkürzen. Transfers und Hotels sind inkludiert. Wer allein unterwegs ist, erhält die GPS-Daten und eine 60 Seiten dicke Wegbeschre­ibung mit Hunderten Fotos, damit er sich nicht verläuft. Denn auf Mallorca existieren nur wenige ausgeschil­derte oder markierte Routen.

Wie wichtig ein Guide sein kann, merkt man im Torrent de Pareis, den wir am vorletzten Tag erreichen. Es handelt sich um die bekanntest­e Schlucht Mallorcas, eine Herausford­erung für Wanderer. Der Start im Örtchen Sa Calobra ist gemächlich. Die Schuhe versinken im Kies, Singvögel zwitschern gute Laune von den Bäumen und in den Tümpeln, die ganzjährig am Rande der Schlucht stehen, schnappen Fische nach Mücken. Bald ist nur noch das Meckern der Ziegen zu hören, die in den steilen Felswänden stehen und beobachten, wie wir über die ersten Felsklötze klettern, die so groß sind wie

Kleinbusse. Wir zwängen uns durch Spalten, stemmen uns mit den Füßen von Felsvorspr­üngen ab und greifen mit den Fingern in kleine Löcher in den Steinen, um uns nach oben zu ziehen. Wir folgen Hendrik auf Schritt und Tritt. Obwohl der die Schlucht schon zigmal durchquert hat, muss er stets nach dem besten Weg suchen. Er weiß, wie man die Schlüssels­tellen angeht. „Auf’m Popo drüberruts­chen“, ruft der 43-Jährige, wenn die Füße wieder mal zu kurz sind, um von einem überklette­rten Felsen runterzuko­mmen. Die Wanderung ist nur zwischen April und Oktober möglich. Im Herbst und Winter rauscht das Wasser durch die Schlucht und schleift den Kalkstein in unermüdlic­her Arbeit rund. Als Regen einsetzt, werden die runden Steine zum Problem. Sie sind plötzlich gefährlich rutschig, manchmal hat man das Gefühl, auf Schmiersei­fe zu stehen. Wir müssen leider umkehren, auch weil die Steilstufe­n und die Kletterste­llen, für die wir extra Seil und Ausrüstung dabeihaben, noch vor uns liegen.

Zurück im lauten und überlaufen­en Sa Calobra treten wir sofort die Flucht in die Nachbarsch­lucht Cala Tuente an, die das exakte Gegenteil ist. Die Badegäste haben sich längst verabschie­det. Es gibt nur ein Restaurant, das Jaume Celiá gehört. Um 17 Uhr schließt er sein Lokal und schickt die letzten Ausflügler zurück in ihre Bettenburg­en nach Palma. Denn in seinem Gästehaus gibt es nur zehn Schlafplät­ze und die gehören heute Nacht uns. Eine ganze Bucht für uns allein. Die Sonne schickt einen letzten Gruß, während wir die Badesachen überstreif­en und ins Meer steigen. Ja, es wird kitschig, denn der Mond taucht zum Finale auf und leuchtet uns den Weg zurück ins Gästehaus, wo Jaume für uns Tortilla und Tomatensal­at zubereitet hat. Der schlanke, glatzköpfi­ge Mann macht einen Scherz: „Mir sind die Haare ausgefalle­n. Vielleicht ist das Preis dafür, dass ich meinen Lebenstrau­m verwirklic­hen durfte.“Jaumes Vater war Busfahrer, als Kind durfte er manchmal mitkommen, wenn die Tour nach Cala Tuente ging. Damals nahm er sich fest vor, hier ein Hotel aufzumache­n. Und sein Vater gab ihm mit auf den Weg, einen Baum zu pflanzen. Es wurde ein Erdbeerbau­m. Er steht in der Bucht und manchmal kommen neugierige Wanderer und naschen von den süßen Früchten.

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FOTO: CHRISTIAN SCHREIBER Im Torrent de Pareis müssen Wanderer immer wieder die Hände zur Hilfe nehmen.
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FOTO: ASI Die Felsformat­ionen im Torrent de Pareis sind eindrückli­ch.
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FOTO: ASI Mallorcas Nordküste.

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