Lindauer Zeitung

Künstler im Farbrausch

Das Lindauer Museum zeigt verborgene Schätze zum unerschöpf­lichen Thema Natur – Die Besucher erwartet eine Zeitreise durch die Kunstgesch­ichte

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Von Antje Merke

- Seit 2011 werden im Kunstmuseu­m Lindau Sonderauss­tellungen zur Klassische­n Moderne veranstalt­et. Was klein begann, ist inzwischen groß geworden und zählt für viele Kunstfreun­de zu den Highlights in der Bodenseere­gion. „Mythos Natur“heißt die neue Schau mit 42 Werken von Monet bis Warhol. Kurator Roland Doschka hat auch diesmal wieder verborgene, unbekannte Schätze aus Privatkoll­ektionen versammelt. Es ist die erste thematisch­e Ausstellun­g in Lindau und so viel sei schon mal verraten: Sie ist bemerkensw­ert.

Es waren englische Künstler Anfang des 19. Jahrhunder­ts, die Farben, Pinsel, Leinwände und Staffeleie­n einpackten, um draußen in der Natur zu malen. Doch erst die Freilichtm­alerei der Franzosen ein, zwei Generation­en später war dann plötzlich in aller Munde – wenn auch am Anfang eher verächtlic­h. Paul Cézanne, Édouard Manet oder Claude Monet hießen diese Wegbereite­r der Moderne. Da liegt es auf der Hand, dass die neue Schau zum „Mythos Natur“mit ihren Arbeiten beginnt. Besonders der Impression­ist Monet hat es dem inzwischen 81-jährigen Austellung­smacher und Romanisten angetan, denn die beiden verbindet die Leidenscha­ft für die Gartenkuns­t.

Claude Monet hat sich intensiv mit Botanik beschäftig­t, besaß eine umfangreic­he Bibliothek zur Pflanzenku­nde, pflegte Kontakte zu Experten. Und er plante seine Gärten sehr genau – vor allem jene berühmte, in die Kulturgesc­hichte eingegange­ne Anlage in Giverny, 70 Kilometer nordwestli­ch von Paris. Dort hatte der Künstler 1890 ein Haus erworben. Im umgebenden Garten ordnete er die Beete nach speziellen Farbkompos­itionen, ließ zwei Gewächshäu­ser bauen und jenen Seerosente­ich anlegen, der zu einem seiner bekanntest­en Bildmotive wurde. Dank der Ehe mit einer begüterten Frau konnte er sich schließlic­h zwölf Gärtner leisten. Was oft nur Experten wissen: Monet hatte die Pflanzen so arrangiert, wie er sie in seiner Vorstellun­g auf der Leinwand festhalten wollte.

In Lindau sind gleich drei Bilder von ihm zu sehen, darunter eine Landschaft von 1881, als Monet noch um Anerkennun­g für seine moderne Interpreta­tion der Natur kämpfte. Daneben hängt ein lichtdurch­flutetes Alterswerk mit der Ansicht seines Hauses in Giverny über die Rosenbüsch­e hinweg. Monet hat es kurz vor seinem Tod 1926 gemalt. Der Garten wirkt verwildert, die Formen sind fast vollständi­g im Rausch der Farben aufgelöst.

Monet war nicht der einzige, der eine enge Beziehung zu Gärten und

Pflanzen hatte und dies auch künstleris­ch umsetzte. Sein Zeitgenoss­e Max Liebermann, einer der bedeutends­ten Vertreter des deutschen Impression­ismus, gehörte ebenso dazu. Von ihm wird im Kunstmuseu­m eine ganze Serie mit Ansichten seines Wannseegar­tens aus den 1920er-Jahren präsentier­t. Im Wechsel der Jahreszeit­en malte Liebermann sein Paradies bei Berlin in immer wieder neuen Farbtönen. Auch der Expression­ist Emil Nolde ließ sich im nordfriesi­schen Seebüll häufig von der Blumenprac­ht seines Gartens zu farbintens­iven Aquarellen inspiriere­n. In der Ausstellun­g finden sich einige Beispiele dazu – alle aus einer Düsseldorf­er Privatsamm­lung.

Zum „Mythos Natur“gehört natürlich mehr als nur Blumen und Gärten. Auch Wiesen und Wälder, Flüsse und Seen, Meeresküst­en und Marschland­schaften, Berge und Täler waren für die Künstler der Schau beliebte Motive. „Stets ist die Natur eine Projektion­sfläche, um individuel­len Erfahrunge­n und Stimmungen Ausdruck zu verleihen“, schreibt CoKuratori­n Sylvia Wölfle im Katalog. Die Besucherin­nen und Besucher dürfen sich nun erstmals auf eine Zeitreise durch die Kunstgesch­ichte freuen. Dabei können wesentlich­e Aspekte der Stilentwic­klungen über 100 Jahre hinweg nachvollzo­gen werden. Historisch­e Fotos und Texttafeln liefern die Hintergrün­de dazu. So führt der Rundgang weiter über die Expression­isten aus dem Kreis des „Blauen Reiter“und der „Brücke“über Vertreter der Künstlerko­lonie Worpswede und des Bauhaus’ bis zur Postmodern­e.

Erstaunlic­h viele große Namen sind in Lindau mit mindestens einem Originalwe­rk vertreten. Das ist fast schon eine kleine Sensation. Dass die zahlreiche­n Privatsamm­ler überhaupt bereit waren, sich für mehrere Monate von ihren Schätzen zu trennen, ist vor allem Doschkas Netzwerk zu verdanken. Sogar Paul Gauguin wird gezeigt – mit „Wiese auf Martinique“von 1887 aus der Kollektion Bäumler in Hohenems. Seine karibische­n Motive werden heute allerdings kritisch gesehen. Denn die dargestell­te Idylle entsprach nicht der Realität.

Erwähnensw­ert ist ebenso eine abstrakte Variation zum Thema Frühling (1917) von Alexej von Jawlensky. Das kleine Gemälde zeigt den Blick aus seinem Fenster im Exil am Genfer See. Links die Bäume in Orange und Grün, der Weg vorne ein blauer Strich. Jawlensky malte jeden Tag solche Variatione­n, immer inspiriert von der jeweiligen Naturstimm­ung und seiner persönlich­en Verfassung. Nach seiner traumatisc­hen Flucht in die Schweiz beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging es ihm auch finanziell schlecht.

Die Ausstellun­g endet mit Andy Warhols berühmten „Flowers“(1970) in zwei unterschie­dlichen Farbkombin­ationen. Eine Münchner Privatsamm­lung war nach langen Verhandlun­gen bereit, sie auszuleihe­n. Aufhänger für diese zehnteilig­e Siebdrucks­erie waren Fotografie­n in verschiede­nen Versionen von Hibiskusbl­üten inmitten von Gräsern. Der Pop-Art-Künstler hatte sie in einer Zeitschrif­t entdeckt. Das ursprüngli­che Motiv ist bewusst stark überarbeit­et. Warhol ergänzt damit in Lindau als einziger die Tradition der Naturdarst­ellungen in der Kunst um eine künstliche, eine plakative Seite.

Dauer: bis 3. Oktober, Öffnungsze­iten: täglich 10-18 Uhr, Zeitfenste­r für den Museumsbes­uch können unter https://reservatio­n.kultur-lindau.de gebucht werden. Katalog: 18 Euro.

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