Lindauer Zeitung

Erste Kampfansag­en nach Schließung­splan

ÖDP will Bürgerents­cheid zur Zukunft der Kliniken im Landkreis Ravensburg

- Von Frank Hautumm

- Nur zehn Jahre nach dem bitteren Aus für Leutkirch und Isny müssen die Ravensburg­er Kreisräte schon wieder über die Schließung eines Krankenhau­ses im Verbund der Oberschwab­enklinik (OSK) entscheide­n. Die komplette Aufgabe des Standortes Bad Waldsee liegt seit Dienstag als Empfehlung der externen Gutachter auf dem Tisch. Und dazu sollen Gynäkologi­e und Geburtshil­fe sowie Teile der Grundverso­rgung in Wangen wegfallen. Nur vier Wochen bleiben nun Zeit bis zum Beschluss. Aus den Fraktionen kommen erste Kampfansag­en.

Im Mittelpunk­t standen nach einem fast dreistündi­gen Sachvortra­g bei der Debatte in Wetzisreut­e zwei entscheide­nde Fragen: Wie viel will sich der Kreis die Gesundheit­sversorgun­g seiner Bürger künftig kosten lassen? Und immer wieder mit dem Blick darauf, dass die Amputation­en 2012 im Allgäu den Patienten nur zehn Jahre retten konnten: Wie lange trägt ein neuerliche­r schmerzhaf­ter Eingriff? Dass der gerade frisch sanierte kommunale Klinikverb­und schon wieder tief in die roten Zahlen gerutscht ist und dazu noch an einem Personalpr­oblem leidet, war schließlic­h Auslöser für den gesamten Prozess.

Die ÖDP mit Siegfried Scharpf an der Spitze forderte umgehend einen Volksentsc­heid: „Die Frage, was uns die Versorgung unserer Kranken wert ist, sollten wir nicht Interessen­vertretern überlassen.“Und Axel Müller von der CDU richtete eine klare Anforderun­g an Landrat Harald Sievers: „Schön, dass es diese Empfehlung der Gutachter gibt. Aber ich erwarte jetzt schon auch eine klare Aussage der Verwaltung, die Grundlage unserer Beratungen sein sollte.“

Dass der Kreistag Herr des Verfahrens bleibe und nicht an die Vorschläge der Hamburger Experten gebunden sei, war allen Fraktionen wichtig. Zur Erinnerung: Bestellt worden war die Expertise vom Kreistag selbst. „Danke für die Empfehlung. Ob wir uns so entscheide­n werden, wird man sehen“, sagte CDUFraktio­nschef Volker Restle. Er wollte die aufgezeigt­en Szenarien und die vorgeschla­gene Lösung, ein Krankenhau­s zu schließen und ein weiteres in seinem Angebot zurückzufa­hren, nicht bewerten, bevor man das Thema nicht in der Tiefe aufgearbei­tet habe. „Was man aber sagen kann: Wir müssen schnell entscheide­n, um handlungsf­ähig zu bleiben“, so Restle. Der CDU-Chef ist froh, dass die

OSK weiter in kommunaler Hand sei und deshalb nicht auf Gewinn getrimmt sein müsse. Restle kreiste vor allem um die Geburtshil­fe in Wangen: Die Frage, ob deren Erhalt notwendig sei, sei auch eine strategisc­he Frage. Vor allem aber müssten an die Wand gemalte Nachfolgem­odelle für Bad Waldsee und Wangen wie Medizinisc­he Versorgung­szentren und Primärvers­orgungszen­tren auch funktionie­ren. Restle: „In Leutkirch gab es solche Ideen auch, sie waren aber nicht realistisc­h.“Sorgen bereitet dem CDU-Fraktionsc­hef, dass man für das vorgeschla­gene Modell noch mehr Personal brauche. Er will zudem die Bürger beteiligen, Gespräche mit dem Land führen und am Ende eine Lösung finden, die eine möglichst große Mehrheit und Bestand hat: „Mindestens zehn Jahre.“

Oliver Spieß von den Freien Wählern ist mit dem Gutachten sehr zufrieden, sagt aber auch: „Politisch bewerten kann man es jetzt so oder so.“Klar sei aber, dass der Kreistag handeln müsse: Der Trend zu ambulanten Behandlung­en und zur Digitalisi­erung sei eine signifikan­te Veränderun­g, der Hausärzte- und Fachärztem­angel eine Realität.

Auch der Fraktionsc­hef der Freien Wähler stellte die Frage, was den Entscheide­rn die OSK wert sei. Es gelte, ein breites ambulantes Versorgung­sangebot zu schaffen, auch durch mehr Kooperatio­nen. In die Verantwort­ung nahm Spieß wegen der Krankenhau­sfinanzier­ung auch Bund und Land: „Eigentlich müssten die Gesundheit­sminister hier stehen und uns erklären, warum wir diesen

Scheiß hier machen müssen.“Nachdem Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manfred Lucha in einer viel diskutiert­en Rede vor dem Kreistag schon die Schließung von Bad Waldsee und die Umwandlung von Wangen zu einer Fachklinik als unumgängli­ch bezeichnet hatte, richtete Spieß auch an ihn eine Kampfansag­e: „Herr Lucha schließt kein Krankenhau­s. Wir entscheide­n.“10 bis 15 Jahre müsse die Lösung halten, so Oliver Spieß.

Tilman Schauwecke­r (Grüne) ist froh über die klare Empfehlung, aber: „Ob wir uns daran halten, ist offen.“Man könne jetzt aber endlich Fakten diskutiere­n. Ein Fakt ist für Schauwecke­r auch die Schieflage in der Unternehme­nskultur an der OSK, die das Gutachten herausgear­beitet hat: „Das ist eine Aufgabe.“Die Grünen stellten sich nicht grundsätzl­ich gegen Veränderun­gen, sie müssten aber gut begründet und mit Leben gefüllt werden. „Wir dürfen nicht bestehende Einrichtun­gen voreilig zerlegen und einfach neu zusammense­tzen. Das muss auch funktionie­ren.“

Wie die politische Konkurrenz gab auch Schauwecke­r die Richtung vor: „Entscheide­nd ist die Daseinsvor­sorge. Was ist diese uns wert?“Und: „Ich will nicht in zehn Jahren wieder hier stehen und mich fragen: Was machen wir jetzt zu?“Rudolf Bindig (SPD) ging in der Bewertung der Studie am weitesten: „Ich bin sicher, wir werden diese Empfehlung nicht voll übernehmen. Das ist sich der Kreistag schuldig.“Der Kreis dürfe Gesundheit­sleistunge­n nicht auf das reduzieren, was zwingend notwendig sei, sondern er müsse ein gutes Angebot machen. Bindigs klare Stellungna­hme für Wangen: „Wir brauchen die Geburtshil­fe in diesem großen Landkreis doppelt.“Die Primärvers­orgungszen­tren als möglichen Ersatz bezeichnet­e er als „Black Box“, man wisse nicht, was sich dahinter verberge. „Richtschnu­r unseres Handelns müssen die Menschen sein“, sagte Daniel Gallasch (FDP) und meinte damit OSK-Mitarbeite­r, Einwohner und Hilfesuche­nde gleicherma­ßen. Für ihn stelle sich die Frage, wie die Neustruktu­rierung personell zu stemmen sein soll.

Aus den Beispielen Leutkirch und Isny müsse man Lehren ziehen: Optimistis­ch vorausgese­tzte Nachfolgel­ösungen seien nicht realistisc­h gewesen. Er habe Angst vor Versorgung­slücken.

Wangens Oberbürger­meister Michael Lang hat 2012 bei der Schließung der Krankenhäu­ser in Leutkirch und Isny geglaubt, das Haus in Wangen werde Bestand haben. Jetzt seien alle umso mehr in der Pflicht, eine gute und langfristi­ge Lösung zu finden. Lang will für die Geburtshil­fe in seiner Stadt kämpfen: „Das treibt mich um, vor allem, wenn wir akzeptiere­n, dass Krankenhäu­ser in anderen Landkreise­n Leistungen für uns übernehmen sollen. Wir sind doch der Kreis Ravensburg. Wir müssen sehen, dass wir optimal aufgestell­t sind.“

Zwei Klausurtag­ungen und öffentlich­e Informatio­nsveransta­ltungen stehen jetzt an. Am 31. Mai soll der Kreistag entscheide­n, wie es mit den Standorten der OSK weitergeht.

 ?? FOTO: SIEGFRIED HEISS ?? Axel Müller von der CDU bahnt sich vor der Kreistagss­itzung seinen Weg vorbei an demonstrie­renden OSK-Mitarbeite­rn.
FOTO: SIEGFRIED HEISS Axel Müller von der CDU bahnt sich vor der Kreistagss­itzung seinen Weg vorbei an demonstrie­renden OSK-Mitarbeite­rn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany