Im Russland-Dilemma
Druck auf Konzerne, die ihr Geschäft in Putins Reich nicht beenden, nimmt zu – Schwierige Situation
- Wenn es ein Zitat gibt, das das Dilemma beschreibt, in dem Manager wie Peter Stahl in Zeiten des Ukraine-Kriegs stecken, ist es ein Satz des Schriftstellers Martin Walser: „Nichts ist ohne das Gegenteil wahr.“Die Allgäuer Traditionskäserei Hochland, die Stahl führt, erwirtschaftet in Russland fast 25 Prozent ihres rund 1,7 Milliarden Euro hohen Umsatzes. Der Erfolg des Unternehmens beruht damit zu einem Viertel auf Geschäften in einem Land, das einen brutalen Angriffskrieg führt. Vor allem ukrainische Mitarbeiter, die in polnischen Hochland-Werken arbeiten, greifen ihren Chef in Deutschland an, weil er das Engagement in Russland nach der Invasion der russischen Streitkräfte im Februar nicht sofort eingestellt hat.
Wahr ist aber auch: Peter Stahl beschäftigt in Russland rund 1600 Kollegen. In drei Werken produzieren sie Käse für Russen, von denen keiner weiß, inwieweit sie die Entscheidungen von Staatschef Wladimir Putin mittragen würden, wenn sie denn alle Informationen über den Krieg hätten. Hinzu kommt: Der Umsatz in Russland sichert die Existenz der Käserei mit Sitz in Heimenkirch und damit die Jobs von 3900 weiteren Menschen, die überall in Europa für Hochland arbeiten. Ein Rückzug der Käserei aus Russland würde nach Meinung von Stahl absolut nichts am Kriegsverlauf ändern. „Deshalb ist es aus unserer Sicht auch keine moralische Frage“, sagt Stahl.
Klar ist aber: Der Druck auf Stahl und andere Manager, die Unternehmen führen, die ihre Produkte nach Russland verkaufen oder Werke auf dem Gebiet der russischen Föderation unterhalten, nimmt mit jedem Kriegstag zu. Die Mehrheit der Verbraucher in Deutschland erwartet eine klare Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Drei von vier Deutschen (77 Prozent) wollen ihre Kaufentscheidungen künftig davon abhängig machen, wie sich Unternehmen im Ukraine-Krieg positionieren. Das ergab vor wenigen Tagen eine repräsentative Umfrage von mehr als 1000 Personen im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
Wie schwierig die aktuelle Situation für Unternehmen ist, wenn sie wegen ihres Russland-Geschäfts angegriffen werden, zeigt der Fall des baden-württembergischen Schokoladen-Herstellers Ritter Sport. Nachdem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk das Unternehmen aus Waldenbuch im Kreis Böblingen auf Twitter mit dem Satz „Quadratisch. Praktisch. Blut. Trotz Agression gegen die Ukraine bleibt Ritter Sport in Russland.“beschimpft hatte, sah sich Ritter Sport massiver Kritik vor allem in den sozialen Medien ausgesetzt. Ritter Sport kündigte daraufhin an, den Gewinn aus dem laufenden Russland-Geschäft zu spenden, erklärte aber, am dortigen Engagement festhalten zu wollen. Viele andere Unternehmen entschieden anders, wie auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. Danach sanken die Exporte deutscher Unternehmen in die russische Föderation im März im Vergleich zum Vormonat um 62,3 Prozent auf rund 0,9 Milliarden Euro.
„Der öffentliche Druck setzt den Unternehmen zu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das an Unternehmen mit eigener Produktion in Russland schadlos vorbeigeht“, sagt Wolfgang Wolf, geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Verband „Unternehmer Baden-Württemberg“(UBW). „Das kann zu Zerreißproben in Unternehmen führen.“Die grundsätzliche Position des Verbands sei, sich nicht in die Entscheidungen der Unternehmen einzumischen. Das müsse jeder Betrieb für sich selbst abwägen.
Für den Industrie- und Handelskammertag von Baden-Württemberg (BWIHK) ist jedoch nicht die Wirtschaft, sondern die Politik gefordert, die entscheidenden Leitplanken zu setzen. „Die Frage, wann man mit welchem Land keine Geschäfte mehr machen soll, ist eine politische Frage“, sagt Präsident Wolfgang Grenke. „Diese sollte man nicht dem einzelnen Unternehmen überlassen. Die einzelnen Unternehmer können dabei doch unmöglich alleine entscheiden, wo die Grenze zu ziehen ist.“Das heiße aber auch, dass mit nicht sanktionierten Gütern gehandelt werden dürfe. „Ein Unternehmen an den Pranger zu stellen, das sich an geltenden Regeln orientiert, finde ich schwierig und den Imageverlust, den es dadurch erleidet, nicht akzeptabel“, sagt Grenke weiter.
Aus Sicht des oberschwäbischen Mischkonzerns Liebherr tut die University of Yale aber genau das. Die School of Management der renommierten Hochschule beobachtet seit Kriegsbeginn Unternehmen auf der ganzen Welt, wie diese sich im Hinblick auf Russland und den UkraineKrieg positionieren. Die Forscher teilen die Konzerne in sechs Kategorien ein – von „Business as usual“bis zu „komplettem Rückzug“. Als eines von zwölf deutschen Unternehmen rangiert Liebherr in der schlechtesten Kategorie. „Wir wurden von den Verfassern der Liste nicht kontaktiert. Die Methodik der Liste und die sich daraus ergebenden Klassifizierungen können und wollen wir nicht kommentieren“, sagt Sprecher Philipp Hirth auf Anfrage. Allerdings verurteile Liebherr „die durch nichts zu rechtfertigende russische Aggression gegen die Ukraine“. Der Konzern stehe hinter den verhängten Sanktionen und habe über sie hinaus „weitere restriktive Maßnahmen ergriffen und seine Russland-Aktivitäten weiter reduziert“.
Der BWIHK hält die Aufstellung aus Yale für falsch. „Ob eine derartige Liste uns weiterbringt, bezweifele ich“, erklärt Grenke – vor allem mit Blick auf die viralen Diskussionen. „Wir wissen, dass die Sichtweise in den sozialen Medien eine hoch emotionalisierte ist, die keine abweichenden Haltungen zulässt“, sagt der BWIHK-Präsident weiter. „Eine Abwägung, die in einer solch schwierigen Situation wichtig wäre, findet nicht oder viel zu selten statt.“
Das Wirtschaftsministerium von Baden-Württemberg kommt bei der Aufstellung zu einer anderen Einschätzung. „Informationssammlungen wie die der University of Yale sind im Grundsatz hilfreich, um insbesondere auf Kundenseite Transparenz über das Engagement einzelner Unternehmen und deren Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine zu schaffen“, sagt ein Sprecher im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“mit Blick auf den rechtlichen Rahmen, der sich aus den von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen ergebe.
18 Unternehmen aus Deutschland listet die University of Yale in der höchsten Kategorie, in die Konzerne kommen, die ihr Russland-Geschäft komplett aufgegeben haben. Darunter der Autobauer Daimler, der Chemie-Konzern BASF, der Schuhverkäufer Deichmann, der Lebensmittelerzeuger Dr. Oetker, der Konsumgüterhersteller Henkel, die Brauerei Krombacher, der Zulieferer KnorrBremse oder der Spielwarenhersteller Playmobil. Die Baumarktkette Obi verschenkte sogar 27 Märkte an einen russischen Investor, wie das zur Tengelmann-Gruppe gehörende Unternehmen im April mitteilte.
Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, begrüßt Entscheidungen wie diese. „Ich halte es grundsätzlich für wichtig und richtig, dass Unternehmen auf diese Weise Druck auf Russland ausüben“, sagt der Gewerkschafter der „Schwäbischen Zeitung“. Nach wie vor gelte das Zitat von Robert
Bosch: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“Gerate ein Unternehmen allerdings in Existenznot, müsse man sich fragen, wer von einer Auflösung der Geschäftsbeziehungen den größeren Schaden hat. Das Dilemma sei das gleiche wie bei einem EnergieEmbargo. „Das wäre moralisch richtig und würde Druck auf Russland ausüben. Die Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die Gefährdung der Industriestrukturen nicht nur in Deutschland wären aber immens“, erläutert Zitzelsberger weiter. „Und geschwächte Industrien in Europa würden Putin eher in die Karten spielen, als ihn von der Fortsetzung seines mörderischen Irrsinns abzuhalten.“
Hinzu kommt bei vielen Unternehmen ein weiterer Grund zur Unruhe: die Gefährdung der eigenen Mitarbeiter in Russland. „Die Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kollegen, und für die wird die Situation mit jedem Tag schwieriger, weil die Gesamtbevölkerung in Russland durch die Propaganda mittlerweile sehr antideutsch eingestellt ist“, sagt UBW-Vorstandsmitglied Wolf. Dabei ist die gegen ausländische Unternehmen gerichtete Stimmung die eine Seite des Problems, Drohungen staatlicher Behörden die andere.
Der Hannoveraner Automobilzulieferer Continental ist eines der ersten Unternehmen gewesen, das solche Vorgänge thematisiert hat. Zuerst hatte der Reifenhersteller angekündigt, das Russland-Geschäft zu beenden, den Entschluss aber wieder zurückgenommen, um Mitarbeiter vor „harten strafrechtlichen Konsequenzen“zu schützen. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen“waren russische Staatsanwälte Ende März im Conti-Werk südwestlich von Moskau vorstellig geworden und hatten deutlich gemacht, dass sie es als Rechtsbruch sehen, wenn der Konzern den lokalen Bedarf im Land nicht bedient. Auch Liebherr befürchtet offenbar solche Besuche. „Der Bruch von Vertragsverpflichtungen gegenüber nicht sanktionierten russischen Kunden würde nicht nur Schadenersatzforderungen auslösen, sondern könnte auch zu repressiven Maßnahmen gegen unsere Mitarbeitenden in Russland führen“, sagt Liebherr-Sprecher Hirth.
Auch das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg befürchtet Repressionen von staatlicher Seite, wenn Unternehmen Sanktionen einhalten. Klar sei aber: „Soweit Arbeitsplätze verloren gehen, sind diese Arbeitsplatzverluste nicht die Folge von Sanktionen“, sagte der Ministeriumssprecher der „Schwäbischen Zeitung“, „sondern die bittere, aber auch unausweichliche Konsequenz aus dem völlig inakzeptablen russischen Überfall auf die Ukraine.“