Erste Kampfansagen nach Schließungsplan
ÖDP will Bürgerentscheid zur Zukunft der Kliniken im Landkreis Ravensburg
- Nur zehn Jahre nach dem bitteren Aus für Leutkirch und Isny müssen die Ravensburger Kreisräte schon wieder über die Schließung eines Krankenhauses im Verbund der Oberschwabenklinik (OSK) entscheiden. Die komplette Aufgabe des Standortes Bad Waldsee liegt seit Dienstag als Empfehlung der externen Gutachter auf dem Tisch. Und dazu sollen Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Teile der Grundversorgung in Wangen wegfallen. Nur vier Wochen bleiben nun Zeit bis zum Beschluss. Aus den Fraktionen kommen erste Kampfansagen.
Im Mittelpunkt standen nach einem fast dreistündigen Sachvortrag bei der Debatte in Wetzisreute zwei entscheidende Fragen: Wie viel will sich der Kreis die Gesundheitsversorgung seiner Bürger künftig kosten lassen? Und immer wieder mit dem Blick darauf, dass die Amputationen 2012 im Allgäu den Patienten nur zehn Jahre retten konnten: Wie lange trägt ein neuerlicher schmerzhafter Eingriff? Dass der gerade frisch sanierte kommunale Klinikverbund schon wieder tief in die roten Zahlen gerutscht ist und dazu noch an einem Personalproblem leidet, war schließlich Auslöser für den gesamten Prozess.
Die ÖDP mit Siegfried Scharpf an der Spitze forderte umgehend einen Volksentscheid: „Die Frage, was uns die Versorgung unserer Kranken wert ist, sollten wir nicht Interessenvertretern überlassen.“Und Axel Müller von der CDU richtete eine klare Anforderung an Landrat Harald Sievers: „Schön, dass es diese Empfehlung der Gutachter gibt. Aber ich erwarte jetzt schon auch eine klare Aussage der Verwaltung, die Grundlage unserer Beratungen sein sollte.“
Dass der Kreistag Herr des Verfahrens bleibe und nicht an die Vorschläge der Hamburger Experten gebunden sei, war allen Fraktionen wichtig. Zur Erinnerung: Bestellt worden war die Expertise vom Kreistag selbst. „Danke für die Empfehlung. Ob wir uns so entscheiden werden, wird man sehen“, sagte CDUFraktionschef Volker Restle. Er wollte die aufgezeigten Szenarien und die vorgeschlagene Lösung, ein Krankenhaus zu schließen und ein weiteres in seinem Angebot zurückzufahren, nicht bewerten, bevor man das Thema nicht in der Tiefe aufgearbeitet habe. „Was man aber sagen kann: Wir müssen schnell entscheiden, um handlungsfähig zu bleiben“, so Restle. Der CDU-Chef ist froh, dass die
OSK weiter in kommunaler Hand sei und deshalb nicht auf Gewinn getrimmt sein müsse. Restle kreiste vor allem um die Geburtshilfe in Wangen: Die Frage, ob deren Erhalt notwendig sei, sei auch eine strategische Frage. Vor allem aber müssten an die Wand gemalte Nachfolgemodelle für Bad Waldsee und Wangen wie Medizinische Versorgungszentren und Primärversorgungszentren auch funktionieren. Restle: „In Leutkirch gab es solche Ideen auch, sie waren aber nicht realistisch.“Sorgen bereitet dem CDU-Fraktionschef, dass man für das vorgeschlagene Modell noch mehr Personal brauche. Er will zudem die Bürger beteiligen, Gespräche mit dem Land führen und am Ende eine Lösung finden, die eine möglichst große Mehrheit und Bestand hat: „Mindestens zehn Jahre.“
Oliver Spieß von den Freien Wählern ist mit dem Gutachten sehr zufrieden, sagt aber auch: „Politisch bewerten kann man es jetzt so oder so.“Klar sei aber, dass der Kreistag handeln müsse: Der Trend zu ambulanten Behandlungen und zur Digitalisierung sei eine signifikante Veränderung, der Hausärzte- und Fachärztemangel eine Realität.
Auch der Fraktionschef der Freien Wähler stellte die Frage, was den Entscheidern die OSK wert sei. Es gelte, ein breites ambulantes Versorgungsangebot zu schaffen, auch durch mehr Kooperationen. In die Verantwortung nahm Spieß wegen der Krankenhausfinanzierung auch Bund und Land: „Eigentlich müssten die Gesundheitsminister hier stehen und uns erklären, warum wir diesen
Scheiß hier machen müssen.“Nachdem Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha in einer viel diskutierten Rede vor dem Kreistag schon die Schließung von Bad Waldsee und die Umwandlung von Wangen zu einer Fachklinik als unumgänglich bezeichnet hatte, richtete Spieß auch an ihn eine Kampfansage: „Herr Lucha schließt kein Krankenhaus. Wir entscheiden.“10 bis 15 Jahre müsse die Lösung halten, so Oliver Spieß.
Tilman Schauwecker (Grüne) ist froh über die klare Empfehlung, aber: „Ob wir uns daran halten, ist offen.“Man könne jetzt aber endlich Fakten diskutieren. Ein Fakt ist für Schauwecker auch die Schieflage in der Unternehmenskultur an der OSK, die das Gutachten herausgearbeitet hat: „Das ist eine Aufgabe.“Die Grünen stellten sich nicht grundsätzlich gegen Veränderungen, sie müssten aber gut begründet und mit Leben gefüllt werden. „Wir dürfen nicht bestehende Einrichtungen voreilig zerlegen und einfach neu zusammensetzen. Das muss auch funktionieren.“
Wie die politische Konkurrenz gab auch Schauwecker die Richtung vor: „Entscheidend ist die Daseinsvorsorge. Was ist diese uns wert?“Und: „Ich will nicht in zehn Jahren wieder hier stehen und mich fragen: Was machen wir jetzt zu?“Rudolf Bindig (SPD) ging in der Bewertung der Studie am weitesten: „Ich bin sicher, wir werden diese Empfehlung nicht voll übernehmen. Das ist sich der Kreistag schuldig.“Der Kreis dürfe Gesundheitsleistungen nicht auf das reduzieren, was zwingend notwendig sei, sondern er müsse ein gutes Angebot machen. Bindigs klare Stellungnahme für Wangen: „Wir brauchen die Geburtshilfe in diesem großen Landkreis doppelt.“Die Primärversorgungszentren als möglichen Ersatz bezeichnete er als „Black Box“, man wisse nicht, was sich dahinter verberge. „Richtschnur unseres Handelns müssen die Menschen sein“, sagte Daniel Gallasch (FDP) und meinte damit OSK-Mitarbeiter, Einwohner und Hilfesuchende gleichermaßen. Für ihn stelle sich die Frage, wie die Neustrukturierung personell zu stemmen sein soll.
Aus den Beispielen Leutkirch und Isny müsse man Lehren ziehen: Optimistisch vorausgesetzte Nachfolgelösungen seien nicht realistisch gewesen. Er habe Angst vor Versorgungslücken.
Wangens Oberbürgermeister Michael Lang hat 2012 bei der Schließung der Krankenhäuser in Leutkirch und Isny geglaubt, das Haus in Wangen werde Bestand haben. Jetzt seien alle umso mehr in der Pflicht, eine gute und langfristige Lösung zu finden. Lang will für die Geburtshilfe in seiner Stadt kämpfen: „Das treibt mich um, vor allem, wenn wir akzeptieren, dass Krankenhäuser in anderen Landkreisen Leistungen für uns übernehmen sollen. Wir sind doch der Kreis Ravensburg. Wir müssen sehen, dass wir optimal aufgestellt sind.“
Zwei Klausurtagungen und öffentliche Informationsveranstaltungen stehen jetzt an. Am 31. Mai soll der Kreistag entscheiden, wie es mit den Standorten der OSK weitergeht.